Runder Tisch mit Gewerbe, Handel und Industrie:

Mehr Dialog über die gesamte Lieferkette

von Sandra Eisner
von Mag. Sandra Eisner Foto: © www.i-magazin.com

Preiserhöhungen während des Jahres, Lieferkettenprobleme und Verknappung, Bunkern – ja oder nein? Was ist richtig und was falsch? Eine allgemeingültige und erfolgsversprechende Antwort zu finden, scheint angesichts der Komplexität der aktuellen weltweiten Herausforderungen unmöglich. Dennoch baten wir hochrangige Vertreter der Sparten Gewerbe, Handel und Industrie zu einem »Runden Tisch«, um sich genau dieser Aufgabe zu stellen. Ob und zu welchem Schluss sie gekommen sind, lesen Sie exklusiv im i-Magazin!

Interview: Thomas Buchbauer

Text: Mag. Sandra Eisner

Andreas Wirth, Bundesinnungsmeister der Elektro-, Gebäude-, Alarm- und Kommunikationstechniker, Robert Pfarrwaller, CEO Rexel Österreich und Obmann Bundesgremium des Elektro- und Einrichtungsfachhandels, und Karl Sagmeister, Geschäftsführer Schneider Electric und Sprecher der Grauwarenrunde in der WKO, stellten sich der Mammutaufgabe, die aktuelle Lage in der Elektrotechnik-Branche zu analysieren und Lösungsansätze aufzuzeigen. Sie diskutierten Fragen wie: Wie sollen Unternehmen angesichts der Lieferprobleme Baustellen abschließen? Wie zeitnah werden Preiserhöhungen seitens Industrie und Großhandel kommuniziert? Wie schlagen sich die Steigerungen in der Praxis durch? Und – nicht zuletzt – wird sich die Situation zuspitzen oder doch bald entspannen? In einem umfassenden Gespräch kamen die Sichtweisen aller drei Ebenen der Wertschöpfungskette auf den »runden Tisch«. Lesen Sie nachfolgend, ob und wie sie ineinanderfließen und zu einem konstruktiven Lösungsansatz verwoben werden könnten.

 

Bundesinnungsmeister Andreas Wirth

„Viele Innungsmitglieder stehen vor der großen Herausforderung, wie sie ihre Baustellen fertigstellen können und was zu welchem Preis angeboten werden soll“, so BIM Andreas Wirth. (Bild: www.i-magazin.com)

Herr Wirth, wie ist der aktuelle Stand (per 17.11.2021) zum Thema der Lieferverzögerungen aus Sicht des Handwerks? Welche Bereiche sind davon zurzeit betroffen?

Andreas Wirth: Ganz aktuell habe ich heute erfahren, dass dringende Kabellieferungen erst Mitte Februar eintreffen werden, da beim betreffenden Kabelhersteller kein Kunststoff zur Verarbeitung verfügbar ist. Viele Innungsmitglieder stehen vor der großen Herausforderung, wie sie ihre Baustellen fertigstellen können und was zu welchem Preis angeboten werden soll. Eine große Nachfrage herrscht derzeit im Bereich Photovoltaik – hier stehen wir vor vielen Problemen, da wir aufgrund von Prognosen vermuten, dass bereits im Februar ein massiver Engpass vorherrschen wird.

 

Betreffen diese Prognosen den Bereich PV als Ganzes oder beschränken sich die (künftigen) Engpässe auf etwa Module oder Wechselrichter?

Wirth: Ich beziehe mich auf die gesamte PV-Anlage inklusive Wechselrichter, Aluminiumuntergestell, Paneele etc. Hier bemerken wir durch regelmäßige Meldungen der betreffenden Unternehmen bereits große Probleme. Wir versuchen, Einzelaspekte aufzuzeigen und sie bei unseren Mitgliedern zu thematisieren bzw. sie darüber zu informieren, denn ich möchte vermeiden, dass unsere Mitgliedsbetriebe Angebote abgeben und dann vielleicht während des Jahres vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Wenn jetzt schon Schwierigkeiten bekannt sind, dann wollen wir helfen und warnen. Ich persönlich glaube, dass Photovoltaik ein Bereich ist, in dem es im kommenden Jahr zu Problemen kommen wird.

 

Wie gestaltet sich die Situation aktuell aus Sicht des Großhandels, Herr Pfarrwaller?

