Das neue EAG soll es richten – aber …

Ohne Netzausbau ein Bauchfleck?

von Thomas Buchbauer

Es ist vollbracht: Bundesministerin Leonore Gewessler und Staatssekretär Magnus Brunner präsentierten am 16.9.2020 den Entwurf des langersehnten Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes (EAG), das eine Stromversorgung Österreichs mit 100 % Ökostrom bis 2030 ermöglichen soll. In einer sechswöchigen Begutachtungsfrist haben »Steakholder« nun Zeit, die 100 Paragraphen des neuen Gesetzes zu analysieren und Verbesserungsvorschläge einzubringen. Die Ministerin stellte sich noch am gleichen Abend einer Diskussion mit Energieexperten, die den Entwurf nach einer ersten Begutachtung analysierten und ihre Bedenken angemeldet hatten – das i-Magazin war live dabei.

Eine Milliarde Euro jährlich will Österreich künftig in den Ausbau der erneuerbaren Energie bis zum Jahr 2030 investieren und damit 30 Milliarden Euro an Investitionen in Bereichen mit sehr hoher lokaler Wertschöpfung auslösen. Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz soll nebst ökologischen Aspekten letztendlich auch als energiepolitischer Konjunkturmotor dienen. Der Aufbringungsmechanismus für das »Unterstützungsvolumen« soll unverändert bleiben – dazu haben sich die Sozialpartner laut Bundesministerin Leonore Gewessler geeinigt. „Bereits im Jahr 2016 betrug das Fördervolumen rund 800 Millionen Euro – die Kosten für einen durchschnittlichen Haushalt beliefen sich damals auf rund 120 Euro pro Jahr. Unsere Simulationen, wie viel es an Marktprämien brauchen wird, gehen nun davon aus, dass wir nicht wesentlich von diesem Betrag abweichen werden“, lässt uns die Ministerin anlässlich des Trendforums von Oesterreichs Energie wissen.

Für Wolfgang Katzian als Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes bedeutet das „künftig genau hinzuschauen“, weil vor allem die Konsumenten zur Kasse gebeten werden. Er will die Entwicklung abwarten und gegebenenfalls nachbessern: „Möglichkeiten gibt es – etwa Kostendeckelungen für private Haushalte einzuführen oder aber doch einen Teil des notwendigen Budgets aus dem allgemeinen Steuertopf zu beziehen.“

Netzausbau ein Muss

Wolfgang Katzian ist für seine oft pointierten Aussagen bekannt. Dass der Gewerkschafts-Boss aber auch energiepolitisch den Überblick hat, ist den Wenigsten bewusst. Er ließ in der Runde der Energieexperten, die von Oesterreichs Energie zum Trendforum eingeladen wurden, aufhorchen, als er mit dem Satz „Wenn es zu keinem Netzausbau kommt, wird das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz ein Bauchfleck“, betonte, dass die Maßnahmen, die mit dem EAG zur Umsetzungen kommen sollen, wirkungslos bleiben werden, wenn man den Netzausbau nicht energisch vorantreiben würde.

Dem pflichtete insbesondere Mag. Dr. Michael Strugl bei. Der Verbund-Chef und aktuelle Präsident von Oesterreichs Energie – die Interessensvertretung der E-Wirtschaft – unterstrich die Notwendigkeit, die Infrastruktur auszubauen. Dazu müsse man aber auch mehr Akzeptanz in der Bevölkerung und in den Ländern erzielen. Und zwar nicht nur bezüglich eines Netzausbaus – den Österreichern müsse auch klar sein, dass der Ausbau von Windkraft, Photovoltaik und Wasserkraft auch Auswirkungen auf das Landschaftsbild und auf die Natur haben wird.

Laut Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, der vor allem auch Planbarkeit für seine Mitglieder fordert, werden für die 10 TWh Strom aus der Windkraft rund 1.000 zusätzliche Windräder in der Größenordnung von 150 m und höher notwendig sein. Knill gibt auch zu bedenken, dass man im Bereich der Wasserkraft fünf zusätzliche Kraftwerke mit der Dimension des Donaukraftwerkes Freudenau bis 2030 bauen und ans Netz bringen muss. Nicht zuletzt deswegen, weil das PV-Volumen, das notwendig ist, um die zusätzlichen 11 TWh aus diesem Bereich für das Ziel 100 % Strom aus erneuerbaren Energiequellen zu erzielen, mittlerweile auf ein 1 Million-Dächer-Programm angewachsen ist, betrachten manche Experten die zur Verfügung stehenden Flächen auf den Dächern Österreichs als nicht ausreichend. Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung, hatte dazu einen plakativen Vergleich parat – er meinte, dass man die Fläche aller 2.200 Felder der Fußballplätze Österreichs benötigen würde, um das Ausbauziel zu erreichen.

