Warum das ElWG Österreichs Energiewirtschaft auf Risiko stellen kann:

Vom Exporteur zum Importeur? Netzentgelte im Realitätscheck

von Laura Peichl
Foto: © Oesterreichs Energie

Die Regierung plant im neuen Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG), Netznutzungsentgelte auf die Erzeugerseite auszuweiten. Aus Sicht der Branche ist das ein riskanter Kurswechsel: Zusätzliche Lasten verschlechtern die Wettbewerbsfähigkeit, dämpfen Investitionen, erhöhen am Ende die Endkundenpreise – oder treiben Österreich in die Importabhängigkeit. Eine neue Studie von Aurora Energy Research im Auftrag von Oesterreichs Energie liefert den datenbasierten Faktencheck. Das i-Magazin ordnete die Ergebnisse, zitiert die O-Töne im Wortlaut und führt durch die ökonomischen Folgen – Schritt für Schritt.

Thomas Buchbauer – Recherche, Konzept und Kuration

Wer spricht – und worum es geht

Auf dem Podium: Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie; Thaddäus Kreisig und Daniel Böhmer von Aurora Energy Research (deutsches Datenanalyse- und Beratungsunternehmen für Energiethemen); sowie Karl Heinz Gruber, Geschäftsführer Verbund Hydro Power und Spartensprecher der Sparte Erzeugung.

Der Anlass war präzise gesetzt: ein Faktencheck Netzentgelte aus Sicht der Energiewirtschaft, gestützt auf eine aktuelle Cross-Country-Analyse. Oder wie es im O-Ton heißt:

„Wir haben eine Studie in Auftrag gegeben und Aurora Energy Research, ein deutsches Beratungsunternehmen, damit beauftragt, die Netztarife für Einspeiser in Europa zu vergleichen.“

Dass die Lage zugespitzt ist, fasst ein Verbandsbeitrag zusammen: Einspeiser in Österreich tragen schon heute höhere Netzentgelte als die meisten Nachbarn; im Übertragungsnetzbereich liegt Österreich europaweit auf Rang zwei. Zusätzliche Entgelte würden die heimische Erzeugung im europäischen Strommarkt weiter benachteiligen – mit Wettbewerbs-, Preis- und Standorteffekten.

Warum die Untersuchung jetzt kommt

Zwei Prozesse laufen parallel: Das ElWG mit der geplanten Ausweitung der Netznutzungsentgelte auf Erzeuger und das Erneuerbare-Ausbaubeschleunigungsgesetz. Barbara Schmidt dazu:

„Bis 21. Oktober kann man hierzu Stellung nehmen. Wir werden natürlich auch eine Stellungnahme abgeben und sind froh, dass bei der Beschleunigung der Verfahren für die Energiewende etwas weitergeht. Energiewende-Projekte sollen im überragenden öffentlichen Interesse stehen – ein sehr wichtiger Punkt.“

Die Kernaussage: Beschleunigung ja, aber nicht mit Instrumenten, die Investitionssignale konterkarieren.

Status quo: Österreich ist heute schon teurer als die Nachbarn

Thaddäus Kreisig zur Aufgabenstellung der Studie:

„Wir haben uns angeschaut, wie sich diese möglicherweise oder vorgeschlagenen Änderungen im Elektrizitätswirtschaftsgesetz auf Einspeiser (Kraftwerke) in Österreich auswirken würden, wie sich das vergleicht zu den Regelungen in anderen Ländern und im Prinzip, wie sich dann die Wettbewerbssituation für Einspeiser darstellt.“

Die Ausgangslage ist klar: Viele „elektrische Nachbarstaaten“ erheben keine einspeisebezogenen Netzentgelte, Österreich schon. Um Größenordnungen zu veranschaulichen, setzt Aurora die Entgelte ins Verhältnis zu Baseload-Erlösen 2024:

„…diese einspeisebezogenen Entgelte machen 5 % dieser Erlöse aus. Bei Erneuerbaren im Marktprämienmodell liegen wir bei 4–5 %. Das bedeutet: Einspeiser in Österreich sind im Wettbewerb heute schon etwas schlechter gestellt als in anderen europäischen Ländern.“

Im EU-Vergleich zeigt sich die Sonderrolle:

„Gerade die Nachbarstaaten, mit Ausnahme der Slowakei, erheben keine Einspeiseentgelte.“

Und in den Ranglisten:

„Österreich hatte den zweithöchsten Einspeiseanteil an den Übertragungsnetzen und den dritthöchsten an den Verteilnetzen (relativ). Nur Schweden belastet Einspeiser relativ stärker. Absolut (ÜNB-Ebene): zweithöchste Einspeiseentgelte für einen Standard-Einspeiser.“

