Es ist eine Zeit der multipler Krisen – die Folgen der Corona-Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und der fortschreitende Klimawandel stellen uns vor große Herausforderungen. Durch den Krieg in der Ukraine sind vor allem Fragen der Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln, Energie oder Rohstoffen in den Mittelpunkt gerückt. Das Ökosoziale Forum diskutiert daher bei der 70. Wintertagung von 17. bis 26. Jänner mit über 120 renommierten Expertinnen und Experten Lösungen für ein nachhaltiges Ernährungssystem, eine leistungsfähige Land- und Fortwirtschaft sowie eine hohe Versorgungssicherheit im Energiebereich auf Basis einer Kreislaufwirtschaft.
Pernkopf: Klimaeffizienz ist ein Argument für heimische Produkte
Der Präsident des Ökosozialen Forums, Stephan Pernkopf, betont, dass kritische Produktion in Europa gehalten oder zurückgeholt sowie auf geschlossene, regionale Kreisläufe gesetzt werden müssen, um selbst eine hohe Versorgungssicherheit zu gewährleisten: „Lebensmittel sind ein besonders kritischer Bereich. Wir regen daher an, nach dem Vorbild der Schweiz und gemeinsam mit der Wirtschaft eine Vorratshaltung für wichtige Lebensmittel, aber auch für Betriebsmittel und Medikamente einzuführen“, so Pernkopf. Er stellt zudem klar, dass die Bäuerinnen und Bauern in der Lage sind, die Menschen zu ernähren. „Man muss sie nur lassen. Es geht nicht an, dass ständig gefordert wird, Flächen stillzulegen, weniger Lebensmittel zu produzieren und dafür aus anderen Erdteilen zu importieren. Damit importieren wir auch Krisen, Unsicherheiten und niedrigere Umwelt- und Sozialstandards. Wir haben eine Verantwortung über Europa hinaus. Wir müssen mehr und nicht weniger produzieren, um die Versorgungssicherheit zu halten und zu stärken. Wann wenn nicht jetzt, und wo, wenn nicht hier?“
Das Ökosoziale Forum hat zudem 2021 gemeinsam mit dem WIFO, der Universität für Bodenkultur und dem Umweltbundesamt eine Studie durchgeführt, die belegt, dass österreichisches Rindfleisch weltweit den geringsten CO2-Fußabdruck hat. „Das heißt nicht nur die Versorgungssicherheit ist ein Argument für österreichische Produktion, sondern auch die Klimaeffizienz“, so Pernkopf. Beim Getreide punkten Österreichs Landwirtinnen und Landwirte auch mit einer nachhaltigen Produktion. Sie können einen verhältnismäßig hohen Getreideertrag mit ca. einer Tonne pro Hektar über dem EU-Schnitt bei geringem Düngeaufwand vorweisen. Die Klimaeffizienz wird durch neue Zahlen des Wifo belegt: Demnach kommt Österreich im Bereich der CO2-Äquivalente auf 1,68 kg pro Euro Wertschöpfung – in Deutschland sind es um 20 Prozent mehr. „Österreich wird ständig besser und konnte sich in den letzten 20 Jahren um 20 Prozent verbessern“, unterstreicht Pernkopf. Der Trend ist v.a. in der Milchproduktion nachweisbar, bei der man sich von 0,98 kg CO2 pro kg Milch im Jahr 1990 auf 0,52 kg im Jahr 2022 verbessern konnte.
Pernkopf betont dazu: „Halten wir die Produktion von Lebensmitteln und klimafreundlichen Energieressourcen in Europa und gestalten wir diese Produktion so effizient und umweltschonend wie möglich nach den Prinzipien der Ökosozialen Agrarpolitik in Österreich. Das heißt, das große Ganze zu sehen und in allen Bereichen vom Umweltschutz und der Klimaverträglichkeit über die Wirtschaftlichkeit bis hin zum Sozialen anzupacken. Wir können uns nicht auf Länder verlassen, die vielleicht morgen die Lieferung einstellen.“
Totschnig: Landwirtschaft ist kreativ, innovativ und umweltbewusst
Norbert Totschnig, Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft, sieht Österreich mit der ökosozialen Agrarpolitik auf dem richtigen Weg: „Die vergangenen Krisenjahre haben gezeigt, dass unsere kleinstrukturierte Land- und Forstwirtschaft ein Erfolgskonzept ist. In Österreich ist die Lebensmittelversorgung derzeit gesichert – das verdanken wir unseren Bäuerinnen und Bauern sowie der gesamten Wertschöpfungskette. Bei Medizinprodukten sehen wir gerade, wie schnell eine Knappheit aufgrund einer Import-Abhängigkeit entstehen kann. Das darf bei Lebensmitteln nicht passieren. Die Lebensmittelversorgungssicherheit bleibt daher meine Priorität. Die neue Gemeinsame Agrarpolitik ist ein Schlüsselfaktor, um dieses Ziel zu erreichen. Sie schafft Planungssicherheit für Versorgungssicherheit“, so Totschnig.