Ähnlich skeptisch reagierte Michael Strugl – er bezweifelte, dass tatsächlich so viel Dachflächen zur Verfügung stehen, um zusätzlich 11 TWh Strom aus Sonnenenergie bis zum Jahr 2030 zu gewinnen: „Wir werden in die Freiflächen gehen müssen – ein Abschlagfaktor, wie im neuen Gesetz für derartige Flächen vorgesehen, ist dem Ziel deswegen nicht zuträglich. Abgesehen davon gibt es Modelle, die in der Landwirtschaft erprobt werden, in denen festgestellt wurde, dass sich gewisse Pflanzen durch Beschattungen besser entwickeln“, so der Präsident von Oesterreichs Energie, der im Abschluss an sein Statement noch darauf hinwies, dass die Raumordnung eine Aufgabe der Bundesländerbehörden ist, die, so Strugl, „die Flächenwidmungen für Freiflächenanlagen genehmigen werden, oder eben nicht.“ Er glaubt, dass uns genau in diesem Punkt noch einiges an Überzeugungsarbeit bevorstehen wird.

Leonore Gewessler hingegen zeigte sich optimistisch: Sie meinte einerseits, dass österreichweit genügend Dachflächen in der Größe eines Fußballplatzes – vor allem auch auf Betriebsgebäuden – frei wären. Zum anderen betonte die Ministerin, dass die eigentliche Aufgabe erst nach Inkrafttreten des Gesetzes beginnt: „Wir werden den Ausbau, den wir hier definieren, auch tatsächlich auf den Boden bringen. Unsere Aufgabe als Ministerium wird es daher sein, gemeinsam mit den Ländern und den Steakholdern einen begleitenden Prozess aufzusetzen, um auch tatsächlich voranzukommen. Die Ziele umzusetzen, wird uns nur gelingen, wenn wir alle an einem Strang ziehen, wenn wir die Gemeinden, die Länder, den Bund, die Steakholder und die Bevölkerung mit an Bord haben. Deswegen war uns eine Ausgewogenheit im EAG so wichtig.“

Für die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie ist vor allem aber ein Argument schlagend – der mit dem Gesetz bevorstehende Bürokratieabbau: „Das neue EAG bietet mehr Transparenz und Vereinfachung – so gibt es künftig nur mehr eine Abwicklungsstelle, womit wir Verantwortlichkeiten klarer und Informationsaustausch leichter machen.“ Sie weist auch darauf hin, dass man „aus Fehlern vergangener Verfahren lernen möchte und in guten Verfahren Akzeptanz für die Umsetzung der Projekte schaffen will.“ Der Interpretation der Industriellenvereinigung, dass zusätzlich zum UVP-Verfahren nun auch eine strategische Umweltprüfung für die Netzinfrastruktur eingeführt wird, hält Gewessler entgegen, dass man damit endlich auch EU-rechtskonform ist.

Darüber hinaus setzt das neue EAG laut Ministerium auf ökologische Kriterien bei der Förderung ­– ein Beispiel dafür sind die von Michael Strugl kritisierten Abschläge für PV-Anlagen auf gewidmetem Grün- und Agrarland. Leonore Gewessler argumentiert eine derartige Maßnahme damit, im Umkehrschluss Projekte auf versiegelten Flächen wie Parkplätzen, Deponien und Ähnlichem besser forcieren zu können. „Das ist einer der Punkte, womit wir mehr Akzeptanz in der Bevölkerung erzielen wollen“, betonte die Ministerin.

DI Martina Prechtl-Grundnig, Geschäftsführerin Erneuerbare Energie Österreich sieht im Bereich der Photovoltaik noch Unklarheiten im Gesetzestext. Vor allem was die Reihungskriterien bei der PV-Förderung betrifft, gibt es aus ihrer Sicht Nachschärfungsbedarf.

