CO2-neutrale Flugreisen mit SAF:

Grün fliegen oder Greenwashing?

von Oliver Kube
von Oliver Kube Foto: © Austrian Airlines / Dietmar Schreiber

Die Austrian Airlines (AUA) wirbt mit CO2-neutralen Passagierflügen – gegen einen entsprechenden Aufpreis. Erreicht werden soll die CO2-Neutralität vorrangig durch den Einsatz von SAF (Sustainable Aviation Fuels), nachhaltigem Treibstoff, hergestellt etwa aus alten Speiseölen. Allein dadurch soll die CO2-Bilanz um 80 Prozent reduziert werden, schreibt die AUA auf ihrer Webseite. Was ist dran an der Werbebotschaft? Wie nachhaltig ist SAF wirklich? In welchen Mengen ist es vorhanden? Das i-Magazin hat bei der AUA nachgefragt und darüber hinaus mit einem Experten des Paul Scherrer Instituts Villingen (Schweiz) gesprochen.

Von Oliver Kube

Screenshot aus dem Buchungsprozess bei AUA mit der Information: „100 % nachhaltiger Flugkraftstoff (SAF). CO2-Emissionen werden unmittelbar reduziert.“

Die Abteilung Konsumentenschutz der Arbeiterkammer bezeichnet diese Formulierung als „ungenau, wenn nicht irreführend.“ (Bild: Screenshot AUA-Webseite)

CO2-neutral in den Urlaub fliegen: Damit versuchen Fluggesellschaften wie die Austrian Airlines umweltbewussten Urlauber:innen das Fliegen schmackhaft zu machen. Die AUA wirbt mit 80 Prozent CO2-Reduzierung durch den Einsatz von SAF (Sustainable Aviation Fuels). Hergestellt wird der alternative Treibstoff etwa aus Speiseölabfällen oder eigens zu diesem Zweck angebauter Biomasse. Das angeblich klimafreundliche Flugticket kann gegen Aufpreis gebucht werden: Auf einem Flug von Wien nach Berlin der Kategorie Economy Classic beispielsweise verspricht die AUA gegen Mehrkosten von 47,18 Euro: „100 % nachhaltiger Flugkraftstoff (SAF). CO2-Emissionen werden unmittelbar reduziert.“

Maximaler SAF-Anteil bei AUA-Flügen bei 5 Prozent

Doch »unmittelbar« wird erstmal überhaupt nichts reduziert – abgesehen natürlich vom Kontostand des Kunden: Beim Verbrennen von SAF wird ungefähr so viel CO2 freigesetzt wie mit fossilem Treibstoff. Die CO2-Wirkung von SAF aus Biomasse und Abfällen basiert darauf, dass die dafür verwendeten Pflanzen im Laufe ihres Lebenszyklus das CO2 gebunden haben, das beim Verbrennen wieder freigesetzt wird. Dass von »nur« 80-prozentiger CO2-Reduktion durch SAF die Rede ist, hängt damit zusammen, dass die Produktion und der Transport von SAF noch nicht CO2-neutral sind. Das erfährt der Fluggast im Buchungsprozess nach Klick auf den »Mehr Information«-Button. Was der Kunde jedoch nicht erfährt: Die maximale (!) SAF-Beimischquote, die die OMV-Raffinerie in Schwechat der AUA derzeit zur Verfügung stellen kann, beträgt gerade einmal 5 Prozent, wie Anna Pachinger, Pressesprecherin bei der AUA, dem i-Magazin auf Nachfrage erklärte. „SAF ist bisher prinzipiell nur in geringen Mengen verfügbar und etwa viermal so teuer wie fossiler Flugzeugtreibstoff“, so Pachinger. Die AUA sei jedoch optimistisch, dass künftig die Mengen steigen und in diesem Zusammenhang der Preis sinken wird. Für den Moment heißt das jedoch, jenseits aller Rechnerei fürs gute Gewissen: Im besten Falle besteht die Tankfüllung des AUA-Fliegers immer noch zu 95 Prozent aus fossilem Kerosin.

