Die Europäische Zentralbank dekarbonisiert schrittweise ihr Portfolio an Unternehmensanleihen. Das bedeutet, klimafreundliche Unternehmen werden beim Ankauf bzw. bei der Reinvestition von Unternehmensanleihen durch die EZB bevorzugt. Doch wie viel kann die klimapolitische Ausrichtung der EZB bewirken? Handelt es sich dabei tatsächlich um eine Lösung im Kampf gegen die Klimakrise oder ist es nur ein Tropfen auf dem immer heißer werdenden Stein? Das i-Magazin hat sich schlau gemacht.
Politiker:innen verweisen gerne auf »die Märkte«, um zu rechtfertigen, dass die politischen Maßnahmen gegen die Klimakrise so stark hinter den von Wissenschaftler:innen dargestellten Erfordernissen hinterherhinken. Was mit »die Märkte« abstrakt umschrieben wird, heißt in diesem Fall konkret: diejenigen, die über riesige Mengen an Geld bzw. Kapital verfügen. Die Nachricht, dass die Europäische Zentralbank den Klimaschutz stärker in ihre Geldpolitik einbezieht, erscheint manchen als Lichtblick angesichts des halbgaren klimapolitischen Flickenteppichs, den die Regierungen in Europa und darüber hinaus fabrizieren. „Das Eurosystem strebt eine allmähliche Dekarbonisierung seiner Bestände an Unternehmensanleihen im Einklang mit den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens an“, heißt es dazu in einer Pressemitteilung der EZB. Seit Oktober 2022 wird diese Maßnahme umgesetzt. Doch was ändert sich damit genau? Das i-Magazin hat bei der Europäischen Zentralbank nachgefragt.
Was bisher geschah …
Die primäre, also vorrangige Aufgabe der EZB ist es, ein stabiles Preisniveau zu gewährleisten, indem sie unter anderem durch Ankäufe von Anleihen die Geldmenge (in Euro) beeinflusst, die im Umlauf ist. Bisher hat sich das Portfolio an Unternehmensanleihen an der Marktkapitalisierung orientiert: Branchen bzw. Unternehmen und Konzerne mit vielen Bonds (Wertpapiere) am Markt haben auch mehr EZB-Geld durch den Ankauf von Anleihen bekommen. Durch die marktneutrale Ausrichtung hat das Portfolio der Zentralbank das tatsächliche Marktgeschehen prozentual widergespiegelt. Emissionsstarke und damit besonders umweltschädliche Unternehmen und Industrien haben bzw. brauchen oft sehr große Kapitalmengen, etwa die Automobilindustrie oder Konzerne fossiler Energieträger. Dementsprechend bringen diese Firmen viele Bonds auf den Markt und so hat der marktneutrale Ansatz dazu geführt, dass sehr viel EZB-Geld in klimaschädliche Unternehmen und Industriezweige geflossen ist.
EZB bevorzugt klimafreundliche Unternehmen
Damit die EZB durch diesen Umstand nicht aktiv gegen die klimapolitischen Ziele der EU arbeitet, ermittelt die Zentralbank seit Oktober bei den Emittenten (Unternehmen, die Wertpapiere ausgeben) den sogenannten Klimascore. Die Bewertung erfolgt anhand von drei Kriterien: erstens die Emissionen des Unternehmens in der Vergangenheit, wobei hier sowohl der Vergleich zu dessen Sektor als auch der Vergleich zu allen zulässigen Anleiheemittenten herangezogen wird. Der zweite Teilscore bezieht sich auf die Ziele zur Emissionsreduzierung in der Zukunft. Hier berücksichtigt die EZB die Art des Ziels, die Strategie, deren wissenschaftliche Basis und ob Ziel und Strategie durch eine Drittpartei verifiziert wurden. Das dritte Kriterium bezieht sich auf die Transparenz des Unternehmens hinsichtlich seiner Treibhausgasemissionen. Emittenten, die keine Emissionsdaten ausweisen, werden hier am schlechtesten bewertet.