Robert Pfarrwaller: Das Jahr ist geprägt von Verwerfungen im gesamten Markt. Wenn jemand Ende 2020 gesagt hätte, dass wir 2021 mit massiven Lieferverzögerungen und Preiserhöhungen zu kämpfen hätten, hätte man wahrscheinlich an seiner Wirtschaftsfähigkeit gezweifelt. Tatsache ist jedoch, dass beides eingetreten ist, weil die Wirtschaft einzigartigerweise weltweit beinahe gleichzeitig angesprungen ist. Es gab Lieferverzögerungen quer durch die Supply Chain (Schiffstransporte u. Ä.), was diese Mentalität von »just in time« gehörig durcheinandergebracht, ja sogar aufgebrochen hat. Ich kann nicht sagen, dass hier in den nächsten Wochen und Monaten Veränderungen eintreten. Im Moment gibt es Verknappungen bei Kabeltypen, Schalterprogrammen, Verteilereinbaumaterial, bei manchen Lichtprodukten sowie Konsumgütern. Wobei ich sagen muss – und da möchte ich für die gesamte Branche sprechen – dass zumindest der Großhandel versucht hat, den Engpässen durch Erhöhung der Warenverfügbarkeiten entgegenzusteuern. Dennoch sind wir von internationalen und lokalen Industrieunternehmen und ihrer Lieferfähigkeit abhängig. In manchen Bereichen, etwa bei Fernsehern o. Ä., sehen wir sinkende Preise, aber die grundsätzliche Tendenz in den meisten Sparten gestaltet sich eher gegenteilig. Da die Elektrotechnikbranche über ein unglaublich großes Portfolio verfügt, ist es sehr schwierig zu eruieren, wer wann und wie Preise erhöht. Wenn wir über Preissteigerungen von Produkten informiert werden, so geben wir diese Infos grundsätzlich schnellstmöglich weiter, auch wenn sie erst in zwei oder drei Monaten gültig sind. Zu den Produkten, die verstärkt nachgefragt werden, gehören sicher jene aus dem Bereich PV – gleichzeitig wird weltweit verstärkt auf Solarenergie gesetzt und wenn es am Markt eine Nachfrageerhöhung gibt bei gleichzeitiger Verknappung, gehen die Preise üblicherweise nicht nach unten. Mein Appell an die Industrie lautet daher, Preiserhöhungen so früh wie möglich zu kommunizieren. Wobei das durchaus die Gefahr von massiven Vorziehkäufen und Einlagerungen birgt. Das darf man nicht unterschätzen. Wir als Großhandel legen aber besonderen Wert auf intensiven Austausch und Kommunikation mit unseren Lieferanten und Kunden, sowohl mit dem Handwerk als auch mit der Industrie. Wir warnen unsere Kunden vor längerfristigen Preisbindungen, denn auch die Endkunden werden sich an diese Volatilität gewöhnen müssen. Aufgrund des derzeitigen Nachfragebooms, den wir seit mehreren Monaten erleben, gepaart mit der Rohstoffknappheit und der internationalen Lieferfähigkeit, sehe ich momentan aber keine Entspannung in den nächsten Monaten.

 

Karl Sagmeister, Geschäftsführer Schneider Electric

„Generell kann man zurzeit nicht sagen, dass die Situation besser werden wird, das Thema wird sich eher noch weiter zuspitzen“, legt Karl Sagmeister, Geschäftsführer Schneider Electric, dar. (Bild: www.i-magazin.com)

Herr Sagmeister, wie schätzen Sie die Situation aus Sicht der Industrie ein? Wie findet die Weitergabe der Informationen statt und zu welchem Zeitpunkt?

Karl Sagmeister: Die Kommunikation von Preiserhöhungen im Markt gestaltet sich unregelmäßig, da jeder Hersteller seine eigenen Richtlinien zur Kalkulation und Weitergabe der Preissteigerungen hat – das ist extrem heterogen und oft nicht zufriedenstellend, weil unberechenbar. Generell kann man zurzeit nicht sagen, dass die Situation besser werden wird, das Thema wird sich eher noch weiter zuspitzen. Gerade im Rohstoffbereich, bei Vorlieferanten, sehen wir, dass die Ware zwar ihren Weg zum Markt findet, die Kosten jedoch sind unglaublich. In der Industrie kann man diese Preissteigerungen nicht eins zu eins weitergeben – das wäre unmöglich – und behilft sich mit entsprechenden Mischkalkulationen. Was auch angewendet wird und hilfreich ist, sind die Materialpreiszuschläge, wobei sich hier die Fragestellung nach dem Warum der unterschiedlichen Preise in Österreich und Deutschland auftut. Zum Teil liegt dieser Umstand darin begründet, dass es in Deutschland sehr gängig ist, Rohstoffpreiszuschläge zu verrechnen, die tagesaktuell kalkuliert und an die Kunden verrechnet werden. Das ist in Österreich noch nicht Stand der Dinge und deshalb gibt es Unterschiede. Diese Themen werden sich intensivieren, wie etwa Überlegungen hinsichtlich eines fairen Umgangs miteinander anzustellen.

