Mit der Energiewende ändern sich nicht nur die Technologien, mit denen wir Elektrizität erzeugen, sondern auch die Stromnetze. Statt einiger Dutzend Großkraftwerke speist heute ein riesiger Schwarm das Versorgungsnetz: Mehrere Tausend Windparks und über 2,6 Millionen Photovoltaik-Anlagen gibt es allein in Deutschland – Tendenz rapide steigend. Die Stromerzeugung wird dadurch wetterabhängig: Bei Windstille oder starker Bewölkung kann der Strombedarf das Angebot übersteigen, was zu Engpässen und schlimmstenfalls sogar zu Blackouts führen könnte. Um die Netzfrequenz stabil bei 50,2 Hertz zu halten, brauchen Netzbetreiber Ertragsprognosen. Künstliche Intelligenz (KI) hilft dabei, diese hochkomplexen Informationen zu verarbeiten und in das Energiesystem zu integrieren.
Schon das heutige Versorgungsnetz mit Millionen Solaranlagen, Wallboxen und Wärmepumpen, Heimspeichern und künftig rückspeisefähigen Autoakkus ist so komplex, dass Energieversorger und Netzbetreiber ohne die Digitalisierung ihrer Systeme verloren wären. Je genauer sie wissen, wieviel Strom wann wo erzeugt, eingespeist und vom Verbraucher benötigt wird, desto präziser können sie ihr Angebot an den Bedarf anpassen. Und desto größer ist ihre Wirtschaftlichkeit, denn das Ausgleichen von Fehlmengen ist teuer. Wenn sich in ihrem Bilanzkreis Verbrauch und Erzeugung nicht decken, müssen Versorger Ausgleichenergiezahlungen leisten. Je präziser also die Wetter- und damit die Ertragsprognosen von Windkraft- und Solaranlagen, umso mehr Erfolg haben die Unternehmen. Wer den Eigenverbrauch mit Hilfe von Batterien oder steuerbaren Verbrauchern wie Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen optimieren will, braucht ebenfalls Prognosen, um zu entscheiden, wofür der Strom jeweils genutzt werden soll. Auch für das Energiemanagement von Gebäuden sind genaue Wettervorhersagen entscheidend.
Wetterbericht für die Energiewirtschaft
Auf der EM-Power Europe, der internationalen Fachmesse für Energiemanagement und vernetzte Energielösungen, präsentieren Unternehmen aus aller Welt ihre Digitalisierungskonzepte sowie innovativen Technologien und Dienstleistungen für das optimierte Netz der Zukunft. „Machine Learning und KI spielen bei der Prognose der Sonnenstrahlung eine wesentliche Rolle“, erklärt Jan Remund, Leiter der Abteilung Energie und Klima beim Schweizer Wetterdienstleister Meteotest AG. Mithilfe einer Kombination aus physikalischem Modell und selbstlernenden Algorithmen auf Basis von Satellitenbildern kann das Unternehmen Wolkenbewegungen vorhersagen. „Für einige Stunden im Voraus geht das ziemlich genau. Je länger der Zeitraum, desto größer die Unsicherheit“, erklärt Remund. Seine Firma erhebt Strahlungs- und Temperaturdaten und erstellt mit deren Hilfe Analysen, Profile und Prognosen, die sich in die jeweilige Monitoring- oder Steuersoftware von Photovoltaik-Anlagen integrieren lassen. Die Kalkulation der Solarstrahlung auf Grundlage der Wetterprognosen können Unternehmen dann mit speziellen Programmen selbst durchführen oder einkaufen.
Netzbetreiber benötigen die Strahlungsvorhersagen, um auf Basis von Erzeugungs- und Verbrauchsprognosen Ein- und Ausspeisung im Stromnetz jederzeit ausgleichen zu können. Der süddeutsche Monitoring- und Prognose-Spezialist meteocontrol erstellt Ertragsberechnungen auf Grundlage der Daten verschiedener Wetterdienstleister. Das Unternehmen beschäftigt sich darüber hinaus mit der Frage, welchen Einfluss Aerosole wie Asche und Sandkörner auf die Wolkenbildung
haben. „Am 3. und 4. März 2021 wurde im Rahmen unseres Forschungsprojektes „PermaStrom“ besonders deutlich, wie wichtig dieses Thema ist“, sagt Stijn Stevens, Geschäftsführer von meteocontrol. „An diesen zwei Tagen gab es sehr viel Saharastaub in Europa. Allein in Deutschland konnten durch optimierte Prognosen rund drei Millionen Euro an Ausgleichsenergiekosten gespart werden.“
Durch die Integration von smarten Applikationen und KI entsteht eine digitale Schwarmintelligenz des Versorgungsnetzwerks. Indem Betreiber Prognosen über Stromerzeugung und -verbrauch mit der Leistung herkömmlicher Kraftwerke kombinieren, können sie vorhersagen, wann und wo ihre Leitungen und Trafos an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stoßen, und so entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Prosumer: unterschätzte Schlüsselfiguren
Im Energiesystem der Zukunft werden Prosumer eine wichtige Rolle spielen: So können zum Beispiel Privatpersonen und -haushalte, die überschüssigen Strom aus Elektroautos ins Netz einspeisen, entscheidend zu dessen Stabilisierung beitragen. Die Firma Hive Power bietet eine Software für die vorübergehende Rückspeisung von Strom aus den Akkus von Elektrofahrzeugen ins Netz, genannt Vehicle-to-Grid. Auch hierbei hilft Künstliche Intelligenz: Die Software lernt, wann Fahrzeuge genutzt werden und wann sie freie Kapazitäten haben, sodass sie Strom ins Netz einspeisen können. So können Prosumer bis zu 1.000 Euro jährlich dazuverdienen.
Smarte Technik für Gebäude
Auch für das Energiemanagement von Gebäuden sind Wetter- und Ertragsprognosen entscheidend. Bei Sonne können Wärmepumpen den Heizungsspeicher aufladen und die Energie abends in den Heizkreislauf abgeben. Mit der richtigen Software übernehmen die Wärmepumpen die Ertragsprognosen vom Energiemanagementsystem in ihre Einsatzplanung. So kann zum Beispiel verhindert werden, dass die Wärmepumpe den Wärmespeicher mit Netzstrom durchwärmt, wenn die Sonne nur eine Stunde später genügend Energie dafür liefert. Auch das Laden von Elektroautos lässt sich oft so timen, dass der Anteil von Solarstrom maximiert wird. Nach dem gleichen Prinzip arbeiten die Systeme der Firma Solar-Log. Sie sorgen für eine optimale Eigenstromnutzung von Bürogebäuden und Industrieanlagen durch Batteriespeicher und flexible Verbrauchsgeräte wie Wärmepumpen oder Ladesäulen.
Neben den genannten Unternehmen präsentieren auf der EM-Power Europe vom 14.–16. Juni in München zahlreiche weitere Aussteller ihre Lösungen aus den Bereichen Wetter- und Ertragsprognosen, Netzanbindung, Monitoring und Analysesoftware. Noch mehr Know-how zu den Möglichkeiten von Forecasting und Monitoringsystemen erhalten Messebesucher auf dem EM-Power Forum in der Session „Forecasting & Monitoring: Immer einen Schritt voraus sein“.
Die EM-Power Europe sowie die Parallelveranstaltungen Intersolar Europe, ees Europe und Power2Drive Europe finden vom 14.–16. Juni 2023 im Rahmen Europas größter energiewirtschaftlicher Plattform The smarter E Europe auf der Messe München statt.
Weitere Informationen auf www.em-power.eu und www.TheSmarterE.de
Quelle: fischerAppelt, relations GmbH