Die Photovoltaikbranche verhält sich bislang viel zu schüchtern. So lautete der Tenor des Kongresses der Photovoltaic Austria. Die Notwendigkeit erneuerbarer Energien muss angesichts des Klimawandels viel deutlicher hervortreten – in der Bevölkerung ebenso wie bei den politisch Verantwortlichen. Da traf es sich gut, dass das Motto des heurigen Kongresses in den Räumlichkeiten der WKO »Große Vorhaben – grenzenlose Möglichkeiten« war.
von Moritz Hell
Zukunftsforscher Matthias Horx sprach es als erster aus. „Ich habe noch nie so eine schüchterne Branche vorgefunden wie die Ihre“, sagte er zu den Vertretern der Photovoltaik, von denen ihm im Verlauf der Veranstaltung einige zustimmen sollten. Horx‘ Rede war ein Kontrapunkt zu Vorredner Ingmar Höbarth. Der Geschäftsführer des Klima- und Energiefonds hatte den Anwesenden die grusligen Entwicklungen in der Erdatmosphäre anhand von Grafiken vor Augen geführt. „Die Erde hat insgesamt ein CO2-Budget von 800 Gigatonnen. Und diese 800 Gigatonnen haben wir schon weitgehend verbraucht“, sagte Höbarth. 16 Jahre bleiben der Menschheit noch, „um unsere Systeme zu dekarbonisieren.“ Dann ist das CO2-Budget verbraucht. Höbarth zeigte auch, wie dramatisch sich die Erde in den vergangenen 140 Jahren aufgeheizt hat. Er machte klar, dass es sich überhaupt nicht lohnt, mit dem Systemwechsel zu warten: „Je später wir Maßnahmen setzen, desto einschneidender müssen sie sein, desto radikaler müssen sie sein, desto teurer werden sie sein. Und desto mehr wird es auch unsere Volkswirtschaft kosten. Und hier sprechen wir nur vom 2-Grad-Ziel.“
Für den Umschwung braucht es Höbarth zufolge zwei Dinge, „einerseits eine Transformation zur nachhaltigen, emissionsarmen Gesellschaft, andererseits Wertewandel im Konsum und in Verhaltensmustern.“ Daher interpretiert er die beängstigenden Studien, die die Erderwärmung und den steigenden CO2-Gehalt nachweisen, auch positiv. Die erneuerbaren Energien sind für eine nachhaltig lebende Gesellschaft nämlich unerlässlich.
Sparsamkeit vs. intelligente Verschwendung
In der Frage des Konsumverhaltens widersprach ihm Horx. „Mit Verzicht werden wir die Menschen nicht zur Veränderung bewegen. Verzicht ist etwas, das Menschen sehr gerne haben – bei den anderen“, meinte er und erinnerte damit auch an die Debatte über die finanzielle Unterstützung der Schwächsten einer Gesellschaft. Horx ist überzeugt davon, dass die Zukunft „intelligente Verschwendung, nicht verkrampftes Sparen ist.“ Intelligente Verschwendung beruht auf einer durchgängigen Kreislaufwirtschaft. Dementsprechend seien erneuerbare Energien bisher viel zu negativ beworben worden, nämlich als Technologien des Verzichts. „Die Steinzeit ist ja auch nicht an Mangel an Steinen zugrunde gegangen“, kalauerte er. Die Folge eines fehlenden Verzichts, eine Katastrophe, kann man sich aber viel leichter vorstellen als eine positive Zukunft. Stattdessen sollte sich die Photovoltaik als Teil einer positiven, spannenden Zukunft präsentieren, die Neues zu bieten hat. „Es ändert sich mehr als nur die Quelle der Energie. Es verändern sich die Strukturen und die Designs.“ Energiequellen haben das Potenzial, diese gesellschaftlichen Strukturen zu verändern. Während wir bislang gewohnt sind, Energie aus großen, oft weit entfernten Kraftwerken zu beziehen, bereitet eine erneuerbare Energie wie die Solarkraft den Weg zur Autarkie in der Energieversorgung. (Über den Weg vom Konsumenten zum Prosumenten schrieb das i-Magazin u.a. in der zweiteiligen Artikelserie »Stromkunden, erhebt euch!« in den Ausgaben 2-3/19 und 4/19.) Zugleich bietet die Photovoltaik mehr Möglichkeiten, Energiegemeinschaften und -genossenschaften zu bilden. In diesem Punkt waren Horx und Höbarth einer Meinung. Letzterer belegt die Perspektive des Zukunftsforschers mit Erfahrungswerten: „Es hat einen sehr starken bewusstseinsbildenden Charakter, wenn die Bevölkerung mitmacht“, sagte Höbarth über Bürgerbeteiligungsanlagen.