 

Die Rohstoffpreise werden in Österreich doch durchaus in den Preis miteinberechnet?

Sagmeister: Ja, aber nicht in allen Produktgruppen. Es gibt unterschiedliche Kalkulationen, einerseits sind sie in den Materialpreisen inkludiert, die dann fix für eine gewisse Zeit gelten, andererseits gibt es die volatile Preisverrechnung mit einem Tagespreis für den Materialzuschlag und einem Fixpreis für das Produkt: Je nach Materialanteil wird tagesaktuell ein Zuschlag verrechnet und es ist durchaus gängig, dass sich das bis zum Endkunden durchzieht. Das sind Wege, die die Industrie in unterschiedlichen Ausprägungen geht.

Wirth: Bei großen Bauträgern bzw. Auftraggebern ist ein Materialzuschlag im Grunde unmöglich, denn sie beharren auf einem fixen Betrag, um kalkulieren und ihr Budget halten zu können. Baumeister haben es versucht, doch nun werden andere Wege gegangen und vieles umgestellt, etwa von Beton auf Holz. Ja, bei kleineren Aufträgen kann ich mir eine kurze Angebotsfrist mit einer Materialpreisklausel vorstellen, aber Fakt ist, dass dies bei großen Bauten nicht möglich ist.

Sagmeister: Wir haben uns bereits mit dem rechtlichen Begriff der Untreue befasst, um zu evaluieren, wo sie beginnt. Ich denke, es ist wichtig, sich auch damit (bereits in der Theorie) auseinanderzusetzen. Wenn ich heute einen Festpreis annehme und weiß, dass mich auf Einkaufsseite Preissteigerungen von 10 bis 20 % erwarten – was heute in manchen Produktgruppen durchaus üblich ist – dann ist es fast schon fahrlässig, denn ich kann keinen Fixpreis abschließen, der meine Kalkulation sprengt. Es gibt Rechtsprechung, die hilft. Bei Änderungen der Preiskalkulation von über 10 % ist man berechtigt, besonders auch im B2B-Bereich, bei vorheriger Vereinbarung die Preise anzupassen. Ich glaube, das müssen wir als Branche lernen. Als Industrieunternehmen sehen wir, dass es nicht besser wird, auch auf Sicht. Die Unsicherheiten steigen und die Volatilität wird wahrscheinlich immer mehr steigen, deshalb ist es gut, wenn man die ganze Wertschöpfungskette danach ausrichtet.

Wirth: Viele Baustellen erstrecken sich über einen Zeitrahmen von eineinhalb bis zwei Jahren. Wie sollen Elektriker mit dieser Volatilität umgehen? Sollen sie selbst wieder Lager bauen, um zum Beispiel bereits jetzt verkaufte Zählerkästen selbst zu kaufen und zu lagern, um den Preis halten zu können?

Robert Pfarrwaller, CEO Rexel Austria

„Wenn wir über Preissteigerungen von Produkten, die nachgefragt werden, informiert werden, so geben wir diese Infos grundsätzlich sofort weiter“, stellt Robert Pfarrwaller, CEO Rexel Austria, klar. (Bild: www.i-magazin.com)

Pfarrwaller: Debatten zu Preisbindung auf bestimmte Aufträge werden immer mehr zunehmen. Wir müssen in diesem Wechselspiel zwischen Großhandel, Industrie und Handwerk immer berücksichtigen, ob wir das auch mit der Industrie zu bestimmten Preisen gegendecken können. Der österreichische Markt ist nur ein Markt von vielen und die globalen Supply Chains agieren global. D.h. bekommen wir diese Stückzahlen dann auch garantiert? Insgesamt wird sich das Modell dessen, was das traditionelle Geschäft darstellt, verändern, davon bin ich überzeugt. Es werden mehr dieser Fragestellungen kommen. Auch die Endkunden, egal ob privater oder öffentliche Hand, werde hier eine bestimmte Flexibilität zulassen müssen. Das Risiko kann nicht allein von einem Marktteilnehmer alleine geschultert werden.

Wirth: Bei öffentlichen Bauträgern gibt es ein Entgegenkommen, gemeinnützige Bauträger vergeben Wohnungen zu einem fixen Quadratmeterpreis, sie müssen die Errichtungskosten halten – ich verstehe auch ihre Seite.

 

Wie gestaltet es sich in der Handwerkspraxis, wenn Sie Ihr Angebot nicht halten können?

Wirth: Es geht eher darum, bei einem bestehenden Auftrag in die Pönalzahlungen zu rutschen, das ist das Problem. Das Gewerbe hat den Puffer geschluckt, sollte diese Entwicklung das kommende Jahr auch so sein, ist das aus unserer Sicht sehr bedenklich.

