Im Großprojekt »smood – smart neighborhood« arbeiteten in den vergangenen Jahren unter wissenschaftlicher Beteiligung von Fraunhofer 16 Unternehmen, vier Forschungseinrichtungen und ein Verein an der Zukunft der energetischen Sanierung: Vom digitalisierten Planungsprozess über neuartige Quartiersspeicher für Strom und Wärme bis hin zur intelligenten Steuerungs- und Betriebsführungslösung sollen Bestandsquartiere fit gemacht werden für die Energiewende – und Mieter dadurch kostengünstiger wohnen.
Die Kosten für Strom, Gas und andere fossile Brennstoffe sind in den letzten Monaten massiv gestiegen. Doch nicht erst seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den damit verbundenen Sanktionen steht die Energieversorgung in Deutschland und Europa vor großen Herausforderungen. Gebäuden kommt dabei im gesellschaftlichen Gesamtkontext eine zentrale Bedeutung zu: Das Einsparpotenzial hinsichtlich des Energieverbrauchs liegt hier je nach Sanierungsstand und Sanierungstiefe bei bis zu 40 Prozent.
Energieeffiziente Bestandsquartiere: Gut für Umwelt und Gesellschaft
Vor diesem Hintergrund hat smood – smart neighborhood seit 2019 die systemische Wertschöpfung bei der Sanierung von Bestandsquartieren in den Blick genommen. Das Projekt ist ein sogenannter »Innovativer regionaler Wachstumskern«, ein regionales Bündnis aus Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Ostdeutschland, die über eine gemeinsame Technologieplattform in ihrer Region verfügen und wesentliche Alleinstellungsmerkmale in ihrem Kompetenzbereich aufweisen. Wachstumskerne wurden bis 2022 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Erfolgskriterium ist für smood neben ökologischen Aspekten vor allem die Wirtschaftlichkeit: Mit einer durchdachten Mischung von innovativen Energiebereitstellungs- und Steuerungstechnologien mit geeigneten integrierten Bestandstechnologien soll letztendlich der Warmmietenanteil gesenkt werden. Dies soll erreicht werden, indem sich die Quartiere zu einem großen Teil energetisch selbst versorgen und ihren Bewohnern Strom und Wärme kostengünstig zur Verfügung stellen. »Ein wichtiges Ziel des gesamten Wachstumskerns ist es, sogenannten Segregationseffekten – also, dass wirtschaftliche schwächere Familien sich bestimmte Wohngegenden nicht mehr leisten können – entgegenzuwirken«, so Prof. Peter Bretschneider, Direktor des Institutsteils Angewandte Systemtechnik AST des Fraunhofer-Instituts für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung IOSB und wissenschaftlicher Bündnissprecher von smood.
smood: Fünf Verbundprojekte, zahlreiche Innovationen
Die an der Technologieplattform beteiligten Partner stammen aus Wissenschaft, Industrie und Verbänden und bringen ihre Kompetenzen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von der Bestandsaufnahme über die Detailplanung, den Gebäude- und Quartiersumbau bis hin zur Betriebsführung in mehrere Verbundprojekte ein: smoodPlan beschäftigt sich mit der (digitalen) Quartiers-Analyse und -Planung etwa mittels Drohnen und Wärmebildkameras. Innovative Wärmeerschließung und -speicherung stehen im Fokus von GeoHoP (sternförmige Verlegung von horizontalen Erdwärmesonden mittels neuartiger Bohrtechnologie) und GeoHeatStorage (kostengünstige geothermische Wärmespeicherung im Sommer, Rückgewinnung über Wärmepumpen im Winter). Das Verbundprojekt EStorage, an dem das Fraunhofer Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS federführend beteiligt ist, wird eine nachhaltige, sichere und günstige Natrium-Nickelchlorid-»Quartiersbatterie« für die lokale Speicherung von Strom liefern, der etwa über Fotovoltaik-Anlagen gewonnen wurde. Im Projekt smoodACT entwickeln, konzipieren und testen die Beteiligten unter anderem ein Energiemanagementsystem für Gebäude und Quartiere.
