EU-Richtlinie zur Gebäudeenergieeffizienz:

Klimaschutz oder Horror für Hausbesitzer?

von Oliver Kube
von Oliver Kube Foto: © Pixabay

»Fit for 55« – so heißt ein geplantes Maßnahmenpaket der EU, das unter anderem vorsieht, dass nahezu sämtliche Gebäude in der EU bis 2050 emissionsfrei sein sollen – mit verschiedenen Zwischenzielen und Ausnahmen. Einige YouTube-Kanäle verbreiten Panik mit Warnungen vor vermeintlichen »Enteignungsplänen«. Andere befürchten lediglich, dass die Kosten für viele Hauseigentümer kaum stemmbar sein werden. Das i-Magazin hat nachgeforscht, was die Pläne der EU wirklich vorsehen, welche Fragen noch offen sind und wie das weitere Procedere aussieht, bis die Richtlinie tatsächlich beschlossen und umgesetzt werden kann.

Das EU-Maßnahmenpaket »Fit für 55« ist tatsächlich eine Art Abnehmprogramm, doch nicht für Menschen in den Mittfünfzigern, sondern für die Emissionen in der Europäischen Union. Und zwar bis 2050 um 55 % im Vergleich zu 1990. Das Paket enthält eine ganze Reihe von Maßnahmen in unterschiedlichen Sektoren, etwa Energie, Verkehr, Landwirtschaft, Industrie und Immobilien. In Bezug auf letztere wird in reichweitenstarken Videos auf YouTube vor einer »Enteignung« von Gebäudeeigentümern gewarnt, welche die EU angeblich unter dem Deckmantel des Klimaschutzes bzw. der Gebäudeenergieeffizienz planen würde: So wird etwa behauptet, dass wer bis zu den jeweiligen Stichtagen sein Haus nicht auf Vordermann gebracht wird, von der Staatsgewalt auf die Straße gesetzt würde. In keinem der Videos, die unsere Redaktion gesichtet hat, wird ein Beleg oder eine Quelle für die angeblichen Enteignungspläne angeführt. Das verwundert wenig, denn es gibt sie augenscheinlich nicht. Der Eigentümerverband Haus & Grund aus Deutschland (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Linzer Hausverwaltungsgesellschaft) spricht zwar nicht von Enteignung, sieht jedoch die „Bezahlbarkeit des Wohnens gefährdet“ und rechnet bei älteren Gebäuden teilweise mit Sanierungskosten in sechsstelliger Höhe. Was die Europäische Union wirklich plant und was der aktuelle Stand der Dinge ist, darüber hat sich das i-Magazin schlau gemacht.

Nix ist fix!

Gleich vorab: Fix beschlossen ist noch nichts. EU-Rat, EU-Kommission und EU-Parlament haben ihre jeweiligen Positionen zur neuen EU-Gebäudeenergieeffizienzrichtlinie abgestimmt – zuletzt das Parlament am 14. März 2023. Nun geht es in die sogenannten Triloge, die Verhandlungen zwischen den drei genannten Gremien der Europäischen Union. An deren Ende wird ein Kompromiss stehen, der dann wiederum in Parlament und Rat bestätigt werden muss. Jutta Paulus, Grünen-Abgeordnete des EU-Parlaments aus Deutschland und Mitglied des Ausschusses für Umweltfragen, schätzt auf Nachfrage des i-Magazins, dass dieser Schritt wahrscheinlich im Herbst 2023 erfolgt. Für die Beschlüsse genügt im Parlament die einfache Mehrheit und im Rat die sogenannte qualifizierte Mehrheit von mindestens 55 % der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 % der EU-Gesamtbevölkerung repräsentieren müssen. Erst anschließend erfolgt die Umsetzung in die nationale Gesetzgebung durch die einzelnen Mitgliedstaaten, die aufgrund der verschiedenen Ausgangssituationen und Herausforderungen unterschiedlich ausfallen können. Die EU-Richtlinie wird – wenn sie fertig und beschlossen ist – lediglich die Mindestanforderungen und Empfehlungen vorgeben.