Pfarrwaller: Wo die Volatilität am härtesten greift, ist etwa bei Metallzuschlägen, bei allen anderen gibt es schon heute auch bei den Angeboten des Großhandels Preisbindungen, auch auf die Stückzahlen. Doch kann sich der Kunde schnell genug entscheiden, dass diese Preisbindung eingehalten wird? Es gibt wenige Unternehmen die nur Tagespreise anbieten-natürlich kann ich hier nicht für alle Unternehmen sprechen und jeder hat sein eigenes Risiko zu beurteilen. Die international verflochtenen Unternehmen haben einen guten Überblick über das was kommen wird. Vielfach werden Preise doch über mehrere Tage oder Wochen gehalten. Aber nochmals, ich kann hier nicht für alle Unternehmen sprechen.
Die Frage der Preisbindung wird uns aber generell stärker als bisher beschäftigen.

Wirth: Sicher, aber die grundsätzliche Frage bei den Gewerbebetrieben ist jene, wie viel Eigenmittel sie haben, um in Vorleistung bei Materialeinkauf gehen zu können.

Pfarrwaller: In solchen Situationen muss man viel mehr miteinander reden. In den letzten Jahren wurde stark automatisiert vorgegangen mit festen Einstellungen, die nur abgerufen wurden, und so wurde vieles geregelt – wir müssen agiler werden in der Lieferkette, darüber sprechen, wie wir mit den Situationen umgehen können. Der Ansatz dazu wird mehr Dialog brauchen. Wie ist die Verfügbarkeit auf der einen Seite, wie gestaltet sich die Preisentwicklung nach vorne? Um ein Beispiel aus der Endkonsumentensicht zu nehmen: Ja, wir haben eine Preissteigerung insbesondere für PV. Aber das Material für PV ist ein Aspekt, der Projektgesamtpreis ein anderer. Wenn die Materialkosten um 10 % steigen, heißt das noch lange nicht, dass der Endkonsument beim Projekt 10 % mehr zahlen muss, weil sich die Erhöhung ja nicht eins zu eins im Gesamtpreis durchschlägt. Wenn ich 60 % Arbeitszeit habe und 40 % Material, dann wirkt sich das auf den Gesamtprojektpreis anders aus – auch diese Argumentation muss stärker verfolgt werden. Im Moment finde ich die Berichterstattung dazu sehr preis- und verfügbarkeitslastig geführt. Es ist wichtig über das Thema und die derzeitige Situation aufzuklären, aber nicht nur Panik zu verbreiten. Denn dann werden Vorziehkäufe stattfinden, die die aktuelle Lage nicht positiv beeinflussen wird. Fakt ist: Jeder, der ein Elektrogerät braucht, bekommt eines – möglicherweise nicht die Type und Marke seiner Wahl und eventuell nicht sofort, aber er wird versorgt.

 

Karl Sagmeister

„Je nach Unternehmensgröße hat man Vorlaufzeiten, bis wann sich die Rohstoffpreiserhöhungen durchschlagen.“ (Bild: www.i-magazin.com)

Herr Sagmeister, wie weit ist die Industrie in Österreich informiert über anstehende Preissteigerungen, begründet auf steigenden Rohstoffpreisen? Erhalten Sie regelmäßige Informationen aus den Werken?

Sagmeister: Jeder Konzern hat eine eigene Kommunikationspolitik, aber grundsätzlich sind die Situationen Anfang des Jahres und heute komplett unterschiedlich. Wir wissen aktuell, dass die Verfügbarkeiten noch weiter abnehmen und die (Rohstoff-)Preise steigen, was man nicht zuletzt an den Börsen sieht. Je nach Unternehmensgröße hat man Vorlaufzeiten, bis wann sich diese Rohstoffpreise sozusagen durchschlagen. Je kleiner die Unternehmen sind, desto schwieriger wird es, weil man eventuell dem Spotmarkt ausgeliefert ist, um noch Materialien zu bekommen. Es gibt Industriebetriebe, die eine Woche vorher Bescheid wissen und andere zwei Jahre zuvor, wie sich die Entwicklung gestaltet. Zudem hat jeder Konzern, jedes Unternehmen andere Entscheidungsstrukturen. Es gibt Konzerne, in denen lokale Teams entscheiden: Sie bekommen Vorgaben, was an Margen erwirtschaftet werden muss und entscheiden selbst, was man mit Einsparungsmaßnahmen schafft, was mit Preiserhöhungen versehen wird und/oder wie man sich bei Projekten mit Rabatten verhält. Andere agieren mit strikten Vorgaben über eine Preiserhöhung von X über den ganzen Markt. Es gibt also eine große Bandbreite und kein einheitliches Vorgehen, das für alle berechenbar ist. Im Normallfall ist dieser ständige Wettbewerb ein Vorteil, aktuell machte es das aber gerade so schwierig für Elektrikerbetriebe, die sich fragen, wonach sie sich richten sollen.

