Wer bei einem der fünf Netzbetreiber des Forums Versorgungssicherheit Strom aus einer erneuerbaren Produktionsanlage einspeisen will, erhält in der Regel innerhalb von wenigen Tagen einen positiven Bescheid, lediglich bei sehr großen – vor allem zu gewerblichen Zwecken genutzten – Anlagen kann es etwas länger dauern. Nach Fertigstellung der Anlage wird der Netzzugang innerhalb weniger Tage errichtet.
Trotzdem will die Kritik am Tempo des Netzausbaus nicht verstummen. Immer wieder wird Netzbetreibern vorgeworfen, dass sie als Bremser den Aufbruch in eine klimafreundliche Energiezukunft verzögern. „Die aktuellen Zahlen zeigen, dass die Netze im Gegenteil die Treiber der Energiewende sind“, betonte der Geschäftsführer der Wiener Netze, Thomas Maderbacher, beim Energiepolitischen Hintergrundgespräch des Forums Versorgungssicherheit am 6. März 2024.
Jedoch warnt Maderbacher mit Blick auf die Zukunft: „Wenn der Ausbau der Infrastruktur im nötigen Tempo weitergehen soll, müssen einige Rahmenbedingungen angepasst werden.“
Die Sprecherin des Forums Versorgungssicherheit, Brigitte Ederer, erinnert daran, dass die Netzbetreiber beim Ausbau der Infrastruktur stets drei Ziele gegeneinander abwägen müssen: „Unser Stromsystem soll klimaneutral werden, aber gleichzeitig darf die Versorgungssicherheit nie in Frage gestellt werden. Und es geht auch um die Leistbarkeit. Die Haushalte und die Wirtschaft dürfen nicht mit überschießenden Kosten belastet werden.“
Dreifache Herausforderung
Österreichs Klimastrategie sieht vor, dass ab 2030 der gesamte Inlandsverbrauch an Strom bilanziell aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden soll. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Netze bis 2030 zusätzlich 27 Terawattstunden Strom aus Wind- und PV-Anlagen sowie in geringerem Maße aus Biomasse und neuen Wasserkraftwerken aufnehmen.
Die Belastung der Netze steigt dadurch überproportional. Zum einen ist die Produktion aus Windkraft und PV wetterbedingt starken Schwankungen ausgesetzt, zum anderen nimmt die Zahl jener Verbraucher zu, die hohe Spitzenleistungen in Anspruch nehmen. „Eine Studie des Austrian Institute of Technology geht davon aus, dass 2023 mindestens eine Million E-Mobile regelmäßig geladen und 650.000 private Wärmepumpen versorgt werden müssen“, rechnet Maderbacher vor, „dabei treten Leistungsspitzen von 11 oder 22 Kilowatt und mehr auf, also ein Vielfaches der 3-4 Kilowatt, die ein typischer Haushalt an Spitzenleistung braucht.“ Die dritte große Herausforderung neben den Schwankungen bei der Produktion und bei den Verbrauchern liegt in der größeren Netzlänge: Anstelle weniger Großkraftwerke müssen künftig viele dezentrale Erzeugungsanlagen mit den Abnehmern verbunden werden.
Damit die Kosten für den Ausbau nicht aus dem Ruder laufen, sollte parallel dazu die Effizienz bei der Stromnutzung auf Kundenseite erhöht werden, verlangt Maderbacher: „Wir müssen tarifliche Anreize zur Eigenerzeugung und zum Eigenverbrauch setzen, vor allem Kleinproduzenten sollen ihren selbst erzeugten Strom vorwiegend selbst nutzen und allenfalls auch speichern.“ Zudem wünscht sich Maderbacher mehr rechtliche Möglichkeiten zur Nutzung von Flexibilitäten im Netz. Die Netzbetreiber sollen sowohl bei der Einspeisung als auch bei den Verbrauchern optimierend eingreifen dürfen, um so mehr Anlagen ans Netz bringen zu können als auch die Gesamtkapazität der Netze zu steigern.
Hürden für den Netzausbau
Für den mittelfristigen Ausbau der Netze sieht Maderbacher mehrere externe Faktoren, die als Bremser wirken können: „Erstens müssen die Kosten im Auge behalten werden. Die Netzbetreiber finanzieren sich zur Gänze über Netzgebühren, hohe Investitionen schlagen sich somit letztlich auf den Strompreis nieder. Hier muss mit Augenmaß vorgegangen werden.“ Was die Netzbetreiber nicht beeinflussen können, sind Lieferzeiten von technisch anspruchsvollen Komponenten: „Wir haben es bei Transformatoren, bei Schaltanlagen und bei Leitungen mit großen Leitungsquerschnitten mit Wartezeiten von mehreren Jahren zu tun, denn die Industrie ist an ihrer Kapazitätsgrenze. Es werden ja weltweit die Stromsysteme ausgebaut.“
Politisch besonders umstritten ist die Frage der Dauer von Genehmigungsverfahren. Leitungen und Umspannwerke müssen in der Regel eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchlaufen, die nach Angaben des Klimaministeriums derzeit im Schnitt 7 Monate in Anspruch nimmt. Im Zuge einer UVP werden zahlreiche einzelne Gutachten zu Fragen wie Wasser, Luft, Landschaftsbild, Kulturgütern und dergleichen erstellt. Dafür müssen Sachverständige herangezogen werden, und komplexe Verfahren erfordern auch ausreichend und qualifizierte Behördenvertreter. Hier treten ebenfalls Engpässe auf, berichtet Maderbacher: „Die Behörden müssen personell gut ausgestattet sein, das gilt auch für die Gerichte, die über Einsprüche zu entscheiden haben. Hier können unproduktive Wartezeiten verkürzt werden.“ Nicht zuletzt fehlen auch den beauftragen Bau- und Installationsunternehmen technisch versierte Mitarbeiter, weshalb Maderbacher resümiert: „Österreich braucht insgesamt eine längerfristige Strategie gegen den Fachkräftemangel.“
Wenn Leitungsprojekte auf den Widerstand von Anrainern oder Bürgerinitiativen stoßen, können sich die Verfahren sehr schnell in die Länge ziehen. Maderbacher führt als Beispiel die 380-Kilovolt-Salzburgleitung an: „Dort hat allein die Umweltverträglichkeitsprüfung 8 Jahre gedauert, doch davor gab es schon mehrere andere Anläufe. Vom Beginn der Planung, als der Bedarf festgestellt wurde, bis zur Genehmigung vergingen rund 20 Jahre.“ Das geplante Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz könnte hier Verbesserungen bringen, wenn es etwa gelingt, die Prüfung von Sachverhalten zu bündeln oder festzulegen, dass nur mehr sachlich gut begründete Einsprüche aufschiebende Wirkung entfalten. Maderbacher betont, dass es um eine Güterabwägung geht: „Wir wollen nicht, dass die Rechte von Anrainern geschmälert werden, schon gar nicht wollen wir einen Freibrief zum Bauen. Aber die Gesellschaft insgesamt muss sich zum Klimaschutz bekennen und ihm Priorität einräumen.“
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