In Österreich heizen rund 60 Prozent der Gebäude im Stadtgebiet mithilfe von Gas – und das muss sich ändern: „Für die Energiewende bis 2040 benötigen wir neue Lösungen, um bestehende Gebäude mit nachhaltiger Wärme zu versorgen„, erklärt Bianca Pfefferer von der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (ÖGUT). Eine Möglichkeit ist es, das Erdreich unter der Stadt durch rund 100 m tiefe Erdwärmesonden als Zwischenspeicher für Sommerwärme und Winterkälte zu nutzen: Im Sommer trägt das kühle Erdreich zur Kühlung von Gebäuden bei, im Winter wird die gespeicherte Wärme zum Heizen genutzt. Im Jahresmittel bleibt die Bodentemperatur dabei unverändert.
Im Neubau wird dieses Heiz- und Kühlsystem bereits häufig eingesetzt. Im Rahmen des Projektes »AnergieUrban« wurde untersucht, inwieweit dies auch nachträglich in bereits bestehenden Stadtgebieten möglich ist. Gemeinsam mit den Projektpartnern der TU Wien, der Geologischen Bundesanstalt sowie dem Architekturbüro Zeininger Architekten (Konsulent) untersuchte die ÖGUT in zwei repräsentativen Wiener Stadtteilen die Umsetzbarkeit eines Systems, das Solarenergie und Abwärmenutzung mit Erdwärmesonden kombiniert. Beauftragt wurde das Projekt vom Bundesministerium für Klimaschutz (BMK), der Stadt Wien – Energieplanung (MA 20) und dem Österreichischen Städtebund.
Technisch umsetzbar
„Die Ergebnisse sind sehr erfreulich: Es stellte sich heraus, dass es sowohl ausreichend Solar- und Abwärmequellen, als auch genügend Bohrflächen für Erdwärmesonden gibt, um ein flächendeckendes Anergienetz aufzubauen„, erklärt Stefan Sattler von der Stadt Wien, Energieplanung (MA 20).
Und: Bei einem Wiener Gründerzeithaus mit Gas-Heizungen rechnet sich der Umstieg bereits innerhalb von 20 Jahren. Der Vollkostenvergleich für ein Gründerzeithaus zeigt, dass die Fortführung der bestehenden Gas-Heizungen ähnliche Kosten verursacht, wie der Umstieg auf ein Solar/Erdwärmesonden/Wärmepumpen-System. „Dass die Umstellung auf erneuerbare Energien ohne Mehrkosten möglich ist, macht die Realisierung solcher Lösungen besonders attraktiv„, ist Simon Gangl vom BMK überzeugt. Ein besonderer Vorteil des neuen Systems ist, dass über Anergie im Sommer die Wohn- und Gewerbegebäude auch ohne Mehrkosten moderat gekühlt werden können.
Untersucht wurde die Machbarkeit des Anergie-Netzes in zwei Testgebieten in Wien: Am Lerchenfelder Gürtel im 16. Bezirk, wo 10.000 Menschen hauptsächlich in Gründerzeithäusern wohnen, und in einer Wohnsiedlung aus den 1960er-Jahren im 14. Bezirk mit rund 2.000 EinwohnerInnen. In beiden Stadtgebieten werden die Häuser derzeit noch mit fossilem Erdgas beheizt.
Ausreichend Platz in der Stadt
„Die detaillierten Analysen der Freiflächen ergeben, dass auch in dicht bebauten Stadtgebieten grundsätzlich genügend Platz für Erdwärmesonden vorhanden ist„, erklärt Robert Kalasek von der TU Wien. Einen wichtigen Beitrag – etwa 60 Prozent – leisten dabei öffentliche Flächen: Gehsteige, Parkplätze und Straßen. „Es müssen aber noch geeignete Regelungen für die Nutzung der öffentlichen Flächen entwickelt werden„, ergänzt Generalsekretär Dr. Thomas Weninger vom Österreichischen Städtebund.
Die Ergebnisse des Projektes wurden in den letzten Monaten mit umsetzenden Unternehmen diskutiert. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse wurden Empfehlungen für die Gesetzgebung und Verwaltung abgeleitet. „Wichtig ist, dass bei künftigen Bauprojekten das Erdwärmepotenzial optimal genutzt wird und wenn möglich auch gleich angrenzende bestehende Gebäude mitversorgt werden„, so Gregor Götzl von der Geologischen Bundesanstalt (GBA).
„Yes, we can!„, fasst Gerhard Bayer von der ÖGUT die Projektergebnisse zusammen: „Aus technischer Sicht steht der Ablösung fossiler Heizsysteme nichts mehr im Wege – wir können das System in allen Stadtteilen und Städten Österreichs ausrollen.“ Damit wäre ein großer Schritt hin zur Energiewende getan – schließlich entfällt rund ein Drittel des derzeitigen Energieverbrauchs auf Gebäude.
Was ist Anergie?
Unter Anergie versteht man in Zusammenhang mit Heizungen jene Form von Energie, deren Temperatur zu gering ist, um damit direkt ein Haus zu heizen oder Warmwasser zu erzeugen, allerdings warm genug ist, um über eine Wärmepumpe nutzbare Heizwärme oder Warmwasser zu erzeugen. Anergie kann z.B. die natürliche Wärme des Erdbodens (ab 10 m Tiefe in Österreich ganzjährig 10-12 Grad Celsius) sein oder die Abwärme aus Klimaanlagen.
Quelle: APA