Seit über 50 Jahren produziert Baumgartner Automation im oberösterreichischen Gaspoltshofen industrielle Automatisierungslösungen. Für die industrielle Fertigung in der Bauindustrie entwickeln und realisieren rund 60 Mitarbeiter komplette Steuerungssysteme. Die jahrzehntelange Erfahrung im Steuerungsbau wird auch in anderen Branchen wie der Kunststoffindustrie, der Holzbranche und natürlich auch im Maschinenbau umgesetzt.
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Das Projekt
Die hohe technische Kompetenz und das persönliche Engagement der Mitarbeiter machen die Firma Baumgartner in aller Welt bekannt – der gute Ruf reicht mittlerweile bis in die Arabischen Emirate. Von dort bekam das Unternehmen Ende 2013 den Auftrag, die Steuerung für eine Anlage im größten Kalksteinbruch der Welt herzustellen. „Speziell im arabischen Raum kommen klingende Namen und Qualität aus Europa gut an“, bringt es der Geschäftsführer von Baumgartner Automation, Johann Waldenberger, auf den Punkt.
Der Kunde ist eines der führenden Unternehmen im Nahen Osten im Bereich der Brech- und Siebetechnik. Der direkt am Golf von Oman gelegene Steinbruch liefert jährlich einen Output von circa 30 Millionen Tonnen und kann auf ein Vorkommen von über 4 Milliarden Tonnen zurückgreifen. Mit Förderbändern in einer Gesamtlänge von 9 km wird der abgebaute Kalkstein zu einer der neun Brechlinien transportiert. Diese können je nach Größe zwischen 350 t und 3.000 t Gestein pro Stunde auf die gewünschte Größe zerkleinern. Die gesamte Produktionskapazität beträgt stündlich 5.000 t. Ein riesiges Zwischenlager mit einer Kapazität von 470.000 t und die Hafenanlage, in der 5.000 t Gestein pro Stunde verschifft werden können, garantieren eine reibungsfreie Logistik. Hauptabnehmer sind die arabischen Staaten, die aufgrund der hohen Qualität gerne auf Produkte dieses Standortes zurückgreifen. Der mit 828 m Höhe höchste Wolkenkratzer der Welt, der Burj Khalifa in Dubai, oder der neugebaute Flughafen in Doha, der Hauptstadt von Katar, sind nur zwei der unzähligen namhaften Referenzen des Unternehmens.
Die extrem kurze Lieferzeit – bereits viereinhalb Monate nach Auftragserteilung mussten alle 68 Schaltschränke in das 5.670 km entfernte Dubai verschifft werden – verlangte eine neue Herangehensweise. In Zusammenarbeit mit dem jahrzehnte-langen Systempartner Rittal, der Firma EPLAN und unter Einsatz des Bearbeitungszentrums von Kiesling gelang schließlich eine zukunftsweisende Lösung – ein Workflow wie nach dem »Industrie 4.0-Standard«.
Industrie 4.0
Die Bezeichnung »Industrie 4.0« steht für die Vierte Industrielle Revolution und wird wesentlich von der deutschen Industrie mit Unterstützung der Bundesregierung getragen. Nach der Mechanisierung mit Wasser- und Dampfkraft im 19. Jahrhundert erfolgte die Zweite Industrielle Revolution durch die Einführung von elektrischer Energie und Massenfertigung in den Industriebetrieben. Als Dritte Industrielle Revolution wird der Einsatz der ersten SPS-Steuerung im Rahmen der Automatisierung und Elektronik in Fertigungsprozessen genannt. Kennzeichnend für Industrie 4.0 ist die starke Individualisierung der Fertigungsprozesse bis zur Losgröße 1. Voraussetzung für diese Vorgangsweise ist die Durchgängigkeit von der Planung bis zum Fertigungsprozess und eine abgestimmte Datenkommunikation zwischen den eingesetzten Tools.
»next level« von Rittal
Als deutsches Unternehmen ist Rittal führend in der Vierten Industriellen Revolution. Gemeinsam mit dem Software-Tochterunternehmen EPLAN und dem Hersteller von Bearbeitungsmaschinen Kiesling schafft Rittal einen weltweit einzigartigen Leistungsverbund unter dem Namen »next level for industry«. Im ersten Schritt projektiert der Schaltschrankbauer mithilfe der EPLAN-Engineering-Tools seine Anlage am Computer. Die im Rittal-Systembaukasten enthaltenen Schaltschränke, Stromschienen, der Innenausbau, die Klimatisierung und diverses Zubehör werden in 3D geplant und ausgelegt. Darüber hinaus werden sämtliche Bohrungen, Gewinde und Ausbrüche unterschiedlicher Art und Größe für die später erfolgende automatische Bearbeitung eingezeichnet. Nach Abschluss der Engineeringphase stellt EPLAN die notwendigen Bestell- und Stücklisten für die Materialdisposition zu Verfügung, und die Umsetzung der Konstruktion in eine reale Anlage kann beginnen. Bei Verwendung der Komponenten aus dem Rittal-Systembaukasten ist die durchgängige Funktionsweise in vorab geprüfter Qualität garantiert. Dies ist für die Erfüllung der neuen Norm EN 61439 wesentlich.
