Interview: Thomas Buchbauer
ABB hat zum Thema Überspannungsschutz schon seit jeher ein breites Angebot mit jahrzehntelang ausgefeilter Technik. Dennoch wurden auf der Light+Building Produkte vorgestellt, die eine Neuheit darstellen. Gemeinsam mit Thomas Reifetshammer, Product Marketing Specialist bei ABB, nahmen wir diese in Augenschein.
ABB stellte auf der Light+Building sein gesamtes Überspannungsschutz-Portfolio aus. Blitzschutz verschiedener Klassen, auch für Gebäude ohne Blitzschutzanlagen oder Endgeräteschutz und Spezialanwendungen für Photovoltaik und Datenspeicher, um nur einige Beispiele zu nennen. Konkret ging es bei unserem Besuch jedoch um zwei Geräte, die ABB nun weiter verbessert hat und über die uns Thomas Reifetshammer im Gespräch aufklärte:
Herr Reifetshammer, Überspannungsschutz ist ein wichtiges Thema. Dem Konsumenten ist das jedoch meist nicht bewusst. Wo liegt hier das Problem?
Thomas Reifetshammer: Das sehe ich ähnlich. Nehmen wir das klassische Einfamilienhaus – das ist meiner Meinung nach das beste Beispiel, da hier das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Überspannungsschutzes am schwächsten ausgeprägt ist. Selbst wenn ein Überspannungsschutz eingesetzt ist, ist es nicht sicher, ob es sich überhaupt um den richtigen Typ handelt, oder ob er überhaupt noch in Funktion ist. Der Großteil der Menschen kennt nun einmal nur den FI-Schutzschalter und versäumt, schon diesen regelmäßig zu testen. Der Überspannungsschutz ist in noch viel weniger Köpfen präsent. In der Zeit, in der ein Überspannungsschutz arbeitet, bemerkt man auch nichts vom Gerät. Erst wenn es zum Ausfall aufgrund von Überspannung kommt, wird die fehlende Funktion bemerkt, aber da ist es dann natürlich schon zu spät. Der ideale Überspannungsschutz muss koordiniert sein und endet nicht bereits bei der äußeren Blitzschutzanlage, sondern kurz vor dem Endgerät – das müssen wir unseren Kunden deutlich machen.
Sie haben unterschiedliche Typen angesprochen, was ist der Unterschied zwischen diesen?
Reifetshammer: Typ 1 regelt Ströme auf ein ungefährliches Maß herunter und ist damit sozusagen der Schutz fürs Grobe, der Blitzströme auch mehrmals aushält. Der Typ 2 bringt den Level noch einmal hinunter bis auf unter 1,5 kV. Außerdem gibt es noch einen Typ 3, der sehr eng beim Endverbraucher angebracht ist. Generell gilt beim Überspannungsschutz: je näher desto besser. Wir empfehlen sogar, alle 10 Meter einen Typ 2-Ableiter einzusetzen. Uns ist aber klar, dass das bei den meisten baulichen Gegebenheiten nicht realistisch ist. Endgeräte halten ohnehin mehr aus, als man allgemein erwartet. Bei größeren Häusern reicht es in der Regel aus, den Schutz in die Stockwerksverteiler einzubauen.
Uns wurde geflüstert, dass ABB auf der Light+Building mit einer besonderen Neuigkeit auf diesem Gebiet aufwartet.