»Mit smood haben wir es geschafft, ein ganzheitliches System zu entwickeln, um einen wichtigen Beitrag zur Substitution fossiler Energien zu leisten«, so Dr. Kersten Roselt, unternehmerischer Sprecher von smood. »Wir starten mit großartigen Entwicklungen wie Drohnen-gestützter Quartiersplanung, neuentwickelten umweltfreundlichen Stromspeichern für das Quartier, Geothermiegewinnung und Wärmespeicherung unter Bestandsgebäuden sowie dem intelligenten und kostenminimierten Energiemanagementsystem für das Quartier.«
Energieflüsse smart steuern: smoodACT
Mit seiner langjährigen Expertise rund um Energiemanagementsysteme koordinierte das Fraunhofer IOSB-AST das Teilprojekt smoodACT. In dem Vorhaben geht es einerseits darum, die Energieflüsse bereits energetisch sanierter Quartiere auszuwerten und durch Algorithmen so zu steuern, dass die Energie dort verfügbar wird, wo sie am sinnvollsten eingesetzt werden kann: Soll zum Beispiel Strom, der an einem sonnigen Tag von der Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach erzeugt und nicht sofort verbraucht wird, in einen Energiespeicher fließen, ein E-Mobil laden oder eine Wärmepumpe betreiben? Auf Grundlage der eingespeisten Daten ist das Energiemanagementsystem in der Lage, automatisiert zu entscheiden, wie die verfügbare Energie bedarfsabhängig und situativ am besten eingesetzt wird. Ergänzend müssen aber auch bereits vorhandene Systeme besser eingestellt und mit den neuen Komponenten verbunden werden. Durch die Optimierung ist effizientes, ökologisches Wirtschaften mit lokalen Ressourcen möglich. Prof. Bretschneider betont: »Allein durch intelligente Steuerung können in Gebäuden rund 30 Prozent mehr lokale erneuerbare Energien nutzbar gemacht werden.«
Vom Labor in die Realität
Zum Ende der Laufzeit des 2019 gestarteten Konsortiums stellten die Projektpartner im Dezember 2022 die bisher entwickelten Ergebnisse und Lösungen erstmals öffentlich vor. Stand heute kann das Gesamtkonzept von smood bereits vollumfänglich in Echtzeit im Labor erprobt werden. Im nächsten Schritt soll die Umsetzung über Demonstrationsprojekte – also reale Modellquartiere – erfolgen. Hierfür befinden sich die Beteiligten bereits im Dialog mit privaten und kommunalen Wohnungsgesellschaften. Das Interesse von privatwirtschaftlicher und städtebaulicher Seite ist groß: »Wir denken, dass wir innerhalb der nächsten vier bis fünf Jahre erste in die Praxis umgesetzte Projekte sehen werden«, meint Prof. Bretschneider. Von privaten Unternehmen würden sogar Überlegungen getroffen, eigene Energie-Gesellschaften auszugründen. Mit solchen Strukturen könnten in Zukunft auch Energie-Flatrates für Mieter möglich sein.
Ein Vorbild für die praktische Erprobung von im Labor entwickelten Modellen ist der thematisch ähnlich ausgerichtete Open District Hub unter Beteiligung der Fraunhofer-Gesellschaft: Der gemeinnützige Verein setzt sich für eine erfolgreiche Energiewende und die Entwicklung klimaneutraler Städte ein, indem Synergieeffekte in Quartieren etwa bei der Erzeugung regenerativer Energien oder der Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität genutzt werden. Um die Umsetzung innovativer Lösungskonzepte am Modell überprüfen zu können, arbeitet der Open District Hub bereits mit Referenzquartieren, die die Vielfalt vieler unterschiedlicher Quartierstypen widerspiegeln.
Auch außerhalb von Thüringen und Deutschland wecken die innovativen Lösungsansätze des smood-Konsortiums Interesse: Regelmäßig treffen Anfragen aus den USA und dem asiatischen Raum ein. Prof. Bretschneider ergänzt: »Eine besondere Ehre war es, smood im Rahmen der Weltausstellung 2020 in Dubai präsentieren zu dürfen.«
Mehr Informationen unter: www.fraunhofer.de
Quelle: Fraunhofer-Gesellschaft