Was sich ändern soll – die Systemlogik hinter den Entgelten

Daniel Böhmer führt durch die heutige Architektur – und den geplanten Eingriff:

„Es gibt Abgaben, die beide Seiten tragen (z. B. Netzverlustentgelt, Netzanschlussentgelte) und solche, die nur eine Seite trägt: das Systemdienstleistungsentgelt nur von Einspeisern, das Netznutzungsentgelt bisher nur von Verbrauchern. Genau das soll sich ändern: Das Netznutzungsentgelt soll auch auf Einspeiser ausgeweitet werden. Quantitativ: aktuell sind es für Einspeiser in Österreich circa 4 €/MWh.“

Damit wandert zusätzliche Last auf die Erzeugerseite – on top zu bestehenden Zahlungen. Für ein kleines, hochvernetztes Land ist das heikel.

Österreich ist exponiert: Verflechtung, Handel, Wettbewerbsdruck

Auroras Lagebild:

„Österreich ist sehr stark mit seinen elektrischen Nachbarn vernetzt; gemessen an der installierten Erzeugungsleistung ist die Interkonnektorkapazität relativ hoch. Das heißt: starker internationaler Wettbewerb auf der Einspeiseseite; jede Änderung der Wettbewerbsbedingungen schlägt stark durch.“

Daniel Böhmer über die Handelsflüsse:

„Importe machen 35 % der Bruttostromnachfrage aus, Exporte 31 % der Bruttostromerzeugung (Vorjahr). Österreich ist sehr stark im europäischen Stromhandel aktiv. Führt man Erzeugungs- bzw. einspeisebezogene Netzentgelte ein, kann Österreich vom Nettoexporteur wieder zum Nettoimporteur werden. Zusätzliche Belastung → mehr Import, weniger Export.“ Und Karl Heinz Gruber ergänzt: „Österreich liegt im Herzen Europas – wir stehen mit allen umliegenden Ländern im Austausch, und umgekehrt.“

Wie teuer „ein bisschen mehr“ ist

Aurora macht die Preissensitivität plastisch – an einem Gas- und Dampfturbinenkraftwerk (GuD):

„Die Effizienz müsste in Österreich um 3 Prozentpunkte höher sein, um gleich wettbewerbsfähig zu sein. Das klingt wenig, ist aber technisch der Unterschied zwischen einer etwas älteren GuD-Anlage und einem neuen Gaskraftwerk.“

Übersetzt in Kosten:

„Ein Unterschied von 5 % bei den effektiven Produktionskosten entspricht ungefähr +2,3 €/MWh Gas (≈ 8 % Gaspreisaufschlag) – oder eben den genannten +3 Prozentpunkten Wirkungsgrad.“

Das berührt die Preisbildung direkt:

„Gerade für ein Gaskraftwerk als marginalen Erzeuger (setzt oft den Preis) kann so ein Unterschied darüber entscheiden, ob die Anlage im Markt agiert – oder ob jenseits der Grenze ein Kraftwerk mit geringeren Grenzkosten den Zuschlag erhält.“

Was passiert, wenn …? – die Stufenrechnung

Weil der ElWG-Entwurf keine Höhe für die neuen Entgelte nennt, rechnet Aurora Szenarien:

  • Status quo: ~4 €/MWh für Einspeiser
  • 5 % Verbraucher-Entlastung: 6,2 €/MWh
  • 10 % Verbraucher-Entlastung: > 8 €/MWh (→ mehr als Verdoppelung)
  • 50/50-Verteilung Erzeuger/Verbraucher: ~ 28 €/MWh (→ Versiebenfachung)

Die Marktwirkung auf den Punkt:

„Alle diese Preise, sowohl was die Erzeugerseite betrifft, als auch die Speicherseite, werden logischerweise eingepreist. Und aus diesem Grunde wird – wenn man an die inländische Erzeugung denkt – der Preis auch für den Endkunden erhöht. Wenn nicht, dann wird die Importquote gesteigert.“

Speicher: doppelt belastet – und dennoch systemrelevant

Aurora beziffert die heutige Last:

„Für Einspeiser (nur Erzeugungstechnologien) 4–5 % der Erlöse; für Speicher jedoch 17–34 % – weil Speicher auch beim Ausspeisen belastet werden.“

Karl Heinz Gruber berichtet aus der Praxis: Beim Laden und beim Entladen fallen Entgelte an; eine zusätzliche G-Komponente wäre on top. Ergebnis: Flexibilität wird entwertet, Versorgungssicherheit geschwächt. Sein Punkt: Systemdienlichkeit präzise definieren, Doppelbelastungen vermeiden. Der jüngste deutsche Monitoringbericht unterscheidet systemdienlich und marktdienlich – ein sinnvoller Referenzrahmen.