Dass der Handel mit Strom künftig nicht Energiekonzernen vorbehalten bleibt, sondern eben auch Bürgern der Handel ermöglicht wird, ist Plan des Clean Energy Packages der EU. An dessen Entwicklung war Walburga Hemetsberger beteiligt. Die Geschäftsführerin von Solar Power Europe, des europäischen Interessenverbandes der Photovoltaik, präsentierte dazu bisherige Erfolge sowie Perspektiven der Photovoltaik. So betrug der Zuwachs an Solaranlagen in der EU vergangenes Jahr 36 %. Das entspricht 8 GWp. Hemetsberger zeigte sich damit zufrieden, die realistische Prognose war aufgegangen. Die Erwartungen für die nächsten Jahre sind moderat: „Wir sind sehr zuversichtlich, dass dieser Trend bestehen bleibt. Für 2019 sehen wir einen Zuwachs von circa 13 GWp.“ Bis 2020 soll sich der Zuwachs auf 16 GWp steigern. „Das ist nur das mittlere Szenario“, betonte sie. Optimistische Szenarien gehen von bis zu 27 GWp pro Jahr aus. Die Hoffnung nach einem weiteren Zuwachs an Photovoltaikanlagen in der EU wird zusätzlich durch die Tatsache genährt, dass 17 Staaten ihre Klimaziele für 2020 noch nicht erreicht haben. „Das heißt, bis dahin müssen in diesen Ländern massiv Erneuerbare aufgebaut werden. Für die nächsten zwei Jahre erwarten wir für die Photovoltaikbranche daher einen sehr starken Zuwachs, weil die Staaten sicherstellen müssen, dass sie ihre Ziele erreichen.“ Österreich hat das Ziel übrigens noch nicht erreicht, ist aber auf gutem Weg dorthin.
Die weltweite Entwicklung könnte Anlass zur Vermutung sein, dass die Ziele der Photovoltaikbranche tatsächlich zurückhaltend sind: 2017 gab es ein Wachstum von 100 GWp – ein Wert, der als schwer zu übertreffen galt. Doch genau das geschah. Im Jahr darauf waren es 104 GWp.
„Der große Wurf war sicher, dass Europa bis 2030 32 % Erneuerbare im Energiemix haben will“, sagte Hemetsberger. Was bedeutet das für die Photovoltaikbranche? „Wir glauben, dass Solarenergie bis 2030 20 % des Strommixes stellen kann.“ Sie vergaß nicht, die ökonomische Bedeutung dieser Technologie zu erwähnen. Bis 2030 könnten in Österreich 300.000 Arbeitsplätze durch Photovoltaik entstehen. Damit sei sie jener Sektor erneuerbarer Energie, „in dem die meisten Arbeitsplätze geschaffen werden“, bewarb sie die Photovoltaik.
Ein anderer Standpunkt
Nicolai Zwosta arbeitet daran, dass Strom günstiger wird, zumindest relativ. In Deutschland gibt es tageszeitbedingt nämlich erhebliche Unterschiede auf dem Strommarkt. Morgens und abends kostet eine Kilowattstunde rund 4 Cent, während sie mittags nur halb so teuer ist. Indem herkömmliche, das heißt nach Süden ausgerichtete Photovoltaikanlagen die meiste Energie zur Mittagszeit produzieren, tragen sie zu dieser Preislage bei und belasten das Stromnetz. Was macht Zwosta also anders?
Zwosta ist Vorstand der Energiegenossenschaft Solverde Bürgerkraftwerke. Diese ist eine der beiden »Mütter« der Next2Sun GmbH. Diese wiederum hat ein Konzept für bifaziale, also zweiseitige Photovoltaikanlagen entwickelt. Diese Anlagen sind nicht nach Süden ausgerichtet. Sie sind auch nicht horizontal aufgestellt – das wäre hochgradig ineffizient. Die von Next2Sun erdachten Anlagen sind vertikal aufgestellt und so angeordnet, dass sie zweimal am Tag direkt beschienen werden – ost-westlich. Die Energie wird dabei zu jenen Zeitpunkten produziert, in denen der Strombedarf am höchsten ist. Diese Anordnung bringt einen Mehrertrag von bis zu 15 % und einen Mehrerlös von bis zu 10 % gegenüber herkömmlichen Anlagen.
