Im September 2023 gründete die niederösterreichische Gemeinde Haunoldstein eine Bürgerenergiegemeinschaft (BEG), um nachhaltige Energieprojekte voranzutreiben. Bis heute hat die BEG bereits 106 Mitglieder mit 125 Zählpunkten. Das Besondere an ihr: Die Gemeinschaft nutzt Strom aus Windkraft, Photovoltaikanlagen und Wasserkraft, wodurch ein Selbstversorgungsgrad von 92 % erreicht wurde. Bürgermeister Hubert Luger zeigt sich begeistert: „Es ist beeindruckend zu sehen, wie die Bürger unserer Gemeinde hinter diesem Projekt stehen. Die Beteiligung und das Interesse zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“
Der Mix macht es aus: Ein Kleinwasserkraftwerk mit 75 kW Engpassleistung, 25 Photovoltaikanlagen mit 336 kW und erstmals auch eine Windkraftanlage der EVN mit einer Leistung von 2,3 MW sorgen in der Bürgerenergiegemeinschaft der Gemeinde Haunoldstein für einen extrem hohen Eigenversorgungsgrad – und darauf kommt es laut Expertenmeinungen schlussendlich auch an, wenn eine Energiegemeinschaft erfolgreich sein will.
Nur mit Unterstützung der Bevölkerung
Forscherin und Ökonomin Sigrid Stagl, Bürgermeister Hubert Luger und EVN-Vorstandssprecher Stefan Szyszkowitz zogen vor dem i-Magazin-Mikro eine erste Bilanz der Bürgerenergiegemeinschaft in der niederösterreichischen Gemeinde Haunoldstein. Univ.-Prof. Mag. Dr. Sigrid Stagl präsentierte Zahlen und Fakten darüber, wie man in Österreich, aber auch speziell in Haunoldstein, zum Thema der „Erneuerbaren Energie“ steht. Denn die Akzeptanz in der Bevölkerung stand für die EVN und die Initiatoren der Bürgerenergiegemeinschaft besonders im Vordergrund. Welche Bedeutung dieses Thema für den gesamten österreichischen Raum hat, unterstreicht auch Stefan Szyszkowitz: „Wir gehen davon aus, dass es nur durch eine starke Unterstützung einer breiten Bevölkerung möglich sein wird, dass wir den Umbau des Energiesystems nachhaltig und großflächig vorantreiben – natürlich immer wieder auf Basis der bestehenden technischen und auch rechtlichen Rahmenbedingungen.“ (Am Titelbild v.l.n.r.: Betreiber des Kleinwasserkraftwerks und Gemeindevorstand Thomas Hierner, EVN-Vorstandssprecher Stefan Szyszkowitz, Forscherin und Ökonomin Sigrid Stagl, Bürgermeister Hubert Luger und Vizebürgermeister Josef Anzenberger)
Wie die Österreicher:innen zur erneuerbaren Energie stehen
Eine aktuelle Gallup-Umfrage, an deren Entstehung auch Univ.-Prof. Mag. Dr. Sigrid Stagl beteiligt war, zeigt, dass in ganz Österreich eine sehr hohe allgemeine Akzeptanz für den Ausbau erneuerbarer Energien besteht. „In der Literatur ist bekannt, dass es sehr wenig Widerstand und sehr große Unterstützung für erneuerbare Energieerzeugungsanlagen gibt. Die allgemeine Akzeptanz für erneuerbare Energien liegt stets über 75%, manchmal bis zu 88 % Zustimmung,“ erklärt Ökonomin Sigrid Stagl zu Beginn ihrer Präsentation.