Nullemissionsgebäude bis 2050 in Etappen

Aufgrund der noch ausstehenden Etappen der europäischen und nationalen Beschlussfassung ist es kaum möglich, bereits jetzt exakte Aussagen darüber zu treffen, was auf den einzelnen Gebäudeeigentümer in Österreich, Deutschland oder einem anderen EU-Land im Detail zukommen wird. Zunächst soll die Skala der Gebäudeeffizienzklassen EU-weit einheitlich von A bis G gehen. Bislang konnten die Mitgliedsstaaten das weitgehend selbst festlegen. Die einzelnen Mitgliedstaaten haben zudem die Möglichkeit, eine Kategorie A+ einzuführen – für Gebäude, die mehr Energie ernten als verbrauchen, etwa sehr gut gedämmte Neubauten mit Photovoltaik-Anlage.

Im ersten Schritt geht es darum, die Häuser mit der allerschlechtesten Energieeffizienz zu modernisieren. Zu diesem Zweck sollen jeweils die 15 % ineffizientesten Gebäude in einem Mitgliedstaat der neuen Effizienzklasse G zugeordnet und zunächst auf Effizienzklasse F und später gemeinsam mit weiteren Gebäuden auf E bzw. D verbessert werden. Wann genau welche Gebäude welche Energieeffizienzklasse erreicht haben sollen, darin besteht zwischen den Gremien noch keine Einigkeit. Beispielsweise sollen nach dem Vorschlag der EU-Kommission bereits bestehende Wohngebäude bis 2030 mindestens in Klasse F und 2033 mindestens in Klasse E fallen. Der Vorschlag des EU-Rats hingegen sieht vor, dass 2033 bereits Klasse D erreicht sein muss. Für Nicht-Wohngebäude sind wiederum andere Fristen vorgesehen. Jeweils betroffen sind logischerweise nur diejenigen Gebäude, die diese Anforderungen nicht ohnehin bereits erfüllen. Die ÖVP schätzt, dass in Österreich rund 300.000 Häuser betroffen sind, die bis 2030 saniert werden müssen. Da die genauen Anforderungen und Fristen noch nicht feststehen, sind solche Angaben mit Vorsicht zu genießen. Für 2040 soll jeder Mitgliedstaat in nationales Niveau festlegen, was die Erreichung des Endziels ermöglichen soll – den Nullemissionsgebäudebestand bis 2050. Dabei wird davon ausgegangen, dass auch Nullemissionsgebäude einen verbleibenden Energieverbrauch haben. Dazu schreibt MdEP Jutta Paulus dem i-Magazin: „Dieser wird rechnerisch, anhand der Berechnung des Primärenergieverbrauchs ermittelt, nicht anhand des realen oder finalen Verbrauchs. Hier sollen EU-Mitgliedsstaaten verschiedene Möglichkeiten der Einflussnahme haben. Bei der Berechnungsmethode dürfen z.B. PV-Paneele oder Wärmepumpe positiv angerechnet werden oder Primärenergiefaktoren könnten regional, national, real oder zukünftig abgeschätzt werden.“ Neue Gebäude sollen schon wesentlich früher die »Nullemission« erreichen als Bestandsgebäude: Neue Gebäude in öffentlicher Hand bereits ab 2027 (Kommission) oder 2028 (Rat), alle anderen neuen ab 2030 – hier stimmen Rat und Kommission miteinander überein.

Welche Ausnahmen und Sanktionen gibt es?