Pfarrwaller: Im Großhandel haben wir die wesentliche Rolle diese Volatilität in gewissem Maß auszubalancieren. Denn wir agieren als Drehscheibe im Ausgleich zwischen Verfügbarkeit, Marken und Preisstellungen. Hier eine Übersicht zu bekommen, ist extrem schwierig.

Sagmeister: Jene Industriehersteller, die dreistufig agieren, haben jetzt in Summe eine bessere Chance, diese Krise abzuwettern. Auch aus Sicht der Industrie ist nun genau diese Funktion der Abfederung durch den Großhandel enorm wichtig: Gibt es in einem Produktportfolio massive Lieferprobleme, so wird der Kunde nicht im Stich gelassen, sondern es wird mit dem Großhandel gemeinsam eine Lösung für das Gewerbe gesucht.

 

Robert Pfarrwaller, CEO Rexel Austria

„Insgesamt haben wir als Großhandel die wichtige Rolle als Drehscheibe zwischen Verfügbarkeit, Marken und Preisstellungen zu agieren.“ (Bild: www.i-magazin.com)

Wie agieren die Einkäufer aktuell im Großhandel? Welche Aufgaben haben sie und wie sind ihre Herangehensweisen im Vergleich zu 2020? 

Pfarrwaller: Die Einkäufer handeln derzeit als Krisenmanager, die darauf achten, dass die Konditionen marktgerecht bzw. plausibel sind, und dafür sorgen, dass Waren im Lager sind. Die international verflochtenen Unternehmen haben hier sicherlich Vorteile, da man schneller einen größeren Blick auf die Marktveränderungen hat und dies auch schneller mitbekommt. Bei Engpässen kommt natürlich sofort auch die Thematik der Alternativprodukten und auch die Vergleichbarkeit. Die Einkäufer, gemeinsam mit den Teams aus Logistik und dem Vertrieb bewältigen derzeit wirklich große Herausforderungen.

 

Sind die finanziellen Probleme der Handwerksbetriebe über die gesamte Branche gesehen tatsächlich in einem derart kritischen Bereich, oder sind nur ein paar wenige Betriebe davon betroffen?

Wirth: In der Gesundheitskrise hatte unsere Branche das höchste Wachstum seit 1970. Wir merken es in den Bereichen erneuerbare Energie, Digitalisierung, Elektromobilität, aber auch bei Bauen und Sanieren. Die Maßnahmen der Regierung wirken, es waren fast zu viele (wirtschaftliche) Ankurbelungsmaßnahmen und wir wissen nicht, wie wir dieses Ausmaß angesichts des Fachkräfte-, Hilfskräfte- und Lehrlingsmangels bewerkstelligen sollen. Ich glaube, dass es im kommenden Jahr definitiv noch schwieriger werden wird. Und die steigenden Energiepreise werden ihren Teil dazu beitragen. Wünschenswert wäre eine frühzeitige und regelmäßige Kommunikation innerhalb der Wertschöpfungskette.

Pfarrwaller: Wir als Branche legen großen Wert auf regelmäßige Kommunikation mit unseren Kunden und Lieferanten. Wir beobachten den Markt intensiv und pflegen einen regelmäßigen Austausch mit den Schlüssellieferanten, um auch hier ein Frühwarnsystem für unsere Kunden zu haben. Über die letzten Monate haben wir natürlich dazugelernt, viele Großhändler haben die Läger erweitert – wir als Unternehmen zum Beispiel um 30 % – um die Verfügbarkeit sicherzustellen. Das Hauptproblem ist jedoch, dass es im Moment keine Planbarkeit gibt. Die Frage ist, wie wir wieder eine 80%ige Planbarkeit mit einer 20%igen Volatilität schaffen. Zurzeit sind eher 60 % volatil und 40 % planbar. Das Wichtigste, das wir haben, ist eine Gesprächsbasis, um zu eruieren, wie wir uns noch besser darauf einstellen können.