Lokale Akzeptanz und das Nimby-Phänomen
Obwohl die allgemeine Unterstützung hoch ist, gibt es laut Stagl Unterschiede in der konkreten Unterstützung vor Ort. „In der Literatur kennt man das „Nimby“-Phänomen: ‚Not in my backyard‘. Besonders sensibel, wenn es darum geht, die Beteiligten mitzunehmen, sind ältere Menschen, Personen mit Zweitwohnsitzen und solche ohne Erfahrung mit Erneuerbaren. Lösungsvorschläge sind, junge Menschen und dauerhafte Einwohner stärker einzubeziehen und Erfahrungen in Gemeinden mit Erneuerbaren zu nutzen“, hat Stagl auch eine Antwort parat.
Ergebnisse der Umfrage in Haunoldstein
In Haunoldstein befragte Sigrid Stagl insgesamt 58 Personen. Die Ergebnisse zeigen eine noch höhere Akzeptanz für erneuerbare Energien als in den vergleichbaren österreichweiten Umfragen. „Knapp 90 % der Haunoldsteiner:innen sehen Photovoltaikanlagen auf Dächern oder Fassaden positiv. Bei Windenergieanlagen liegt die Zustimmung für den Ausbau in Österreich bei etwa 83 %,“ so Stagl. Allerdings gibt es Widerstand gegen Photovoltaikanlagen auf Freiflächen: „Über 30 % lehnen diese ab, weil die befragten Haunoldstein:Innen als Bürger einer Agrargemeinde gute Ackerböden für Landwirtschaft nutzen möchten.“
Konkrete Unterstützung in Haunoldstein
Die Zustimmung der Bürger zu Photovoltaikanlagen auf Dächern und Fassaden in der eigenen Gemeinde ist mit 97 % noch einmal höher. „Die Menschen haben ihre Meinung gebildet, wollen aber anderen Raum geben, sich ebenfalls eine Meinung zu bilden,“ erklärt Stagl den Unterschied zu den Ergebnissen der Gallup-Umfrage. Beim Repowering bestehender Windanlagen liegt die Zustimmung bei über 90 %, während 60 % den weiteren Ausbau von Windenergieanlagen unterstützen.
Stakeholder-Interviews und zukünftige Herausforderungen
Stagl führte darüber hinaus 15 Interviews mit Gemeinderäten und Gemeinderätinnen. Diese zeigten, dass die BEG den Zusammenhalt in der Gemeinde stärkt. „Wenn man etwas anpackt, kann man etwas bewegen. Die Einwohner nehmen die BEG sehr positiv wahr,“ so Bürgermeister Luger. „Die meisten Stakeholder sehen die BEG als erfolgreich und glauben, dass andere Gemeinden dem Beispiel folgen werden,“ sagt auch Stagl.
Aktuell sind 20 % der Haushalte in Haunoldstein Teil der BEG. Luger will allerdings höher hinaus: „Unser Ziel ist, die 50 %-Marke zu knacken. Mein persönlich gestecktes Ziel liegt bei 60 %. Ich glaube, dass wir das in den nächsten Jahren erreichen können“, gibt er sich optimistisch. Die Herausforderungen bestehen unter anderem darin, alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen: „Speziell bei den älteren Bürgern besteht eine IT-Barriere, die es zu überwinden gilt. Doch damit nicht genug: Die Betreiber der BEG sind sich auch im Klaren, dass sie den Strompreis stabil halten müssen, um die Mitglieder auch künftig bei der Stange zu halten: „Derzeit bieten wir den Haunoldsteiner:Innen Strom um 11,8 C/kWh (Stand 29.7.2024) an“, womit man deutlich unter den Marktpreisen liegt.
Eine Übertragbarkeit des „Modell Haunoldstein“ auf andere Gemeinden hängt laut den Verantwortlichen vor allem von den lokalen Bedingungen ab, wie dem Vorhandensein von Wind- und Wasserkraft.