Ganz gleich ob nun ein Jahr früher oder später, es bleibt die Frage: Wer soll das bezahlen? Für den ersten Schritt – sofern überhaupt nötig – reichen meist einfache Renovierungsarbeiten wie etwa der Austausch von Fenstern. Doch um die anderen Etappenziele und letztlich die Nullemission zu erreichen, genügt das natürlich längst nicht. Insbesondere Menschen oder Familien, die im geerbten oder jahrzehntelang abbezahlten Eigenheim wohnt bzw. noch am Abzahlen des Kredits sind, können sich eine Sanierung für einen fünf- oder gar sechsstelligen Betrag nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Die EU hat bereits unterstützende Förderungen in Höhe von ca. 150 Milliarden Euro angekündigt. Wie genau die Summe verteilt wird und wie sanierungspflichtige Eigentümer an das Geld rankommen sollen, ist noch unklar. Zudem fordert die EU die einzelnen Mitgliedstaaten auf, zusätzliche Unterstützungspakete zu schnüren. Aber was geschieht, wenn ein Gebäude zum jeweiligen Stichtag nicht den Anforderungen entspricht – sei es aus finanziellen oder anderen Gründen? Zunächst einmal sehen die EU-Vorschläge bereits einige Ausnahmen vor: Dazu zählen historische und denkmalgeschützte Gebäude sowie solche, die nur zeitweise genutzt werden wie beispielsweise Ferienwohnungen. Ausnahmen sollen weiterhin gelten für den Fall, dass zu wenig Material oder Personal zur Verfügung steht, um die geforderten Maßnahmen umzusetzen. Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten weitere Ausnahmen festlegen, etwa um einkommensschwache Eigentümer zu entlasten. Aber was, wenn die Fördergelder nicht reichen, keine Ausnahme greift und das eigene Geld nicht ausreicht? Nach dem Entwurf der Kommission liegen mögliche Sanktionen ebenfalls in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Das EU-Parlament spricht sich prinzipiell gegen Sanktionen aus und hat den betreffenden Paragraphen gelöscht. Darüber hinaus heißt es im Beschluss des EU-Parlaments explizit, dass die Richtlinie und ihre Umsetzung mit den Grundprinzipien des Eigentums- und Mietrechts der Mitgliedstaaten vereinbar sein sollen. Sprich: Sofern die jeweilige nationale Gesetzgebung bislang keine Enteignungen im Rahmen solcher oder vergleichbarer Maßnahmen vorsieht, ist keine zu befürchten. Im Entwurf der EU-Kommission heißt es zudem wörtlich: „Die Mitgliedstaaten sollten Maßnahmen ergreifen, um Zwangsräumungen aufgrund von Renovierungen zu verhindern.“

Kritisch bleiben ohne Panikmache

Die Panik vor Enteignungen ist unbegründet, die Sorge vor hohen Kosten hingegen ist verständlich. Bei zu vielen Ausnahmen und vollständigen Sanktionsfreiheit würde sich die Frage stellen, ob das ganze Paket klimapolitisch nicht ein zahnloser Tiger ist. Es bleibt nun abzuwarten, was tatsächlich auf EU-Ebene beschlossen wird und wie der jeweilige Mitgliedstaat die Richtlinie umzusetzen gedenkt. Insbesondere bei den Ausnahmen, Förderungen und der sozialen Absicherung gilt es stets kritisch hinzuschauen und sich nicht auf mehr oder weniger unverbindliche Absichtserklärungen zu verlassen. Bis dahin ist es unabhängig von den Details nicht verkehrt, auf selbst produzierten PV-Strom und energieeffizientes Heizen zu setzen. Dadurch wird die Energieeffizienz des eigenen Gebäudes verbessert, was fürs Klima und die laufenden Strom- und Heizrechnungen getan – und das völlig unabhängig davon, was am Ende in der EU-Richtlinie und den nationalen Gesetzen stehen wird.

Mehr Informationen unter: www.europarl.europa.eu

 

Ähnliche Artikel

Hinterlassen Sie einen Kommentar

* Zur Speicherung Ihres Namens und Ihrer E-Mailadresse klicken Sie bitte oben. Durch Absenden Ihres Kommentars stimmen Sie der möglichen Veröffentlichung zu.

Unseren Newsletter abonnieren - jetzt!

Neueste Nachrichten aus der Licht- und Elektrotechnik bestellen.