Der deutsche Windkraftanlagenhersteller Enercon setzt bei der Montage von Windkraftanlagen künftig auf Spitzentechnologie »Made in Germany«. Als erster Windkraftanlagenhersteller weltweit nutzt Enercon ab März 2021 sechs komplett emissionsfreie Rotorblatt-Traversen des Spezialanbieters Ematec AG aus dem bayerischen Memmingerberg.
Die so genannten RBC-D-Green-Line-Traversen – RBC steht für Rotor Blade Clamp – von ematec sind komplett akkubetrieben und über eine doppelte Antriebsredundanz absolut ausfallsicher. Sie gelten als die innovativsten und universellsten Traversen für die Einzelblattmontage von Windkraftanlagen auf dem Weltmarkt. Ematec ist es – als erstem Hersteller überhaupt, wie es heißt – gelungen, Traversen zu entwickeln, die sich jederzeit selbst automatisch auf das zu hebende Rotorblatt einstellen und austarieren. Außerdem sind die RBC-Traversen die einzigen, die alle derzeit verfügbaren Rotorblatttypen von 45 m bis 110 m aufnehmen können. Für Ematec ist die Enercon-Bestellung der größte Einzelauftrag in der 23-jährigen Firmengeschichte.
„Dieser Auftrag ist einfach großartig! Toll, dass Enercon gemeinsam mit uns eine neue Benchmark auf dem Weltmarkt setzt. Denn von den technischen Features her ist die RBC wirklich einzigartig, sie wird die Einzelblattmontage von Grund auf revolutionieren“, sagt Manfred Eberhard, Vorstand der Ematec AG. Rund 1,3 Millionen Euro steckte die Allgäuer Innovationsschmiede in ihre jüngste Entwicklung, und zwar, ohne einen konkreten Kundenauftrag im Rücken zu haben. Ganz schön mutig – oder „harakiri“, wie es Eberhard nennt. „Aber irgendwie waren wir uns einfach sicher, dass unsere Idee einschlagen wird“, so der Ematec-Vorstand weiter.
Enercon will dieses Potenzial konsequent nutzen. Die erste Traverse soll bereits Ende März geliefert werden, dann soll jede weitere im vierwöchigen Abstand folgen. Ein straffer Zeitplan. „Für unser Unternehmen ist das eine echte Challenge. Aber wir nehmen die Herausforderung sportlich“, betont Eberhard. Sein Unternehmen hat jede Menge Erfahrung im Bau und der Entwicklung von Rotorblatttraversen: Bislang sind insgesamt 17 Ematec-Traversen früherer Baureihen für die Installation von Windrädern weltweit im Einsatz, unter anderem bei Nordex und Siemens Gamesa.
Bahnbrechende Innovation
Die neuen Traversen RBC und die Double-Variante RBC-D stellen nun alles bisher Dagewesene in den Schatten. Als erste Rotorblatttraversen können sie ohne Umrüstarbeiten alle Flügelformen am Markt aufnehmen – auch zukünftige. Möglich macht das eine automatisch adaptive Blattauflage, mit der sich die Traverse selbständig jeder Rotorblattform individuell und exakt anpasst. Diese Technik wurde zum Patent angemeldet. Die neuen Traversen können Blattgewichte bis 40 Tonnen aufnehmen und handhaben. Die Double-Variante RBC-D schafft Blattgewichte bis 35 Tonnen. Zudem punktet die RBC-Baureihe mit einem Neigewinkel von ±30 Grad. Die neuartigen Traversen lassen sich besonders universell in der Windkraftbranche einsetzen – sowohl On- also auch Offshore. Mit einer Hanghöhe von gerade einmal ca. 3,5 Metern erleichtert die RBC-Baureihe das Kranmanagement erheblich, gerade in Bezug auf die stetig steigenden Nabenhöhen der Windkraftanlagen.
Besonders sanft zum Rotorblatt
Das »D« in RBC-D steht für »Double« und bedeutet, dass zusätzlich zum unteren auch der obere teleskopierbare Greifer mit vierzehn hydraulisch bewegten und kardanisch aufgehängten Griffpads ausgestattet ist. Diese passen sich wie Finger einer Hand der Blattform an. Es ist also kein Greifen im klassischen Sinn, sondern vielmehr ein sanftes, aber dennoch sicheres Umschließen des Rotorblatts. Die Besonderheit: Dank einer sehr homogenen Lastaufteilung mit einer Kontaktfläche von ca. 10 m2 kann dem Blatt nichts passieren. Durch diese große Kontaktfläche ist es möglich, das Rotorblatt ohne zusätzliches Sicherungsseil ±30 Grad zu neigen.
Mit der RBC immer perfekt im Schwerpunkt
Für ein sicheres Handling des Rotorblatts findet die RBC immer individuell den exakten Schwerpunkt. Zwei Gegengewichte an den beiden Traversenflügeln passen sich automatisch dem Schwerpunkt an – mit und ohne Rotorblatt. So kommt es selbst beim Öffnen des Greifers nach der Montage an der Nabe nicht zu unkontrollierten Bewegungen, die das Blatt beschädigen oder den Handling-Vorgang torpedieren könnten. Aufgrund des Rundbogens auf der Traverse bleiben die RBC und RBC-D auch beim Neigen bis ±30 Grad immer perfekt im Schwerpunkt. Gleiches gilt beim Pitchen des Flügels bis maximal ±8 Grad. Eine unkontrollierte Bewegung der Einheit beim Neigen oder Pitchen wird dadurch ausgeschlossen.