Sorgenkind Netzreserve

Ein besonders großes Anliegen ist den Verantwortlichen die Versorgungssicherheit – sie sei, so Strugl, genauso wichtig wie Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit: „Es gibt im EAG-Entwurf in diesem Zusammenhang einige Punkte, über die man diskutieren muss. Das Engpassmanagement ist diesbezüglich der kritischste Punkt. Mit anderen Worten, wir brauchen Reservekapazitäten, die bei einem Engpass sofort abrufbar sind. Die Energiewirtschaft steht zur Energiewende – aber die Entwicklung hin zu den Erneuerbaren werden wir nur schaffen, wenn sowohl die Versorgungssicherheit als auch die wirtschaftliche Darstellbarkeit gewährleistet werden. Nicht auszudenken, wenn es zu Ausfällen kommt – das sind Kollateralschäden, die wirklich beträchtlich sind. Deswegen ist alles, was netzdienliches Verhalten belohnt, richtig. Um auch weiterhin eine Ausgewogenheit von Produktion und Verbrauch zu erreichen, werden wir Speicher, Infrastruktur und gesicherte Kapazitäten in der Reserve brauchen. All das sind entscheidende Punkte, die wir in Betracht ziehen müssen.“

Auf die Frage, ob jene, die Netzreserven zur Verfügung stellen, im neuen EAG schlechter aussteigen, antwortete Gewessler: „Wir haben diesbezüglich eine moderne Regelung auf den Weg gebracht, über die wir noch gerne diskutieren können. Im Grunde stellen wir die Netzreserve auf breitere Beine – einerseits über Erzeugungsanlagen und andererseits, dass wir kleineren Einheiten die Teilnahme an der Netzreserve ermöglichen. Ich bin überzeugt davon, dass dieses Gesetz die Versorgungssicherheit genauso ernst nimmt wie den Ausbau der Erneuerbaren Energien. Wir haben aktuell einen hohen Standard im Bereich der Versorgungssicherheit und den werden wir auch mit 100 % erneuerbarem Strom halten“, so die Ministerin, die betont, mit ihren Mitarbeitern ein Gesetz erarbeitet zu haben, das die Ziele auch erreichen will.

Ein Dorn im Auge?

Oesterreichs Energie – so Strugl – begrüßt, dass es neue Marktakteure in Form der Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaften gibt: „Wir hätten aber gerne, dass deren Aktivitäten auf der lokalen Ebene begrenzt bleiben. So wie der Gesetzesentwurf dokumentiert, reden wir allerdings von der Netzebene 5 – das sind bereits große Erzeugungsanlagen, deren Systeme sehr komplex und deshalb nicht einfach zu managen sind.“ Aus der Sicht von Strugl haben diese Energiegemeinschaften damit auch Ausgleichsenergie-Verantwortung zu tragen, damit die Netze stabil bleiben.

Martina Prechtl-Grundnig betrachtet diese Entwicklung durchaus positiv: „Wenn man hier einen positiven Schritt setzt und diese Energiegemeinschaften im System einbindet, wird man auch positive Effekte lukrieren.“ Es wird sich aus unserer Sicht letztendlich auszahlen, groß zu denken: „Energiegemeinschaften werden ein wesentlicher Hebel für die Energiewende sein.“

Auch Leonore Gewessler betrachtet die Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaften als ein Herzstück des neuen Gesetzes: „Ja, das ist ein komplett neuer Baustein im System. Aber ich denke, dass es hier extrem viel Potenzial nicht nur hinsichtlich der Zielerreichung gibt, sondern vor allem auch, was die Akzeptanz in der Bevölkerung betrifft. Werde Teil dieses gesellschaftlichen Großprojektes!“, lautet der Apell der Bundesministerin an die Bevölkerung.

Sportlicher Zeitplan

Geht es nach den Wünschen der Ministerin, soll das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz bereits Anfang 2021 in Kraft treten. Eine Einschätzung, die auch die anderen Teilnehmer am Trendforum mit ihr teilten – wenn auch nicht ganz so optimistisch wie die Ministerin. Leonore Gewessler hat sich übrigens heute bereits ein neues ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie will am 1.1.2031 darauf anstoßen, das 100 %-Ziel erreicht zu haben.

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2 Kommentare

Karl Tiran 18. September 2020 - 17:01

Was soll das sein, ein „Baufleck“?

Antworten
Thomas Buchbauer 18. September 2020 - 19:21

Lieber Karl Titan! Danke für den Hinweis – es war natürlich ein ”Bauchfleck“ gemeint. LG, die Redaktion

Antworten

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