Alles begann mit einer Idee – zur richtigen Zeit und auch am richtigen Ort: und zwar der Serienproduktion von Schaltschränken und ihrer Auslieferung ab Lager. Rudolf Loh legte damit 1961 den Grundstein für Rittal, heute das größte Unternehmen der Friedhelm Loh Group als renommierter Systemanbieter für Schaltschränke, Stromverteilung, Klimatisierung, IT-Infrastruktur sowie für Software und Service. Die österreichische Niederlassung existiert bereits seit 50 Jahren. Anlässlich des Jubiläums blickt Geschäftsführer Marcus Schellerer exklusiv für die i-Magazin-Leser auf die Erfolgsstory zurück.
Interview: Thomas Graf-Backhausen
Text: Mag. Sandra Eisner
Vor mittlerweile 50 Jahren, genauer im April 1974, wurde die Tochtergesellschaft Rittal Österreich gegründet, um den deutschen Serien-Schaltschrank auch hierzulande an den (österreichischen) Mann zu bringen. Nach dem Start in einem kleinen Wiener Büro folgte bereits nach wenigen Jahren die Übersiedelung in ein eigenes Gebäude mit Lager. Der Erfolgs- und Expansionskurs setzt sich rasant fort und so wurde 1996 die Zentrale in der Laxenburger Straße gebaut. Heute umfasst die Tochtergesellschaft vier Niederlassungen mit insgesamt rund 120 Mitarbeitern: Wien und Linz als Vertriebs- und Logistikcenter bzw. Graz und Lustenau als reine Vertriebscenter. Marcus Schellerer hat seit 2010 die Geschäftsleitung der Rittal GmbH inne; anlässlich des 50-jährigen Jubiläums sprach er mit dem i-Magazin über richtungsweisende Meilensteine und die Entwicklung der Unternehmensgeschichte von Rittal.
Herr Schellerer, unter welchen Umständen startete Firmengründer Rudolf Loh, der Vater des heutigen Inhabers und Vorstandsvorsitzenden der Friedhelm Loh Group, Prof. Friedhelm Loh, die Erfolgsstory von Rittal?
Marcus Schellerer: Rudolf Loh gilt als Erfinder des Serienschaltschranks. Er hatte 1961 die Idee, Gehäuse für elektrische Steuerungen erstmals in Serie zu produzieren und ab Lager auszuliefern. Als Teil des deutschen Wirtschaftswunders in den 50er- und 60er-Jahren traf er den Nerv seiner Zeit. Vier einfache Gehäusetypen waren damals der Beginn der Erfolgsgeschichte. Er verstarb leider 1974 in jungen Jahren – noch im selben Jahr wurde die Geschäftsführung für Rittal von seinem zweitgeborenen Sohn Friedhelm Loh übernommen.
Wann wurden die ersten Niederlassungen in anderen Ländern gegründet?
Schellerer: Im Jahr 1972 wurde in Schweden die erste Auslandstochtergesellschaft gegründet. 1974, also vor genau vor 50 Jahren, erfolgte dann die Gründung von Rittal Österreich.
Wie gestaltete sich die weitere Entwicklung von Rittal in Österreich?
Schellerer: Einer der großen Meilensteine fand Anfang der 90er-Jahre statt, als der erste fabrikgefertigte Anreihschrank PS 4000 als Weltsensation präsentiert wurde. Das war der Beginn der großen Erfolgsgeschichte von Rittal.
Herr Schellerer, wann kamen Sie zum Unternehmen und welche Erfahrungen brachten Sie mit?
Schellerer: Ich begann am 15. November 1996 als Verkaufsleiter für Österreich. Zuvor war ich bei Schneider Electric als Verkaufsleiter für die Region Ostösterreich tätig gewesen. Meine berufliche Karriere startete ich damals bei BBC in der Zentralkonstruktion Kraft-/Umspannwerke und wechselte dann in den Vertrieb von USV-Anlagen.
Wie hat sich der Vertrieb in den 1990er-Jahren gestaltet?
Schellerer: Der Vertrieb konzentrierte sich stark auf den klassischen Außendienst, man hat Bedarfsträger in den Bereichen Maschinenbau, Elektro-, Schaltanlagenbau besucht und über die Produktvorteile und Produkteigenschaften gesprochen. Unter anderem war es damals ein sehr wichtiges Thema, wie wir lackieren: Bis heute ist es einzigartig, dass wir unsere Rahmen tauchgrundieren. Dieser Vorgang kommt aus der Automobilindustrie, wobei der ganze Rahmen in ein Tauchbecken versenkt, dann herausgeholt und getrocknet wird. Die Flachteile werden ebenfalls grundiert und anschließend pulverbeschichtet. Über diese Themen wurde damals mit den Kunden gesprochen – über die Technologie und, was außerdem sehr wichtig war, die schnelle Verfügbarkeit ab unseren vier Lagerstandorten.
Was waren weitere wichtige Schritte in der Entwicklung von Rittal Österreich?