Warum die Einwohner der BEG beigetreten sind
Die Einwohner nehmen die Bürgerenergiegemeinschaft sehr positiv wahr – speziell, weil sie ein regionales Unterfangen ist. Die befragten Mitglieder der Bürgerenergiegemeinschaft gaben an, dass die Gründe, weshalb sie der BEG beigetreten sind, einerseits eine ökonomische Frage war – sie wollen einen niedrigen und vor allem einen stabilen Energiepreis. Andererseits stand die Regionalität im Vordergrund – die Mitglieder wollen sich regional selbst versorgen und betrachten darüber hinaus das Umweltthema als wesentlich. „Wobei „Regionalität“ für die Befragten gleichbedeutend mit „Unabhängigkeit“ ist. Es sind unterschiedliche Worte verwendet worden, die aber praktisch ident sind“, erklärt Stagl auf Nachfrage vom i-Magazin.
Die Gründe für den Erfolg
Für die EVN-Verantwortlichen, deren Tochterunternehmen die Energie Zukunft Niederösterreich (EZN) der Haunoldsteiner BEG bei der Realisierung des Projekts zur Seite stand, hat der Erfolg vor allem aber einen Grund: „Der Charme, den dieses Projekt hat, ist, dass man drei verschiedene Erzeugungsformen kombiniert hat. Von den 8.760 Stunden, die das Jahr hat, stehen gerade einmal 1.000 Sonnenstunden, etwa 2.300 bis 2.500 Windstunden und 4.500 bis 5.000 Stunden aus der Wasserkraft zur Verfügung. Erst durch diesen Mix kommt man auf einen Eigenversorgungsgrad von 92 % und damit auf einen viel höheren Abdeckungsgrad als bei einer Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaft, in der ausschließlich PV-Anlagen einspeisen“, so die klaren Worte.
Warum die EVN Bürgerenergiegemeinschaften unterstützt
Apropos „Einspeisen“ – wie ernst die EVN die Herausforderung auf Netzebene betrachtet, zeigen auch die abschließenden Worte von EVN-Vorstandssprecher Stefan Szyszkowitz: „In den meisten Regionen von Niederösterreich gibt es überhaupt kein Problem mit dem Einspeisen. Generell kann jeder bis zu 4 kW einspeisen – das ist für einen Durchschnittshaushalt auch eine vernünftige Größenordnung bei Eigenerzeugung. Wir errichten darüber hinaus bis zum Jahr 2030 insgesamt 42 neue Umspannwerke und zum Teil auch ein eigenes 110 kV-Netz für den Abtransport der Energie.“
Szyszkowitz betont auch, wie hoch der Eigenversorgungsgrad durch erneuerbare Energie in Niederösterreich bereits fortgeschritten ist: „Tatsächlich ist es schon so, dass Niederösterreich in den letzten Monaten mehr erneuerbare Energie erzeugt, als überhaupt verbraucht wird. Das heißt, Niederösterreich ist am Weg zum Bruttoproduzenten für erneuerbare Energie.“
Der EVN-Vorstandssprecher vergisst allerdings auch nicht, darauf hinzuweisen, dass der Netzausbau hohe finanzielle Aufwendungen zur Folge hat: „Die Kosten des Netzausbaus müssen letztendlich auch wir als Kunden und Kundinnen, Bürger und Bürgerinnen tragen. Und deshalb ist es vernünftig, wenn die Investitionen möglichst dann erfolgen, wenn sie wirklich notwendig sind und wenn sie durch konkretes Verhalten vor Ort eigentlich auch vermieden oder zumindest zeitlich ausgeschoben werden. Das heißt, die Erneuerbare-Erzeugung ist nur ein Teil der Rechnung – wesentlich sind natürlich auch die Kosten, die im Netz entstehen. Alles, was vernünftiges Verhalten vor Ort sicherstellt, führt dazu, dass es für alle auch günstiger wird“, lässt Szyszkowitz abschließend durchblicken, weshalb die EVN als Stromlieferant und Netzbetreiber Bürgerenergiegemeinschaften wie jene in Haunoldstein unterstützen.
Weitere Informationen auf: energiegemeinschaften.ezn.at/haunoldstein