Screenshot aus Buchungsprozess bei AUA nach Klick auf "Mehr Informationen zu SAF"

Dass die maximale SAF-Beimischquote der AUA derzeit nur bei 5 Prozent liegt, erfährt der Kunde bei der Buchung nicht einmal nach Klick auf den »Mehr Informationen zu SAF«-Button. (Bild: Screenshot AUA-Webseite)

Arbeiterkammer und Werberat kritisieren AUA-Werbung

Diese Diskrepanz zwischen Werbebotschaft und Wirklichkeit hat bereits für Kritik gesorgt, etwa von Seiten des Österreichischen Werberats und der Abteilung Konsumentenschutz der Arbeiterkammer. Konkret ging es dabei um das Bewerben von Flügen von Wien nach Venedig zur Biennale Arte 2022 mit dem Slogan »CO2-neutral zur Biennale fliegen? Für uns keine Kunst!« Wie im oben ausgeführten Beispiel wurde auch hier mit »100 % SAF« geworben. Auf eine diesbezügliche Beschwerde hin richtete der Werberat Mitte August die Aufforderung an die Austrian Airlines, „in Zukunft bei der Gestaltung von Werbemaßnahmen sensibler vorzugehen.“ Die Werberät:innen begründeten ihre Entscheidung damit, dass die AUA suggeriere, der beworbene Flug sei CO2-neutral. Dies lasse die besonders sensible Handhabung umweltbezogener Werbung vermissen, die der Ethik-Kodex der Österreichischen Werbewirtschaft verlangt. Auch verletze die Werbung die Grundsätze der Lautbarkeit, der Redlichkeit und Wahrhaftigkeit.

Die Arbeiterkammer bemängelt in einer Stellungnahme, die dem i-Magazin vorliegt, die Werbung lasse Konsument:innen glauben, „dass genau der gekaufte Flug mit SAF durchgeführt wird“ (Herv. i. Org.). Erst auf einer weitergehenden Informationsseite könne der Konsument erfahren, dass die AUA lediglich garantiert, das gekaufte SAF innerhalb der nächsten sechs Monate in den Flugbetrieb einzuspeisen. „Die Werbung ist daher äußerst ungenau, wenn nicht irreführend im Hinblick auf die versprochene Leistung“, so die Abteilung Konsumentenschutz der Arbeiterkammer. Ebenso wie der Werberat fordert die Arbeiterkammer die AUA dazu auf, die Werbung klarer und unmissverständlicher zu formulieren.

Mögliche Produktionsmengen von Bio-Kerosin begrenzt

Um die CO2-Bilanz eines Flugs tatsächlich um 80 Prozent zu reduzieren, müsste die Tankfüllung des Flugzeuges vollständig aus SAF bestehen. In der Praxis scheitert das aus zwei Gründen: erstens an den bereits angesprochenen Mengenverhältnissen. Im Jahr 2019 wurden weltweit insgesamt etwa 300 Millionen Tonnen bzw. 375 Millionen Kubikmeter Kerosin verflogen. So viele Portionen Pommes kann die Menschheit gar nicht essen, um ausreichend Speiseölabfälle für die SAF-Produktion zu gewinnen. Für zusätzlichen Anbau von Pflanzen zur Bio-Kerosinproduktion im erforderlichen Ausmaß wären wohl Regenwaldabholzungen notwendig, wie etwa Greenpeace Österreich in einem Blogbeitrag kritisiert. Der umweltschonende Effekt wäre damit mehr als hinüber. Andere Skeptiker befürchten eine Konkurrenz der Treibstoff- mit der Nahrungsmittelproduktion aufgrund des riesigen Anbauflächenbedarfs. Laut Anna Pachinger möchte die Lufthansa-Gruppe, zu der auch die Austrian Airlines gehört, das unbedingt vermeiden.

SAF aus Pflanzenölen in heutiger Form nicht zum »Volltanken« geeignet

Es gibt noch ein zweites Problem: Dr. Jörg Roth, Projektkoordinator im Forschungsbereich Energie und Umwelt am Paul Scherrer Institut (PSI) in der Schweiz, erläutert im Gespräch mit dem i-Magazin, dass die verwendeten Treibstoffe aus Biomasse lediglich zur Beimischung geeignet sind, jedoch nicht zur vollständigen Befüllung eines Flugzeugtanks. „Pflanzliche Öle bestehen unter anderem aus Fettsäuren und Glyzerin und enthalten Sauerstoffatome. Das kommt im fossilen Kerosin nicht vor. Daraus ergeben sich Unterschiede etwa beim Verbrennungsverhalten und dem Flammpunkt – Eigenschaften, die beim Betrieb einer Flugzeugturbine wichtig sind. Das ist ein bisschen was anderes als bei einem robusten Dieselmotor, der das verkraftet“, so Roth. Bei SAF aus altem Speiseöl werde das Problem beim Frittieren oder Braten in der Erstverwendung noch verschärft. Durch Fortschritte in der Aufbereitung des Öls für den Einsatz als Treibstoff könne jedoch die mögliche oder sinnvollerweise zulässige Beimischquote Schritt für Schritt erhöht werden, „bis wir eines Tages vielleicht bei 100 Prozent sind.“ Aktuell beträgt die maximal zulässige Beimischquote nach ASTM-Norm (American Society for Testing and Materials) für die meisten Produktions- und Aufbereitungsverfahren 50 Prozent. In der Praxis liegt sie aufgrund der geringen Verfügbarkeit deutlich niedriger, wie etwa das Beispiel der AUA zeigt.