Reifetshammer: In der Praxis werden zwei Technologien beim Überspannungsschutz eingesetzt, die wir auch beide in unseren Geräten verwenden. Zuerst wäre da die Varistortechnik, mit der man einen besonders niedrigen Schutzpegel erreichen kann. Der Nachteil des Varistors ist jedoch dessen begrenzte Lebensdauer. Je mehr Ableitungen ein Schutz mit Varistortechnik durchmacht, desto schneller tritt die Alterung ein. Dabei wird der sogenannte Leckstrom immer höher und die Wärmeentwicklung steigt. Irgendwann ist es dann so weit, dass die integrierte Abtrennvorrichtung selbst abschalten muss – das ist bei dieser Technik ganz normal. Danach fehlt aber natürlich auch der Schutz. Kontrolliert man diesen nicht regelmäßig, fällt das nicht einmal auf. Dann müsste die gesamte Anlage abgeschaltet werden, denn sie ist nicht mehr geschützt. Das gesamte Abschalten ist bei vielen Anlagen jedoch nicht akzeptabel. Also riskiert man, dass die Anlage für eine bestimmte Dauer anfällig wird. Aufgrund dieser Problematik bietet ABB nun einen Überspannungsableiter an, in dem zwei Varistoren eingebaut sind. Fällt der erste aus, schützt ein zweiter immer noch vor Überspannungen. So hat man Zeit für die Wartung und ist bis dahin weiter geschützt, auch wenn bereits einer ausgefallen ist. Abseits der unvermeidbaren Wartungszyklen, bietet der zweite Varistor auch im Extremfall zusätzlichen Schutz. Der nächste Grund ist der Blitz selbst. Ein Blitz besteht aus bis zu sieben Folgeblitzen. Ist einmal der Blitzkanal bis zur Erde ionisiert, entleeren in der Nähe befindliche Wolken ebenso ihre Energie durch diesen. Daher bekommt man während eines Blitzschlages in Wirklichkeit durchschnittlich drei Folgeblitze ab. Ein bereits vorgealterter Varistor wird hier besonders gefordert und kann ausfallen, wenn man ihn in so einer Situation gerade dringend brauchen würde. Der beruhigende Vorteil eines integrierten Reservevaristors kommt aber so richtig zur Geltung, wenn man inmitten eines Gewitters nach einem Blitzschlag noch geschockt im Haus sitzt und man realisiert, dass das Gewitter damit nicht vorbei ist. Der zweite Varistor besitzt bewusst einen leicht höheren Schutzpegel, das heißt, er begrenzt Überspannungen nicht ganz so weit herunter wie der erste Varistor, aber immer noch auf einen unschädlichen Bereich. Dadurch kann er eine viel höhere Widerstandsfähigkeit bieten und auch bei extremen Ereignissen länger schützen.
Wie hoch ist der preisliche Unterschied zum herkömmlichen Überspannungsschutz?
Reifetshammer: Die Produkte mit zwei eingebauten Varistoren sind nur unwesentlich teurer. Dieser lässt sich aber in jedem Fall durch den Mehrwert rechtfertigen, der abgesehen davon ein echtes Verkaufsargument bietet.
Und um was handelt es sich bei der zweiten Technologie?
Reifetshammer: Die zweite Schutztechnik ist die sogenannte elektronisch gezündete Funkenstrecke, die in der Regel einen etwas höheren Schutzpegel als die Varistortechnik aufweist, jedoch noch sehr wenig für Typ 1+2-Anwendungen bekannt ist. Der große Vorteil dieser Technik aber ist, dass sich diese nicht mit der Zeit abnutzt und kaputtgeht, so wie der Varistor. Man braucht sich also nicht um Ausfall oder Wartung Sorgen zu machen. Zudem lassen sich diese Geräte sehr einfach einbauen. Außerdem bietet ABB ein Überspannungsschutzgerät mit Funkenstrecke, das die Funktionen eines herkömmlichen Typ 1- und Typ 2-Gerätes miteinander kombiniert. Kurz gesagt: zwei Überspannungsschutzgeräte in einem. Typ 1+2-Geräte haben den Vorteil, dass man sich um die Auswahl des richtigen Typs weniger Gedanken machen muss, da sie sehr universell einsetzbar sind. Den Typ 1+2-Varistor mit integrierter Reservetechnik werden wir im April auf den österreichischen Markt bringen, die Typ 1+2-Funkenstreckentechnik ist bereits jetzt verfügbar. (Mehr zu den technischen Details der beiden Ausführungen im Anhang.)
In unserem Vorab-Gespräch haben Sie noch eine weitere Neuerung angekündigt. Worum handelt es sich dabei?
Reifetshammer: ABB hat nun auch Lösungen für den Überspannungsschutz von LED-Leuchten im Außenbereich. Diese sind aufgrund ihrer empfindlichen Elektronik und der langen Leitungen besonders anfällig für Überspannungen durch Blitzeinschläge. Dabei muss es gar kein direkter Einschlag sein – in der Nähe reicht oft aus – um Schäden zu verursachen. Ein Umstand, der schon einigen LED-Straßen- oder Parkplatzleuchten in den vergangenen Jahren »das Leben« gekostet hat. Damit das nicht mehr passiert, hat ABB Geräte – die ebenfalls mit zwei Varistoren ausgestattet sind – in kompakter Form entwickelt, die direkt im Sockelanschlussbereich in schmale Lampenmasten eingebaut werden können. Diese sind dadurch wiederum sehr einfach zu prüfen und auszubauen, um beispielsweise eine Isolationsprüfung durchführen zu können. Man muss nicht mehr mit Leitern oder Hebebühnen direkt an die Lampe, was bei Beleuchtungen für Straßenverkehr eigentlich immer ein Problem dargestellt hat.
Herr Reifetshammer, wir danken für das Gespräch!