Sagmeister: Was sicher auch zur Situation beiträgt, sind die Megatrends Digitalisierung und Elektrifizierung. In der Vergangenheit war es im Regelfall so, dass irgendein Wirtschaftszweig komplett wegbricht und Kapazitäten frei werden. In der Elektrotechnik geht jedoch alles nach oben, nichts bricht weg. Jeder Hersteller hat sich natürlich nach der Decke gestreckt und nach Planungszahlen von Marktwachstumsprognosen seine Kapazitäten ausgerichtet. Diese Planungszahlen, die wir in der Industrie hatten, waren jedoch deutlich anders, als sich die Marktrealität heute zeigt. Das bedeutet, in den gesamten Ketten bis zu den Rohstoffherstellern haben wir die Kapazitäten nicht. Als niemand wusste, wie das Corona-Thema (wirtschaftlich) enden würde, haben Konzerne, große Unternehmen bis hin zu den kleinsten ihre Bestände runtergefahren. Dann hat man sich am Ende der ersten Lockdowns gefunden und plötzlich ging der Verkauf nach oben. Dazu kommt die Hamstermentalität und nun mangelt es in einer Produktgruppe an Rohstoff, in einer anderen fehlen Kapazitäten in der Zwischenverarbeitung. Wir sehen das beim Kupfer zum Beispiel: Der Rohstoff ist nicht das Problem, aber man bekommt keine Kupferplatte oder Kupferschiene für eine Schaltanlage oder einen Leistungsschalter, da der Verarbeiter nicht in der Lage ist, seine Kapazität so hochzufahren, dass er alles bedienen kann. Es ist eine Komplexität, die in allen Bereichen anders gelagert ist. Mal ist es die Transportkapazität, dann kämpfen viele Hersteller, die in China produzieren, zurzeit mit ungeplanten Abschaltungen von Fabrikanlagen wegen der Energiekrise. Die Zero-Covid-Politik, die in Asien sehr stark verfolgt wird, führt außerdem dazu, dass bei Erkrankung eines einzigen Hafenarbeiters, alles für eine Woche stillgelegt wird und 200 Container-Schiffe vor dem Hafen liegen. All das kommt zusammen in dieser Situation, in der wir uns befinden.

 

Andreas Wirth

„Wünschenswert wäre eine frühzeitige und regelmäßige Kommunikation innerhalb der Wertschöpfungskette.“ (Bild: www.i-magazin.com)

Wer hat die 30 % mehr an Material (Umsatzzuwachs des deutschen EGs im heurigen Jahr) verbaut, wenn wir unter einem Facharbeitermangel leiden bzw. kaum ein Facharbeiter mehr auf den Baustellen beschäftigt ist?

Wirth: Wir haben in der Branche zum Glück sehr viele Arbeitskräfte und Lehrlinge gewonnen. Auch das »Projekt« des Elektropraktikers hat einen wesentlichen Teil dazu beigetragen sowie unsere Tätigkeiten an den Schulen. Dennoch bin ich selbst oft sprachlos, wie wir alles gemeistert haben.

Pfarrwaller: Ich finde es gut, dass die Bundesinnung bereits früh begonnen hat, alternative Ausbildungsprogramme für neue Berufsbilder wie jenes des Elektropraktikers zu entwickeln – nämlich schon zu einer Zeit, als die Nachfrage nach Fachkräften noch nicht so eklatant war wie heute. Niemand hat mit dem enormen Wachstum gerechnet, aber es hat sicherlich dazu beigetragen, dass mehr Arbeitskräfte ihren Weg in unsere Branche gefunden haben. Hier kann man nur ein Kompliment an die Bundesinnung aussprechen für die vorausschauende Handlungsweise und weitere Maßnahmen werden wir natürlich auch in der Zukunft unterstützen.

 

Was wäre ein Lösungsansatz für den Arbeitskräftemangel Ihrer Ansicht nach?

Pfarrwaller: Man muss zunächst analysieren, woher der Arbeitskräftemangel kommt. Natürlich haben die »Grenzschließungen« in der Pandemie wesentlich dazu beigetragen, dass derzeit vor allem in der Gastronomie als auch in den Lagerbereichen Arbeitskräfte fehlen. Mittel- und langfristig muss man jedoch die Branche und die betreffenden Berufsbilder attraktiver gestalten. Und die Elektro- und Elektronikindustrie hat da definitiv viel Potenzial. Sie ist eine krisensichere, aber – vor allem mit der Energiewende und der Digitalisierung – auch eine zukunftsrelevante Branche. Zusätzlich muss die Lehre gesellschaftlich einen völlig anderen Stellenwert bekommen. Sie braucht einen Imagewandel. Wir müssen unser gesamtes Bildungs- und Berufssystem neu denken. Für welche Aufgaben werden wir im Jahr 2030 Arbeitskräfte brauchen und wie kommen wir dorthin? Ich weiß von vielen Industrieinitiativen im kleinen Kreis in Österreich, die hier Aktivitäten setzen, denn alle brauchen den Nachwuchs. Außerdem werden wir im Fachkräftebereich selektive Zuwanderung benötigen. Um die Volkswirtschaft und unseren Wohlstand zu erhalten, brauchen wir qualifizierte Fachkräfte, auch in unserer Branche.