Nach Zwostas Meinung könnte auch in Österreich eine Delle im Strompreis entstehen, etwa dann, wenn auch der Verkehr mit Strom laufen soll. „Wir müssen darauf achten, dass wir bedarfsgerecht produzieren, weil das Stromnetz die Schwankungen und Ungleichheiten zwischen Erzeugung und Verbrauch langsam nicht mehr abfedern kann“, warnte Zwosta. Sämtliche Photovoltaikanlagen bifazial anzuordnen und ost-westlich auszurichten, mag zwar auch nicht sinnvoll sein, doch diese Frage stellt sich nicht. Die Lösung mit Solarmodulen auf beiden Seiten ist für landwirtschaftliche Nutzung vorgesehen, da dort am ehesten der Platz dafür gegeben ist. Dafür sind die Anlagen dort in mehrfacher Hinsicht nützlich. Zum einen ermöglicht die vertikale Installation eine wesentlich größere Flächennutzung als eine horizontale. Nur 0,5 % der Fläche werden überbaut. Zum anderen ist bei Regen die Bewässerung des Bodens viel gleichmäßiger. Das rückt die Natur in den Fokus. „Mit unserem Anlagenkonzept kann Lebensraum bereitgestellt werden“, sagte Zwosta.
Im urbanen Raum bedarf es anderer Lösungen. Eine davon stellte Albert Hiesl von der TU Wien vor. Hiesl betreut das Forschungsprojekt Pocket Mannerhattan Ottakring, in dessen Rahmen ein Gebäudekomplex mit Solaranlagen ausgestattet wurde. Er schien sehr überzeugt von dem „innovativen Stadtentwicklungstool“, obschon das Projekt rechtliche Herausforderungen mit sich bringt. Pocket Mannerhattan Ottakring beruht auf Partizipation: Es handelt sich um Mehrparteienhäuser, in denen sowohl (Wohnungs-)Eigentümer als auch (Ver-)Mieter wohnen. Bei aller Komplexität der rechtlichen Rahmenbedingungen sind die Bewohner begeistert, da sie nun auch abseits der Solaranlage miteinander Zeit verbringen. Hiesl bestätigte damit Höbarths positive Meinung über Bürgerbeteiligungsanlagen: Pocket Mannerhattan Ottakring hat das Potenzial, die Fremdheit der Großstadt zu überwinden.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen debattierten auch Vera Immitzer, Josef Plank und Matthias Fischbacher in einer Podiumsdiskussion. Fischbacher, als Geschäftsführer der DAfi GmbH für die Installation von Photovoltaikanlagen zuständig, forderte bei der Förderung von ebensolchen Anlagen eine Vereinfachung der Administration, denn „Einfachheit punktet!“
Immitzer, Geschäftsführerin der Photovoltaic Austria, strich die Verschiedenheit der Nutzungsmöglichkeiten heraus. „Jede Anwendungsmöglichkeit muss genutzt werden“, mahnte sie, gab aber zu bedenken, diese Vielfalt würde auch zeigen, dass es notwendig sei, je nach Nutzungsmöglichkeit separate Anreize zu bieten. Kritisch sieht sie die Eigenverbrauchsreihung im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz. „KMUs und Private kriegen nicht so hohe Eigenverbrauchsquoten zusammen wie Großbetriebe. Hier braucht es eine andere Regelung, denn gerade die Privaten und die KMUs sind wichtig, um die Energiewende zu schaffen.“ Hier wandte Plank, Generalsekretär des Nachhaltigkeitsministeriums ein: „Grundsätzlich hat Eigenverbrauch einen hohen Sinn, gerade bei der PV, um Spitzen zu kappen. Aber wenn die Gefahr besteht, dass dadurch Anlagen bewusst kleiner werden, als sie sein könnten, dann sind wir möglicherweise nicht in die richtige Richtung unterwegs.“ Als er meinte, die Erneuerbaren-Branche sei ein „zersplitterter Haufen“, war es Immitzer, die dagegenhielt und einwandte: „Wir sind nicht zersplittert. Wir sitzen alle gemeinsam im Verband Erneuerbare Energie Österreich. Und wir sind uns alle – Erneuerbaren-Träger, -Verbände und Energiewirtschaft – darin einig, dass wir keine technologieoffenen Ausschreibungen wollen. Technologieoffen heißt, Wind tritt gegen PV tritt gegen Kleinwasserkraft an. Wenn ich aber ein Energiesystem haben möchte, in dem jede Technologie vorkommt, schaffe ich das mit technologieoffenen Ausschreibungen nicht.“
Bilder zum Abschluss
Als sich der Tag bereits in die Länge zog, durfte Christoph Panhuber das Mikrofon ergreifen. Er tat es zum zweiten Mal, da er zu Beginn der Veranstaltung bereits einleitende Worte gespendet hatte. Der Photovoltaik-Verantwortliche der Energie AG Oberösterreich berichtete in seinem bilderreichen Vortrag über die seit 30 Jahren laufende Photovoltaikanlage am Loser. Obwohl ein Blick in die Vergangenheit, zeigte das Projekt, wie langlebig und leistungsfähig Solarmodule selbst dann sind, wenn sie Schäden aufweisen – sie erbrachten nämlich nahezu die gleiche Leistung wie unbeschädigte Module.
Weitere Informationen unter www.pvaustria.at