Preisstabilität hat Vorrang vor Klimaschutz
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Europäische Zentralbank nur noch Anleihen von Unternehmen kauft, die einen guten Klimascore aufweisen. Wie die EZB auf Nachfrage bestätigt, steht das Portfolio nach wie vor prinzipiell allen Industriezweigen offen, d.h. es wird auch künftig EZB-Geld in fossile Energieträger fließen – nur eben etwas weniger als bislang. Der Grund dafür ist, dass die Ausrichtung des Portfolios an den Klimazielen der EU nachrangig ist. Der Hauptzweck des Ankaufs von Anleihen durch die EZB ist nach wie vor die Preisstabilität und die allgemeine Verbesserung der Finanzierungsbedingungen. Die klimapolitische Ausrichtung darf demnach nur so weit gehen, wie sie dem Primärziel förderlich ist oder zumindest nicht im Wege steht. Im Sinne der Preisstabilität tätigt die EZB angesichts der starken Inflation derzeit keine neuen Einkäufe (also pumpt kein neues Geld in die Wirtschaft), sondern reinvestiert nur noch, und auch das lediglich in eingeschränktem Umfang: In nächster Zeit werden nicht alle auslaufenden Bonds reinvestiert. Das heißt, die momentane Inflation trägt dazu bei, dass eine geringere Menge an Geld zugunsten von Klimavorreitern »umverteilt« werden kann, als es mit einer schwächeren Inflation der Fall wäre. Doch es gibt auch einen Aspekt der Klimakatastrophe, der gerade auch im Sinne der Preisstabilität für die Bevorzugung klimafreundlicher Unternehmen spricht: Mehr Dürren, Überflutungen und schwere Unwetter können horrende Kosten für Unternehmen verursachen, was wiederum die Preisstabilität beeinflussen kann. In dieser Hinsicht könnte eine starke Gewichtung des Klimascores aktiv zur Preisstabilität beitragen.
EZB sieht Hauptverantwortung bei Regierungen
Das Primärziel der Preisstabilität zugunsten der Eindämmung des Klimawandels hintanzustellen, bezeichnet die EZB im Gespräch mit dem i-Magazin als „praktisch unmöglich“. Da das Primärmandat der EZB im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AUEV) festgeschrieben ist, wäre für eine Änderung die Zustimmung sämtlicher Mitgliedstaaten einzeln (Konsensprinzip) erforderlich. Verfahren zur Änderung der EU-Verträge dauern oft mehrere Jahre. Die Europäische Zentralbank sieht die Hauptverantwortung für die Bekämpfung des Klimawandels bei den Parlamenten und Regierungen: Diese hätten „die vergangenen Jahre niedriger Zinsen nicht genutzt, um Investitionen in umweltfreundlichere und nachhaltigere Energieträger in einem Tempo zu beschleunigen, das den Herausforderungen, vor denen wir stehen, angemessen ist“, sagte Isabel Schnabel, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank, in einer Rede am 10. Januar bei einer internationalen Konferenz zur Unabhängigkeit von Zentralbanken in Stockholm. Das größte Hindernis für eine rasche Dekarbonisierung seien laut Schnabel „nicht die Kapitalkosten, sondern die beträchtlichen mangelnden Fortschritte der Regierungen bei der Umsetzung früherer Klimaverpflichtungen.“ Sie verweist auf die Schätzung der OECD, die weltweit von einer Verdopplung der steuerlichen Unterstützung für die Produktion und den Verbrauch von Kohle, Öl und Gas im Jahr 2021 ausgeht. Die EZB sei nichtsdestotrotz bereit, ihren Teil der Verantwortung wahrzunehmen und „im Anklang unseres Mandats unsere Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel weiter zu intensivieren“, versicherte Schnabel. Wie viel Geld genau durch die klimapolitische Differenzierung »umverteilt« wird bzw. wurde, dazu macht die EZB derzeit noch keine Angaben. Ein erster Zwischenbericht ist für März 2023 angekündigt.
Mehr Informationen auf: www.ecb.europa.eu