»Power to Liquid«: Treibstoff aus erneuerbaren Energien

Sind SAF also nur ein Frittieröl-Tropfen auf dem heißen Stein und damit in erster Linie ein groß angelegtes Greenwashing-Projekt der Flugbranche? Ein weiterer Ansatz zur Produktion umweltschonenden Kerosins ist das »Power to Liquid«-Verfahren. Nachhaltiger Treibstoff lässt sich nicht nur aus Biomasse, sondern auch aus den Ausgangsstoffen CO2 und Wasserstoff mithilfe von elektrischem Strom herstellen – auch als E-Fuels bekannt. Selbst Greenpeace Österreich lobt das E-Kerosin als „einen der wenigen alternativen Kraftstoffe, die relativ umweltfreundlich hergestellt werden können.“ Entscheidend für die Umweltbilanz ist hierbei, dass der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt. Eine »Forschungsfrage« sei Power to Liquid nicht mehr: „Die Technik für jeden der Produktionsschritte ist schon länger bekannt und grundsätzlich verfügbar“, erklärte Jörg Roth vom PSI. Die Produktion größerer Mengen E-Kerosins scheitere vor allem an Finanzierungsfragen und an den viel zu geringen Mengen an Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Pro Liter synthetischen SAFs werden laut Roth nach aktuellem technischem Stand etwa 23 bis 27 kWh Strom benötigt. Bei einem Passagierflug werden pro Person und 100 km Flugstrecke etwa 3,5 Liter Kerosin verbraucht. Um den jährlichen Bedarf von 300 Millionen Tonnen aus E-Kerosin zu decken, wären nach Roths Rechnung demnach pro Jahr 7.500 TWh pro Jahr aus erneuerbaren Energien nötig. Zur Einordung: Das ist knapp das Dreifache des gesamten Stromverbrauchs in ganz Europa (2020: 2.664 TWh). „Die Idee, Deutschland, Österreich oder die Schweiz könnten das im Alleingang in die Hand nehmen, wird nicht funktionieren“, so der Experte. Stattdessen sei eine verstärkte internationale politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit beim Ausbau erneuerbarer Energien notwendig. Photovoltaik-Panels mit einer Gesamtfläche von halb Österreich, angebracht etwa in einer Steinwüste in Libyen, könnten die notwendigen Energiemengen produzieren, führt Roth auf Basis einer Beispielrechnung aus. Der Umstand, dass derzeit nicht einmal PV-Anlagen für Einfamilienhäuser lieferbar sind und die meisten Regierungen der Welt die Energiewende nur häppchenweise angehen, lässt ein solches Mammutprojekt utopisch wirken.

CO2 nicht die einzige Klimawirkung des Flugverkehrs

Doch selbst wenn die Menge an SAF eines Tages in ausreichender Menge hergestellt wird sowie die chemischen Eigenschaften des Treibstoffs vollständig mit den Erfordernissen einer Flugzeugturbine kompatibel sind, gilt für Roth weiterhin: „Jeder nicht geflogene Kilometer ist ein guter Kilometer fürs Klima. Denn das CO2 macht nur etwa ein Drittel der Umweltwirkung des Flugverkehrs aus.“ Weitere Aspekte sind die Lachgasentwicklung während der Verbrennung und die Wolkenbildung durch Aerosole. „Auch die Kondensstreifen haben einen Einfluss auf das Klima. Dem ist mit einer einseitigen Fixierung auf die CO2-Bilanz nicht beizukommen“, so der Experte weiter. Selbst in einer möglichen SAF-Zukunft wären also weitere Maßnahmen zur Reduktion oder Kompensation der schädlichen Klimawirkung erforderlich. Und bis es so weit ist, ist »klimafreundliches Fliegen« in erster Linie ein Marketing-Mythos der Fluggesellschaften.

Mehr Informationen auf:
www.austrian.com
www.psi.ch

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