Wirth: Man muss sich von dem Bild entfernen, dass der ausgelernte Elektriker mit Aufgaben wie Stemmen oder Rohre zu verlegen betraut ist. Seine Aufgaben sind es zum Beispiel, einen Wechselrichter zu montieren, anzuschließen, einzustellen, zu programmieren, IP-Adressen zu vergeben. Für Hilfsarbeiten bzw. gewisse Arbeitsbereiche braucht man keinen ausgebildeten »Fachmann«. Wir müssen es schnell schaffen, hier Abhilfe zu leisten und neben dem Bewerben der Lehre auch Quereinsteiger in die Branche bekommen für die unterstützenden Hilfstätigkeiten. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist.

Sagmeister: Letztlich muss sich Leistung wieder auszahlen – das Leistungsprinzip muss im gesellschaftlichen Rahmen wieder ein Stück weit nach vorne gebracht werden als positives Bild. Es darf keine konterkarierenden Maßnahmen in der Sozialpolitik geben, bei aller Solidarität, das ist wichtig und schafft sozialen Frieden, aber es muss mit dem Leistungsprinzip wieder attraktiv werden für junge Menschen, eine Ausbildung zu machen. Was bzw. wer uns zurzeit auch wegfällt, ist das Potenzial der HTL-Schüler, die nun alle durch die Corona-Maßnahmen in der Schule »durchgewunken« werden. Die Aussteiger waren sehr gute Mitarbeiter in vielen Bereichen, auch in der Industrie.

 

Ist es wie so oft im Leben, dass der Kleine die Rechnung bezahlt? Macht man bei der Preisgestaltung Unterschiede zwischen großen und kleinen Handwerksbetrieben?

Pfarrwaller: Preiserhöhungen werden an den gesamten Markt kommuniziert und betreffen alle Unternehmen, egal welcher Größenordnung. Produkte werden teurer, aber Vereinbarungen werden immer zwischen Unternehmen individuell getroffen.

 

Wie hoch ist der Anteil jener Artikel, bei denen es unter dem »Deckmantel« des Rohstoffmangels und der Lieferkettenthematik zu Preiserhöhungen gekommen ist, ohne dass es notwendig gewesen wäre?

Pfarrwaller: Ich kann nicht für jedes Unternehmen sprechen, aber die Preiserhöhungen, die von der Industrie kommuniziert wurden, wurden vom Großhandel weitergegeben und dort, wo es keine Preiserhöhungen gegeben hat, waren die Preise stabil. Generell überprüft der GH natürlich die Plausibilität jeder Preiserhöhung der Lieferanten, u.a. stimmen die Aussagen der Begründung der Preiserhöhung mit den Markttrends überein (Rohstoffpreiserhöhungen etc). Die meisten Großhändler publizieren die kommenden Preiserhöhungslisten auf ihren Websiten veröffentlicht inklusive Infos seitens der Industrie. Wenn die Firma X eine plausible Preiserhöhung kommuniziert, kommt diese Information an den Großhandel und wird transparent schnellstmöglich zur Verfügung gestellt. Wenn wir allerdings nach vorne schauen, so haben wir zusätzlich einen sehr hohen KV-Abschluss bei den Transporteuren, steigende Diesel-Preise, voraussichtlich steigende Maut-Preise sowie Strom- und Energiekosten. Das hat nichts mit den Produktkosten zu tun, sondern mit den sogenannten Gemeinkosten – wie weit sich das alles in der Preisgestaltung niederschlägt, wird sich noch weisen, aber generell haben wir es mit einer inflationären Situation zu tun.

Sagmeister: Man kann nicht jede Preiserhöhung eins zu eins weitergeben, das heißt, man macht eine Mischkalkulation über das Portfolio: Es kann durchaus sein, dass Produkte stärker oder miterhöht werden, bei denen es normalerweise von den direkten Rohstoffkosten her nicht notwendig wäre – dafür ist es bei anderen, die deutlich zu erhöhen wären, nicht so stark der Fall. Je größer das Portfolio ist, greift man zu dieser Mischkalkulation, doch generell überlegt man, wie man vernünftige Erhöhungen, die in der Wertschöpfungskette noch eine Chance haben, durchgereicht zu werden, erzielen kann. Es gibt durchaus Produkte, die müsste man um 20 % erhöhen, da versucht man über das Portfolio, über den Verkaufsmix die Erhöhung so zu gestalten, dass sie verträglich wird.

 

Woher stammt die Mehrzahl der Produkte aus der Elektrotechnik – gibt es dazu Zahlen?

Sagmeister: Nein, die gibt es nicht, hierzu werden keine Zahlen erhoben. Erschwerend hinzu kommt der Umstand, dass viele Produkte Vorlieferstufen haben. Es kann durchaus sein, dass der Chip für ein Produkt aus Japan kommt, die Fertigung in Polen stattfindet und das Endprodukt in Österreich veredelt wird.