Schellerer: 1998 fiel der Startschuss für die strukturierte Verkabelung, die sogenannte Cat5-Verkabelung, alle großen Bürogebäude von Ministerien und Behörden mussten verkabelt werden. Rittal hat einen cleveren Schachzug gemacht und den Industrie PS 4000 entsprechend als 19-Zoll-Schrank mit einer Glastüre vorne adaptiert. Das war damals eine Sensation, dass wir hier so rasch eine Lösung anbieten konnten. Wir hatten damals bereits eine Werkstätte, ein Modifikations-Zentrum, wo unsere Serienprodukte zu einer gesamten Lösung zusammengeführt wurden, was uns speziell im IT-Bereich sehr gut geholfen hat. Im Jahr 2011 haben wir mit einer CNC-gesteuerten Bearbeitungsmaschine im Lager Linz begonnen, Flachteile auf unseren Schaltschränken zu bearbeiten. 2015 wurde das heutige Rittal Application Center, damals hieß es Kompetenzzentrum, in der Wiener Laxenburger Straße eröffnet. Dort wurde eine CNC-Maschine von Kiesling – heute heißt sie Rittal Perforex – installiert und wir hatten außerdem einen Kupferbiege- und Stanz-Halbautomaten von der Firma Alfra. Nach dieser IT-Wende war der nächste große Erfolgsschritt, dass wir für unsere Kunden Engineering-Leistungen im Bereich Niederspannungs-Hauptverteilanlagen erbracht und die notwendigen Flachkupferschienen auf unseren Stanz- und Biegemaschinen gebogen haben. Seit dem heurigen Jahr haben wir eine vollautomatisch CNC-gesteuerte Kupferstanz- und Biegemaschine der Firma Ehrt installiert, wobei wir direkt aus den Eplan-Daten die Maschine ansteuern und dort die Winkel biegen.
Herr Schellerer, Sie sind seit April 2010 Geschäftsführer von Rittal Österreich. Wie haben Sie das Unternehmen weiterentwickelt und ihm zur heutigen Größe von rund 120 Mitarbeitern verholfen?
Schellerer: Die Entwicklung war natürlich geprägt von der Technologie. Die technologischen Fortschritte brachten Veränderungen in der Vertriebsorganisation, im Vertriebsansatz, aber auch bei den Produkten hervor. Aufgrund der Größe und Breite unseres Portfolios war es irgendwann nicht mehr möglich, dass jeder Außendienstmitarbeiter jedes technische Detail kennt und entsprechend gut beraten kann. Und so haben wir heute Vertriebsspezialisten, Vertriebsexperten für Stromverteilung, Kühlgeräte, IT etc. und können deshalb den Kunden eine kompetente Beratung ermöglichen. Mit der Ausweitung unseres Portfolios in die Spezialisierung und mit dem wachsenden Volumen ergab sich natürlich auch die Notwendigkeit, die Lagerkapazitäten auszubauen. Deshalb haben wir in Linz neu gebaut und ein großes Lager installiert. Auch das Modification-Center wurde ausgebaut, ebenso wie die Engineering- und die Beratungs-Abteilungen.
Unsere gesamte Wirtschaft wird von zwei Megatrends geprägt: der Mobilitätswende und dem Thema Photovoltaik. Was hat Rittal in diesen Themenbereichen zu bieten?
Schellerer: Beim Thema E-Mobility denken wir in größeren Dimensionen. Für den Bereich Energie, Produktion, Verteilung im Niederspannungsnetz haben wir entsprechende nach EN 61439 geprüfte Schaltanlagen, direkt am Frontend bei den Ladestationen bieten wir keine Lösungen an. Im Bereich PV-Anlagen haben wir eine Plug-and-play-anschlussfertige Leistung, der sogenannte PV-AC-Sammler, der in einem unserer Standardgehäuse eingebaut ist, mit einer passenden Stromverteilung und auch das System ist entsprechend geprüft.
Ihrer Einschätzung nach: In wie vielen österreichischen Schaltschränken herrscht heillose Unordnung, würde man hineinschauen?
Schellerer: Ich glaube, dass in den letzten Jahren durch die EN 61439 für die Niederspannungs-Hauptverteilanlagen sehr sauber und ordentlich gearbeitet wurde und wird. Ich glaube, Probleme entstehen erst im Betrieb, wenn etwas umgebaut wird. Dafür hat Rittal eine digitale Lösung, nämlich die digitale Schaltplantasche ePocket: Gemeinsam mit den Lösungen von Eplan kann die Maschinen- und Anlagendokumentation immer aktuell gehalten werden, und zwar direkt von jedem Gerät aus.
Blicken wir nun in die Zukunft. Wie wird sie sich Ihrer Ansicht nach gestalten und wohin führt der Weg auch von Rittal?