PV, Leistungsentgelt, Spitzenkappung – mit Augenmaß statt Gießkanne

Barbara Schmidt setzt drei Marker:

  • Anschluss & Leistungsentgelt: „Wir sind auch dafür, dass PV-Anlagen den Netzanschluss bezahlen. Dass das Leistungsentgelt künftig höher sein soll, bringt mehr Verursachungsgerechtigkeit – das begrüßen wir.“
  • Spitzenkappung statt Überdimensionierung: „Mehr Anlagen insgesamt ans Netz bringen, dafür zu einzelnen Stunden bei allen etwas abkappen. Wir bauen die Netze nicht für den einen wind- oder sonnenstärksten Tag im Jahr – wie auf der Autobahn bauen wir auch nicht für den Reisewochenend-Peak.“
  • Hybride & Speicher sind Teil der Lösung: „Hybridanlagen (Wind+PV) und Windparks mit Batterie kappen oft selbst; das fördert Eigenverbrauch und Speicher. Umso wichtiger ist, dass Batterien nicht an anderer Stelle wieder doppelt belastet werden.“

Zur Bagatellgrenze bei Prosumer-PV (3,68 kW) merken Brancheninsider allerdings an: Die starre Kante ist willkürlich; Entgelte sollten sich an der tatsächlichen Netzwirkung orientieren – nicht an der Nominalleistung.

Fairness, richtig verstanden – und die zentrale Forderung

Barbara Schmidt rückt das Thema zurecht:

„Die Frage, was fair ist, ist eine andere. Kraftwerke, die seit vielen Jahren bestehen, haben den Anschluss bezahlt, zahlen Systemdienstleistung und Netzverlustentgelt. Wasserkraft/Pumpspeicher sind eher netzdienlich und lösen keinen Netzausbau aus. Wir lehnen die Regelung ab, weil sie nicht verursachungsgerecht ist.“

Bereits jetzt zahlt die österreichische Erzeugung eine G-Komponente (Netzdienstleistung, Systemdienstleistung, Netzverlust). Mit dem Gesetz soll die Branche zusätzlich Netznutzungsentgelt zahlen.

„Wir fordern, dass diese verpflichtende Bezahlung von Netznutzungsentgelt für Einspeiser wieder aus dem Gesetz herausgenommen wird.“

Und zur Debattenlage:

„Es wird oft so getan, als würden Einspeiser bisher gar nichts fürs Netz bezahlen. Das ist nicht richtig. Einspeiser in Österreich bezahlen jetzt schon einen großen Anteil – die Studie zeigt das. Zusätzliches obendrauf – das wollen wir nicht.“

Und Karl Heinz Gruber ergänzt die Effizienzlogik:

„Es gibt einen Grund, warum die Netznutzer bisher die Hauptlast tragen: Ziel ist, Strom effizient zu nutzen. Ohne Kostenanreiz sinkt der Sparwille – deshalb erheben die meisten Länder kein Netznutzungsentgelt auf der Einspeiseseite.“

Und der Praxisweg von Oesterreichs Energie:

„Gescheiter wäre, wir treiben die Elektrifizierung der Mobilität voran. Das hilft jedem Einzelnen bei den Netzentgelten mehr als irgendeine Fondlösung.“

Politik: Systembruch oder sachliche Korrektur?

Barbara Schmidt über den Kernkonflikt:

„Verpflichtende Netzentgelte für Erzeuger sind ein kompletter Systembruch. Für jene, die meinen, das führe einfach dazu, dass Entnehmer weniger zahlen, haben wir mit Aurora die Studie gemacht – um die Folgen für den Energiemarkt zu zeigen. Das ist keine gut durchdachte Maßnahme. Wir wollen Sachlichkeit in die Diskussion bringen.“

Formell braucht das ElWG eine Zweidrittel-Mehrheit; das Wirtschaftsministerium überarbeitet den Entwurf, eine „politisch zu beratende Fassung“ liegt noch nicht vor. Angesichts jüngster Infrastrukturentscheidungen (Stichwort Lobautunnel) steht zudem die Koalitionsfrage im Raum: Tragen die Grünen ein ElWG in dieser Form mit – oder droht ein politisches Foul?