Spezialpads für die Rotorblattmontage bei Wind und Wetter
Um für sämtliche Witterungsbedingungen gerüstet zu sein und Montageprojekte speziell auch im Winter ausführen zu können, hat Enercon bei Ematec alle RBC-D-Traversen mit Spezialpads bestellt. In dieser Variante verfügen die gummierten Griffpads über eine eigens von Ematec entwickelte Beschichtung, die sogar das sichere Greifen von schmutzigen, nassen oder vereisten Rotorblättern möglich macht. „Die Rotorblattmontage ist somit nicht mehr so stark witterungsabhängig wie bislang. Enercon minimiert damit das Risiko von langen Standzeiten und reduziert die Baustellenkosten enorm. Gerade in Skandinavien werden Windkraftanlagen ja meist im Winter montiert, vereiste Rotorblätter sind dort Baustellenalltag. Für unsere Griffpads mit Spezialbeschichtung ist das kein Problem“, betont Eberhard.
In weniger als 15 Minuten zur ersten Blattaufnahme
Die Traversen der RBC-Baureihe sind echte Turbos in der Einrichtung und unglaublich schnell einsatzbereit. Auf der Baustelle angekommen, fahren sie automatisch in die Einsatzposition. Auch die Aufnahme des Rotorblatts geschieht automatisch über die Auswahl der Flügelart am Display. Fast unglaublich: Nicht einmal 15 Minuten brauchen die RBC-Traversen für diese beiden Schritte – und dann kann’s losgehen. „Das ist ein absoluter Rekord in der Rüstzeit. Allein durch die enorme Zeit- und Kosteneinsparung auf der Baustelle amortisieren sich die RBC-Traversen teilweise bereits innerhalb eines Jahres“, verdeutlicht Eberhard.
Auch bei den Transportmaßen sind die RBC und RBC-D von Ematec nicht zu schlagen. Sie stehen für Kompaktheit pur. Mit ihrer Transportgröße von 13,2 m x 3 m x 3 m (L x B x H) und einem Eigengewicht von ca. 25 Tonnen können die Traversen in Deutschland mit einer Dauergenehmigung nach § 70 StVZO gefahren werden. Teure Sondergenehmigungen und lange Vorlaufzeiten für die Logistikplanung braucht es nicht mehr. Die RBC-Traversen können innerhalb eines Tages auf der Baustelle sein.
Enercon setzt beim Antrieb auf Green Line
Die Power für die sechs Traversen für Enercon kommt – passend für die regenerative Windbranche – von einem elektrohydraulischen Aggregat mit Akku. Die Green-Line-Version arbeitet emissionsfrei und nahezu geräuschlos. Die RBC-Traversen von Ematec sind damit mit die ersten akkubetriebenen emissionslosen Rotorblatttraversen, die bislang bei der Montage von Windkraftanlagen rund um den Globus zum Einsatz kommen. Weitere Besonderheit: Der Akkuantrieb der RBC und RBC-D ist doppelt redundant ausgeführt. Gefährlicher und kostspieliger Stillstand in der Luft ist damit kein Thema mehr. „Diese doppelte Ausfallsicherheit war Enercon sehr wichtig“, erklärt Manfred Eberhard.
Die RBC-Akkus sind bis zu einer Temperatur von -20 Grad Celsius für eine Arbeitszeit von 16 Stunden ausgelegt. So können auch bei kalten Temperaturen drei Rotorblätter an einem Tag montiert werden. Mit einer Ladedauer von ca. 2,5 Stunden ist selbst ein leerer Akku wieder schnell einsatzbereit. Weiterer Vorteil: Dank der Ematec-Green-Line-Technologie sind die Windkraftanlagenhersteller nicht von den verschärften Abgasvorschriften nach Euro-5-Norm und USA EPA Tier 4 final betroffen, die seit 1. Januar 2019 für Verbrennungsmotoren gelten. Zudem hat Ematec den elektrischen Motor bewusst unter 24 Volt gehalten, wodurch er auch in den USA problemlos einsetzbar ist und die Anforderungen der UL (Underwriters Laboratories) erfüllt.
Baustellensicherheit auf höchstem Niveau
Die RBC und RBC-D sorgen mit ihrem einfachen und effizienten Handling nicht nur für Prozesssicherheit, sondern auch für die Sicherheit der Mitarbeiter auf der Baustelle. Die Hydraulikzylinder der Greifer sind mit integrierten Sicherheitsventilen ausgestattet, die ein Herausrutschen des Rotorblattes unmöglich machen – selbst bei einer falschen Bedienung. Die Hydraulikzylinder sind von Ematec selbst entwickelt und werden komplett am Standort in Memmingerberg gefertigt. Darüber hinaus kann jede Traverse optional mit fünf Kameras ausgestattet werden. Die an der RBC und RBC-D angebrachten Scheinwerfer leuchten den Arbeitsbereich perfekt aus.
Technische Details
Greifbereich: Individuell anpassbar auf die Blattfamilie
Transportmaße: 13,2 x 3,0 x 3,1 Meter (L x B x H); wirtschaftlicher Straßentransport mit nur einem Sattelauflieger möglich.
Tragfähigkeit: RBC: 40 Tonnen; RBC-D: 35 Tonnen
Energieversorgung: Autarke, mehrfach redundante Energieversorgung über elektrohydraulisches Aggregat mit Akku (Ematec Green Line)
Padantriebe: Hydraulikzylinder mit integrierten Sicherheitsventilen
Bedienung: Funkfernsteuerung mit zwei Funksendern inklusive Übergabefunktion für Bodenpersonal und für Nabenpersonal, inklusive farbigem Display zur Anzeige von Betriebszuständen
Zusatzbeleuchtung: Drei große LED-Scheinwerfer zum Ausleuchten des Arbeitsbereichs, über Funk abschaltbar
Zugänglichkeit: Offene Bauweise für gute Zugänglichkeit aller Komponenten