Schellerer: Die Zukunft gestaltet sich entlang der Wertschöpfungskette. Dieser Weg beginnt bei unserem Schwesterunternehmen Eplan mit dem CAD-System, führt dann zu den Produkten und zur Bearbeitung, wo wir heute die CNC-gesteuerten Fräsmaschinen Perforex anbieten, einen Laser speziell für Edelstahl-Anwendungen, aber auch Stahlblech, Kupferbiege- und Stanzzentren. Es folgt dann das Wire-Terminal, wo man vollautomatisch Drähte unterschiedlichster Farben und Querschnitte abisolieren, ablängen, bedrucken kann und Aderend-Hülsen aufcrimpen. All das wird dann in Drahtschienen abgelegt, wo der Schaltanlagenbauer diese Drähte genau nach seinem mit Eplan gezeichneten Plan entnehmen kann. Somit ist der Megatrend bei uns in der Friedhelm Loh Gruppe der digitale Zwilling, die Digitalisierung. Und mit diesen Schritten wollen wir unseren Kunden helfen, wettbewerbsfähiger zu werden sowie dem Facharbeitermangel ein Stück weit entgegenzuwirken und auch den hohen Lohnkosten. Natürlich geht es jedoch auch bei den Produkten weiter. Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit dem Thema Klimatisierung in der IT-Welt, also IT-Infrastruktur-Welt. Wir sind auch von der EU gefordert, uns Lösungen zur F-Gase-Verordnung zu überlegen. Im Bereich der Outdoor-Schränke gibt es immer wieder neue Ideen, um anreihbare Lösungen zu entwickeln, die den Umweltbedingungen standhalten. Auch im Bereich Stromverteilung entwickeln wir ständig weiter, sodass wir unseren Kunden Lösungen anbieten können, die ihnen Montagezeit sparen.
Und wie ist es um das Thema Künstliche Intelligenz bestellt?
Schellerer: KI wird im Office-Bereich verwendet, in der Produktion sind wir noch weit entfernt davon. Nahe dran wiederum sind wir an der Digitalisierung in der Produktion, auch da gibt es ein Schwesterunternehmen: Die German Edge Cloud macht sich mit dem Monitoring-System Oncite Gedanken darüber, wie ein produzierendes Unternehmen zum Beispiel dann produzieren kann, wenn der Strom am billigsten ist.
Kommen wir nun zum Thema Fachkräftemangel und Ausbildung: Sind Sie aktuell auf der Suche nach speziellen Mitarbeitern?
Schellerer: Wir suchen immer wieder nach gut ausgebildeten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, vor allem im Bereich Elektrotechnik und Maschinenbau, aber auch für den Office-Bereich. Fachkräfte sollen jedoch nicht nur Aufträge erfassen und sozusagen auf der Tastatur flink sein, sondern auch den Kunden im First-Level-Bereich beraten können. Wenn HTLs für ihre Laboratorien Unterstützung brauchen, stellen wir gerne immer wieder Material zur Verfügung. Wir zeigen auch auf den Messen unsere Möglichkeiten und halten den ein oder anderen Fachvortrag in einer HTL. So suchen wir den direkten Kontakt zur nächsten Generation an Fachleuten.
Gibt es von Ihrer Seite einen Wunsch an die Politik, wohin Investitionen in Zukunft fließen sollten, um das Land technologisch voranzubringen?
Schellerer: Wir müssen in Österreich vor allem auf die Lohnstückkosten achten. Hier liegt Österreich 20 Prozent über dem EU-Schnitt. Das geht zu Lasten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Es wäre wünschenswert, wenn man sich in der Politik zu einer klaren Linie bekennen würde, sei es beim Elektroauto, Photovoltaik, Windräder etc. Dem Thema Förderungen stehe ich eher kritisch gegenüber, denn wenn alles gefördert werden muss, dann passt das grundsätzliche Wirtschaftsmodell einfach nicht mehr. Man muss ein Stück weit zur Kostenwahrheit kommen. Natürlich bedarf es einer Anschubförderung, da alles, was neu ist, zunächst bei der Erstentwicklung, der ersten Installation, der Markteinführung mehr Geld kostet, bis in weiterer Folge schließlich Skaleneffekte genutzt werden können. Sehr wichtig ist auf jeden Fall, für unsere Kinder und Enkelkinder eine lebenswerte Umwelt zu erhalten. Umweltschutz darf jedoch kein Wettbewerbsnachteil für Europa werden, und somit ist die Politik gefordert, speziell mit ihren Kollegen aus Asien einen guten Weg zu finden, damit der österreichische Markt nicht von asiatischen Produkten überschwemmt wird.
Gibt es abschließend Wünsche Ihrerseits anlässlich des heurigen Jubiläums?
Schellerer: Ich wünsche unserem Unternehmen eine weiterhin gute Entwicklung, so wie die letzten 50 Jahre. Ich möchte mich außerdem bei unseren Kunden ganz herzlich für 50 Jahre Treue bedanken. Ich wünsche mir, dass sie uns weiterhin fordern, damit wir fortlaufend innovative Produkte für den Mehrwert beim Kunden entwickeln können.
Herr Schellerer, vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Informationen auf: www.rittal.at