„Die ersten Zahlen zur Teilnahme am neuen Agrarumweltprogramm zeigen, dass wir mit der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik am richtigen Weg sind. Wir verzeichnen bereits über 90.000 Anträge – und damit mehr, als im Vorjahr. Unsere Bäuerinnen und Bauern nützen also die Angebote in Richtung Klima, Artenvielfalt und Tierwohl. Damit setzen wir den Weg unserer Qualitätsstrategie fort und sichern die Lebensmittelversorgung weiter ab. Die Teilnahme der Bäuerinnen und Bauern am Agrarumweltprogramm 2023 ist ein voller Erfolg.“
Abschließend plädierte Totschnig für mehr Zukunftsoptimismus: „Wir haben mit der GAP, mit den Entlastungspaketen der Bundesregierung und den zusätzlichen Unterstützungsmaßnahmen für die Land- und Forstwirtschaft bestmögliche Rahmenbedingungen, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Wir haben funktionierende Wertschöpfungs- und Lieferketten. Die Gasspeicher sind gefüllt. Unsere Bäuerinnen und Bauern sind kreativ, innovativ, gut ausgebildet und immer digitaler unterwegs. Auch im Bereich der Energieversorgung haben wir große Potenziale mit Biomasse, Biogas und Photovoltaik. Entscheidend ist, dass wir diese Chancen nützen, um gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Das geht nur mit Optimismus und Zuversicht.“
Obersteiner: Reduktionsziele werden mit zirkulärer Bioökonomie erreicht
Michael Obersteiner, Direktor des Environmental Change Institute der Oxford Universität, unterstreicht, dass Österreich viel geschafft hat, aber weiterhin Herausforderungen wie Klimawandel, Biodiversität und Versorgungssicherheit zu lösen sind. „Wir müssen ambitionierter und innovativer werden. Bis jetzt haben wir Politikmaßnahmen aus der Ökonomie angewandt, nun haben wir eine Transformation hin zu ambitionierten Zielen v.a. im Klimabereich. Die Emissionen müssen nicht nur sinken, sondern sie müssen negativ werden. Wir müssen die Politik also effizienter gestalten und erfinderischer sein, vor allem was technologische Lösungen anbelangt. Dabei geht es aber nicht um Einzellösungen, sondern das Gesamtsystem.“
In der Forschung steht aktuell die zirkuläre Bioökonomie im Fokus, die die Zielerreichung ermöglichen wird, so Obersteiner: „Das fängt bei Biogas an, aber im Verbund mit der Materialwirtschaft und den erneuerbaren Energien. Dabei wird Kohlenstoff aus pflanzlicher Biomasse dazu verwendet, den Wasserstoff zu tragen, der aus den erneuerbaren Energien kommt. Den Wasserstoff nur aus der Biomasse zu holen, wird nicht ausreichen. Zudem müssen wir CO2 aus der Atmosphäre holen und in die Böden und geologischen Formationen bringen. Aber eines muss klar sein: Das macht nur Sinn, wenn man es global macht. Dann schaffen wir Sprung von der klassischen Ökonomie zur Transitionsökonomie, mit der man eine systemische Resilienz erreichen kann.“ Er betont jedoch auch, dass die notwendigen Technologien, um mit fossilen Energien konkurrenzfähig zu sein, noch fehlen bzw. aktuell entwickelt werden. Als ein weiteres Ziel nennt Obersteiner die Reduktion und Flexibilisierung des Konsums in Europa, was der Gesundheit zugutekommt und im Sinne mit der Solidarität mit anderen Regionen ist.
70. Wintertagung: vor Ort oder online mitdiskutieren
Die Wintertagung des Ökosozialen Forums findet 2023 erstmals als hybride Veranstaltung statt. Damit können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor Ort und online mitdiskutieren. Die Videos der Vorträge und Diskussionen sind zudem im Anschluss in der Wintertagungs-Mediathek abrufbar. Die Expertinnen und Experten analysieren dabei den Status quo, stellen Lösungsansätze vor und erörtern gemeinsam Wege für eine zukunftsgerichtete Kreislaufwirtschaft in der Land- und Forstwirtschaft, dem Ernährungssystem sowie im Energiebereich.
Weitere Informationen auf www.oekosozial.at
Quelle: Ökosoziales Forum