Im dritten Schritt werden von EPLAN die Fertigungs- und Montagedaten als Maschinenprogramm für die Bearbeitungsmaschinen von Kiesling bereitgestellt. Durch die Durchgängigkeit und Kompatibilität der Daten geschieht der Datentransfer vollautomatisch im Hintergrund. Die zu bearbeitenden Gehäuse- und Montageplatten werden im Maschinentyp Perforex eingelegt und die mechanische Bearbeitung wird durchgeführt. Nur der Startknopf muss noch manuell betätigt werden.
Mit der Kiesling-Maschine des Typs »Averex« ist die vollautomatisierte Verdrahtung von Installationsverteilern möglich. Die in EPLAN erstellten Verdrahtungsdaten werden im Hintergrund in Maschinensprache umgesetzt, wodurch die automatische Verdrahtung schließlich umgesetzt werden kann. In Summe können bis zu 50% der konventionellen Schaltschrankfertigung eingespart werden. »next level for industry« ist zu einem Vorzeigeprojekt der Industrie 4.0-Revolution geworden. „Die Idee, mit intelligenten Automatisierungskonzepten die Fertigung am Standort Europa wettbewerbsfähig zu halten, ist voll aufgegangen“, zeigt sich Rittal-Österreich-Marketingleiter Andreas Hrzina überzeugt, „das aktuelle Projekt von Baumgartner Automation ist ein weiterer Schritt für die Re-Industrialisierung in Europa“, so Hrzina weiter.
Die bei Baumgartner Automation installierte Kiesling-Maschine wurde mit EPLAN vernetzt, und so konnten die 68 Schaltschränke nach kurzer Montagezeit im Mai 2014 die Reise nach Dubai antreten. Eine weitere Verkürzung der Montagezeiten brachte die Auslagerung der Stromverteiler an das Rittal Modification-Center. „Von einem 7-MW-Leistungsverteiler lassen wir als Steuerungsbauer lieber die Finger“, lacht Waldenberger, „da kennen sich die Rittal-Spezialisten besser aus, und wir erhalten eine vollkommen geprüfte Energieverteilung nach neuer EN 61439.“
Die neue EN 61439 für Schaltanlagen
Das Einhalten der neuen Standards dieser seit November 2014 geltenden Norm war den Auftraggebern von Baumgarten Automation sehr wichtig. Vereinfacht gesagt wird die zu liefernde Anlage als »black box« gesehen, und der Anlagenbauer muss die gesamtheitliche Funktion nachweisen und dokumentieren.
Rittal beschäftigt sich seit 2010 mit der Norm EN 61439 und bereitet seine Kunden darauf vor. Mithilfe der Planungssoftware »Power Engineering 6.2« kann per Knopfdruck die entsprechende Dokumentation inklusive Bauartnachweisen erstellt werden, und der Anlagenbauer erspart sich die mühevolle Aufgabe die Nachweise selbst zu erbringen. Die Vereinfachung der Dokumentation durch die Nutzung des Rittal-Systembaukastens, das automatisierte Zusammenspiel zwischen Planung und realer Schaltschrankausführung nach Industrie 4.0-Standard und die Auslagerung der Leistungsverteilung an das Rittal Modification Center haben den gewünschten Erfolg gebracht: Das Schaltschrankprojekt für den größten Kalksteinbruch der Welt konnte in kürzester Zeit nach der neuesten Norm und mit höchstem Qualitätsstandard realisiert werden. Der Kunde im Nahen Osten ist vom Leistungsumfang von Baumgartner Automation voll überzeugt und hat bereits weitere Anlagen angefragt.
Vorteile:
- Industrie 4.0 Anwendung: automatisierte individuelle Schaltschrankherstellung, Bedienungskonzept in allen Räumen
- Neue Maschinennorm EN61439: Einhaltung der Norm durch das Rittal Ri4 Power-Sammelschienensystem und die entsprechende Fachberatung
- Rasche Durchlaufzeiten bei Schaltschrankherstellung: durchgängiger Datenworkflow und dadurch aufeinander abgestimmte Prozesse zwischen EPLAN, dem Rittal-Systembaukasten und den Bearbeitungsmaschinen von Kiesling
Projektdetails:
- Ort des Projektes: Firma Baumgartner Automatisierung Gaspoldshofen
- Typus: Steuerungsbau – Schaltschrankfertigung
- Projektgröße: 68 Steuerungsschränke wurden für den größten Kalksteinbruch der Welt im Nahen Osten produziert
- Realisierungszeitraum: Jänner 2014 bis Mai 2014
- Highlight: automatisierter und durchgängiger Datenworkflow bei der Schaltschrankherstellung