Der Bericht zeigt, dass bei Reduzierung nur einer Teilmenge dieser Hemmnisse das weltweite Bruttoinlandprodukt (BIP) um 4,7 Prozent und die weltweiten Exportgeschäfte um 14,5 Prozent gesteigert werden könnten. Im Vergleich dazu würde ein Verzicht auf alle Einfuhrzölle das BIP um nur 0,7 Prozent und den Welthandel um 10,1 Prozent steigern.
In Indien wird jeder Transport statistisch gesehen 36-mal gestoppt weil etliche Bundesstaaten Kontrollen durchführen. In den USA kommt es bei fast jeder dritten Azetyl-Chemikaliensendung zu Verzögerungen, die Standgelder in Höhe von bis zu 60.000 US-Dollar pro Tag zur Folge haben. EBay könnte nach eigenen Angaben bis zu 10 Milliarden US-Dollar mehr Umsatz machen, wenn das grenzüberschreitende Geschäft weniger kompliziert und damit weniger kostenintensiv wäre. „Zölle sind nicht das Haupthandelshemmnis. Es geht vielmehr um die Gesamtkosten der Lieferkette“, sagt Armin Schmiedeberg, Partner bei Bain & Company und Leiter der europäischen Praxisgruppe Industrial Goods & Services. „Werden Abläufe international reibungsloser gestaltet, setzt das enorme Potenziale frei. Es werden weniger Ressourcen verschwendet und die Handelsfirmen arbeiten effizienter – was wiederum Preissenkungen für Verbraucher und Unternehmen ermöglicht.“
Die Lieferkette geht Staaten ebenso an wie Unternehmen
Insgesamt 18 Fallstudien belegen, dass Hindernisse in der Lieferkette mittlerweile gewichtigere Handelsbarrieren darstellen als Zölle, die ohnehin den tiefsten Stand seit 30 Jahren erreicht haben. Ineffizienzen und Nadelöhre behindern die weltweiten Lieferketten und stellen sich als weitaus größeres Hindernis für grenzüberschreitende Waren- und Dienstleistungsströme heraus. Einige Beispiele:
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Im Nahen Osten verzögern Beschränkungen durch Ursprungsbezeichnungen oder Diebstahl die Grenzabfertigung von Technologiegütern. Mehrkosten von 6 bis 9 Prozent.
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In Brasilien kann die Abwicklung der Zollformalitäten beim Export von Agrarrohstoffen bis zu zwölfmal so lange dauern wie in der Europäischen Union (einen ganzen Tag statt zwei Stunden).
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In Madagaskar können Behinderungen in der Lieferkette bis zu 4 Prozent vom Umsatz eines Textilproduzenten ausmachen, weil höhere Frachtkosten anfallen und größere Lagerbestände vorgehalten werden müssen.
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Mit der Einführung elektronischer Meldeverfahren in der Luftfrachtbranche könnten jährlich zwölf Milliarden US-Dollar gespart und bis zu 80 Prozent der Verspätungen vermieden werden, die durch papiergebundene Abwicklung entstehen.
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Eine Lockerung der Regeldichte im internationalen Handel, die kleine und mittelgroße Unternehmen beim Internetverkauf beschäftigt, könnte die grenzüberschreitenden Verkäufe in diesem Segment um bis zu 80 Prozent steigern.
Hindernisse und Kosten identifizieren
International agierende Unternehmen müssen ergründen welche Hindernisse in der Lieferkette Kosten verursachen. Unternehmen sollten daher bei der Bewertung von Investitionsentscheidungen und operativen Maßnahmen nicht nur Faktoren wie Arbeitslöhne und Rohstoffkosten einkalkulieren. „Eine Fallstudie aus der Bekleidungsindustrie zeigt, wie Verzögerungen, inkonsequente Anwendung von Vorschriften und Infrastrukturprobleme Lohnkostenvorteile regelrecht zunichtemachen“, sagt Bain-Partner Schmiedeberg. „Verzögerungen verursachen eine aufgeblähte Vorratshaltung mit höheren Lagerkosten, gleichzeitig steigt die Gefahr von überschrittenen Verfallsdaten, Diebstahl und Lagerengpässen.“
Enormes Potenzial bei der Schaffung von Arbeitsplätzen
Insbesondere Afrika und Südostasien könnten von besser organisierten internationalen Lieferketten profitieren und ihr BIP steigern, denn positive Effekte wären über diese Länder gleichmäßiger verteilt als Gewinne aus Zollsenkungen. Darüber hinaus könnten weltweit Millionen neuer Arbeitsplätze entstehen: Reibungslose Lieferketten könnten für ein Wachstum des globalen BIP von 4,7 Prozent und 137 Millionen Arbeitsstellen sorgen, haben die Verfasser des Berichts errechnet. Selbst bei einer weniger radikalen Vereinfachung der globalen Lieferketten und einem moderaten Wachstum von 2,6 Prozent könnten noch 23 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen.
Staatliche Stellen einrichten
Für politische Entscheidungsträger folgt daraus, dass sie die Anstrengungen, die Leistungsfähigkeit der Lieferketten zu steigern, verstärken müssen, wenn sie das volle wirtschaftliche Potenzial des Welthandels erschließen wollen. „Unsere Modellrechnungen zeigen, dass Verbesserungen erst spürbar werden, wenn ein gewisses Maß an Deregulierung überschritten ist. Halbherzige Ansätze und Stückwerk funktionieren erfahrungsgemäß nicht“, sagt Bain-Partner Schmiedeberg.
Der Bericht »Enabling Trade: Valuing Growth Opportunities« empfiehlt Regierungen, die gesamte Lieferkette im Auge zu behalten. Sie sollten eine zentrale Anlaufstelle einrichten, die Vorschriften koordiniert, welche die Lieferketten direkt beeinflussen. Eine solche Stelle könnte öffentlich-private Partnerschaften aushandeln, Daten erheben und analysieren und dafür sorgen, dass Handelsvereinbarungen spürbare Veränderungen bringen. Besonders im Fokus sollten Erleichterungen für kleine und mittlere Unternehmen stehen, die, aufgrund ihrer Logistik und damit verbundenen Transaktionskosten, verhältnismäßig größeren Hürden im internationalen Handel gegenüberstehen.
Wichtig wäre zudem eine globale Initiative mit dem Ziel, bislang papierbasierte Berichtssysteme und Grenzdokumente zu digitalisieren und entsprechende IT-Systeme einzurichten. „Regeln und Sicherheitskontrollen im internationalen Handel müssen sein. Doch vielerorts sind Bürokratie, Verzögerungen, Formularwirrwarr und der Mangel an Standards viel schwerer wiegende Handelshemmnisse als Importzölle“, sagt Schmiedeberg. „Diese Hindernisse abzubauen, senkt nicht nur Kosten für die Unternehmen sondern schafft Arbeitsplätze und damit neue wirtschaftliche Chancen für Menschen in aller Welt.“