„Schildbürger?“ – eine Frage, eine Antwort

Die zugespitzte Frage stellten wir (das i-Magazin) ans Podium. Barbara Schmidt parierte gekonnt diplomatisch:

„Ich unterstreiche das Wording nicht, aber wer glaubt – und das sieht man an den Stellungnahmen – etwas davon zu haben, sind natürlich Entnehmer. Wir haben Aussagen gelesen von der Arbeiterkammer, die finden, es gehört aufgeteilt. Wir haben Aussagen gehört von Wirtschafts-/Industrieseite, die natürlich hoffen, dass dann ihre Mitglieder weniger Netzentgelte bezahlen. Ich glaube, dass wir mit der Studie ganz gut und sachlich dargestellt haben, dass das etwas zu kurz gedacht ist.“

Warum die Strompreise hoch sind – Schmidts Faktenlage

„Klar ist: Wir haben noch immer Krieg in Europa, Gasknappheit – das schlägt sich in den Energiepreisen nieder. Energie ist aber nicht mehr der Treiber der Inflation“, sagt die Generalsekretärin von Oesterreichs Energie.

  • Die aktuellen IHS-Daten zeigen: Energie 0,55 Basispunkte, Lebensmittel/Tabak/Alkohol 0,726, Industriegüter 0,591, Dienstleistungen 2,232 – gesamt 4,1 (August 2025).
  • Dass heuer der Strompreis im Monatsvergleich höher ist, hängt wesentlich am Auslaufen der Krisenmaßnahmen: Stromkostenbremse weg, Elektrizitätsabgabe wieder höher, Ökostromförderbeiträge wieder da.
  • Auch die Netzentgelte sind stark gestiegen – sie decken die Investitionen der letzten Jahre (PV-Boom); die Regulierungsbehörde prüft die Kosten streng. „Inflationsbereinigt liegen die Netztarife unter dem Niveau vor der Liberalisierung (2001).“
  • Wichtig ist jetzt: „Spitzenkappung dort, wo es sinnvoll ist – und vor allem Absatz erhöhen: Elektrifizierung in Raumwärme, Mobilität, Industrie. Dann verteilen sich die hohen Fixkosten auf mehr Schultern. Keine geeignete Maßnahme ist, Einspeisern zusätzlich Netznutzung aufzubürden – das wäre ein Systembruch, in Europa einmalig; wenn, dann müsste so etwas europäisch entschieden werden.“
Was aus der Sicht der Energiewirtschaft jetzt zählt
  • Keine G-Komponente für Einspeiser.

Zusätzliche Netznutzungsentgelte auf der Erzeugerseite verzerren den Wettbewerb, erhöhen Endkundenpreise oder treiben die Importquote nach oben.

  • Speicher entlasten, Doppellasten beenden.

Lade- und Entladevorgänge dürfen nicht doppelt (bzw. dreifach) bepreist werden; Systemdienlichkeit muss eng und rechtssicher definiert sein.

  • Verursachungsgerechte Netzlogik halten.

Leistungsentgelt ja, aber mit Augenmaß; Spitzenkappung statt Überdimensionierung – Netze nicht für den Extremtag bauen.

  • Europäische Anschlussfähigkeit sichern.

Kein nationaler Systembruch gegen die Praxis der Nachbarn; falls Änderungen, dann EU-kompatibel und koordiniert.

  • Investitions- und Planungssicherheit herstellen.

Klare Übergangsregeln, Bestandsschutz und stabile Rahmenbedingungen – sonst kippen Projekte (Wasserkraft, Wind, PV, Speicher).

  • Elektrifizierung vor Fonds-Lösungen.

Wärmewende, Mobilität, Industrieprozesse elektrifizieren – höherer Absatz verteilt fixe Netzkosten auf mehr Schultern und dämpft die Entgelte.

  • Transparenz & Monitoring.

Belastungswirkung der Netzentgelte jährlich offenlegen (Erzeuger, Speicher, Verbraucher) und bei Fehlanreizen nachschärfen.

Augenmaß statt Abkassieren

Schenkt man den Aurora-Zahlen zur Gänze Glauben, dann ist die Quintessenz eindeutig: Jede zusätzliche Netzentgelt-Komponente auf der Erzeugerseite verschlechtert die Wettbewerbsfähigkeit, drückt Investitionen, verschiebt Erzeugungsstunden ins Ausland und führt – je nach Marktreaktion – zu höheren Endkundenpreisen oder zu mehr Import. In beiden Fällen verliert Österreich: Haushalte, Industrie, Staat und die Energiewirtschaft.

Der Kurs, der jetzt gefragt ist, ist einfach formuliert, aber anspruchsvoll in der Umsetzung: Systemdienlichkeit entlasten, Verursachungsgerechtigkeit wahren, Elektrifizierung forcieren, europäisch denken. So bleibt Österreich Exporteur – bei Stabilität, Preis und Versorgung.

Weitere Informationen auf: https://oesterreichsenergie.at/

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