Die Ökobilanz von Gebäuden soll nach dem Willen der Europäischen Union in Zukunft noch mehr Gewicht bekommen. Die EU-Taxonomie schafft hierfür systematische Grundlagen, indem sie Kriterien für die Bewertung von Investitionen definiert, unter anderem für das Taxonomie-Ziel »Klimaschutz«. Forschende vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP haben nun gemeinsam mit einem Geschäftspartner eine Software-Suite entwickelt, die ökologische Kennzahlen und die ökonomische Kalkulation für Investitionen kombiniert. Das hat direkten Einfluss auf die Kreditvergabeentscheidung von Banken, denn künftig muss bei nicht-grünen Investitionen mit Zinsaufschlägen gerechnet werden.
Umweltschutz und Nachhaltigkeit werden auch für Immobilienkäufer und Häuslebauer immer wichtiger. Die Europäische Union hat mit der im Juli 2020 in Kraft getretenen EU-Taxonomie ein Klassifizierungsverfahren für die Bewertung von Investitionen geschaffen und damit den Druck auch auf die Immobilienbranche und den Bankensektor erhöht, beim Bau und der Sanierung von Gebäuden noch mehr Gewicht auf die Ökobilanz und die damit verbundenen Folgen für den Marktwert der Immobilien zu legen. Dazu müssen aber die ökologischen und die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen miteinander verknüpft werden. Zwar gibt es für beide Bereiche jeweils anerkannte Methoden zur systematischen Bewertung. Doch diese Wertungsmodelle operieren bisher getrennt voneinander, eine systematische Gesamtschau fehlt bislang.
Forschende am Fraunhofer IBP und ein Expertenteam des Software- und Beratungsunternehmens msg GillardonBSM AG wollen dies nun ändern. Gemeinsam haben die beiden Partner eine Software-Suite entwickelt, die eine differenzierte Ökobilanz und die wirtschaftliche Gesamtrechnung von Gebäuden in einem umfassenden Bewertungsmodell zusammenfasst. Großen Projektentwicklungsgesellschaften und Bauträgern, aber auch Kreditinstituten, die Immobilien als Sicherheiten bei der Kreditvergabe nutzen, steht nunmehr ein Planungs-Tool inklusive Risikoabschätzung der Immobilie zur Verfügung, das die relevanten ökologischen und wirtschaftlichen Kennzahlen in einer zusammenhängenden Darstellung präsentiert. Dies dient den Banken als objektive Grundlage bei der Vergabe eines Kredits.
Software Generis erstellt die Ökobilanz
Im ersten Schritt kommt das Software-Tool Generis des Fraunhofer IBP zum Einsatz. Es ermöglicht die lebenszyklusorientierte Planung und Abbildung von Bauwerken. Hier kommt die jahrzehntelange Erfahrung der Fraunhofer-Experten im Bereich Nachhaltigkeit, insbesondere beim umweltfreundlichen Bauen ins Spiel. Dazu gehört beispielsweise die genaue Kenntnis aller eingesetzten Baustoffe. Dr.-Ing. Robert Ilg aus der Geschäftsfeldentwicklung am Fraunhofer IBP und Experte für ganzheitliche Bilanzierung, erklärt: »Mit Generis können wir für unterschiedliche Gebäudetypen eine detaillierte Ökobilanz erstellen. Dabei fließen die Kennzahlen aller relevanten Komponenten wie beispielsweise Baustoffe, Fassadenwerkstoffe, Isolation- und Dämmmaterial oder der geplante Heizungstyp in die Bewertung über den gesamten Lebenszyklus mit ein.« Die erstellte Ökobilanz beruht auf den DIN-Normen DIN EN ISO 14040 und DIN EN ISO 14044.
Die Fraunhofer-IBP-Expertinnen und -Experten greifen hierbei auf Datenbanken vieler Baustoffe zurück. Die Software bietet die Möglichkeit, aus einem umfangreichen Katalog mit Standardkonstruktionen ein Gebäude zu modellieren, zusätzlich die vorkalkulierten Betriebsparameter einzugeben und im Anschluss das Bauvorhaben auszuwerten. Auf dieser Grundlage ist es gleichzeitig möglich, individuelle Konstruktionen inklusive Schichtaufbauten anzulegen und in das anstehende Bauprojekt einzufügen. Außerdem gibt es für besonders gebräuchliche Haustypen vorausgefüllte Gebäudeprofile, an denen gegebenenfalls nur noch gezielte Veränderungen, beispielsweise der Energiestandard oder die Bauweise, ausgeführt werden müssen.
Eine Architektin oder ein Bauherr ist mit dem Tool in der Lage, schon frühzeitig in der Planungsphase die Umwelteffekte einzelner Baustoffe zu ermitteln und dementsprechend die Auswahl der verwendeten Baustoffe und Materialien zu optimieren. Das Tool stellt Faktoren wie das Klimawandelpotenzial, aber auch viele anderen Auswirkungen auf die Umwelt mit Kennzahlen dar. Dabei wird der gesamte Lebenszyklus – von der Entnahme der Ressourcen aus der Natur über die Herstellung und die Nutzungsphase bis hin zur Entsorgung oder dem Recycling – in den Blick genommen.
Risikobewertung für Projektentwickler, Bauträger und Kreditinstitute
Nach der Erstellung der Ökobilanz werden die Daten per Schnittstelle in das gemeinschaftlich entwickelte Software-Modul übertragen und anschließend die ökonomischen Kennzahlen des Projektpartners eingebunden. »Wir erstellen ein szenariobasiertes Risikomodul, das eine Abschätzung von Risiken wie beispielsweise der Baukosten, der Vermietungserträge und der Wertentwicklung der Immobilie erlaubt. Dabei fließen auch langfristige Aspekte wie mögliche Mieteinnahmen, Instandhaltungsmaßnahmen und die Dynamik des Marktes mit ein«, erklärt Prof. Dr. Konrad Wimmer, Executive Partner bei der msg GillardonBSM AG. Ist das Profil des jeweiligen Bauprojekts oder Gebäudes mit den relevanten ökologischen und ökonomischen Kennzahlen erfasst, kann die Bank oder ein Finanzinstitut das Profil prüfen und dementsprechend ein Kreditangebot machen.
»Der praktische Vorteil unserer gemeinsamen Lösung für die Kunden besteht darin, dass sie die Berechnung aller für Finanzplanung und Kreditvergabe nötigen Daten deutlich beschleunigt«, sagt Wimmer. Kaufinteressenten können die Nachhaltigkeit und die für die Zukunft anfallenden Kosten auf der Basis zuverlässiger Zahlen und Daten aus einer Hand prüfen und ohne Umwege direkt nutzen. Projektentwickler und Kreditinstitute haben die Möglichkeit, Umweltaspekte und Rentabilität frühzeitig zu kalkulieren. »Diese Kombination erhöht auch die Chance, Informationen für nachhaltige Investitionen transparent abzubilden, da auch die vermutlich in der Zukunft stark steigenden CO2-Preise von Investitionen transparent abgebildet werden«, freut sich Ilg.
Die Software-Suite der Partner Fraunhofer IBP und msg GillardonBSM ist als Prototyp fertiggestellt. Im nächsten Schritt soll die Lizenzierung für den Markt vorbereitet werden.
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Quelle: Fraunhofer Institut