 

Um die Abhängigkeiten zu verringern, gibt es verschiedene Lösungsansätze. Einer davon sieht vor, gewisse Industriezweige nach Europa zurückzuholen bzw. sie hier anzusiedeln. Wie bewerten Sie diese Möglichkeiten?

Sagmeister: Aus einer ersten Reaktion aus dem Bauch heraus mag der Ansatz vernünftig erscheinen, die Supply Chain stückweise zu kürzen und zurückzuholen, nur damit kommt automatisch auch das Thema der Kosten wieder auf die Tagesordnung. Die Frage, die sich stellt, lautet: Wollen wir uns das auch volkswirtschaftlich leisten, Produktionen aus China zurückzuverlagern zu dem Preis, dass Produkte teurer werden – und nicht nur kurzfristig? Wie weit wird das Lernen aus der Krise gehen, wie nachhaltig wird sich das Konsumentenverhalten ändern? Wenn man sich von der »Geiz ist geil«-Mentalität wegbewegt hin zu Qualität, Regionalität und Nachhaltigkeit, so sind das positive Tendenzen, die der Industrie dabei helfen werden, entsprechende Entscheidungen zu treffen. Solange wir immer nach dem billigsten Produkt jagen, muss man schauen, wie man dieses herstellt, und da zeigen sich in der Automatisierung gewisse Grenzen in unserer Branche. Manche Schritte oder Aspekte kann man nicht automatisieren, das bedeutet, man hat einen hohen manuellen Arbeitsanteil und der ist dort günstig, wo die Arbeit günstig ist. Die nächste Frage lautet: Was wird die Politik dazu beitragen, um die Attraktivität von regionaler Fertigung und regionalem Bezug zu steigern? Wird es Vorteile in Ausschreibungen, in Vergabeverfahren geben? Diese Fragen werden zu beantworten sein. Wenn wir nachhaltiger wirtschaften wollen, spielt neben dem CO2-Ausstoß per se auch die Länge der Supply Chain eine Rolle und wie nachhaltig und auch sozial sie ist.

Pfarrwaller: Die Globalisierung ist nicht an einem Tag entstanden, sondern über 20 Jahre gewachsen. Wir haben ein paar Jahre vor uns, in denen diese Volatilität durchschlägt. Was meiner Meinung nach insgesamt einen großen Einfluss nehmen wird, ist der CO2-Fußabdruck. Das sieht man schon in den ersten europäischen Ländern, in denen es strikte Voraussetzung ist, zu seinem angebotenen Produkt den CO2-Fußabdruck zu hinterlegen und was man in der Herstellung dazu beiträgt. Da wird, glaube ich, in den nächsten Jahren vieles passieren. Die Politik ist im Schaffen von Rahmenbedingungen gefordert.

 

Würde der Großhandel Produkte, die in Europa produziert werden, künftig bevorzugt listen, lagern und promoten?
Pfarrwaller: Wir haben als Teil der Wertschöpfungskette langjährige Partnerschaften mit Industrie und Handwerk. Die Thematik, wo wird was produziert ist Pandemiebedingt stärker in den Fokus gerückt und hat sicherlich mehr Transparenz geschafft. Wir werden als Großhandel sicherlich nicht die Weltwirtschaft ändern, aber die gesellschaftlichen Trends, welche wir auch unterstützen, nämlich mit unseren Produkten und Handlungen auch positiv zum Klimaschutz beizutragen wird mehr Fokus bekommen. Als Beispiel: Zunächst muss beim Endkonsumenten das Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass Produkte mit einem geringeren CO2-Fußabdruck gegebenenfalls etwas teurer sind. Dazu werden Daten benötigt, was mit großem Aufwand verbunden ist. Wir sind alle in einer Lernkurve, um eine Datenbasis zu generieren, die es erlaubt, bei zukünftigen Projekten den jeweiligen CO2-Fußabdruck zu eruieren. Für die entsprechende Nutzung der gesammelten Datenmengen wird es Schulungen geben müssen. Die Entwicklung wird in diese Richtung gehen und Konsumenten, egal ob gewerblich oder privat, werden bezogen auf Nachhaltigkeit sensibler werden. Ob sie dann bereit sind, mehr zu bezahlen, oder ob es insgesamt eine Deflation gibt, wird die Zukunft weisen.

 

Meine Herren, vielen Dank für das Gespräch!

 

Weitere Informationen auf:

www.rexel.at

www.se.com/at

www.wko.at

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1 Kommentar

Thomas Deutsch 13. Dezember 2021 - 8:35

Es ist spannend zu lesen. Vor allem der Bereich mit Partner aus Europa verstärkt arbeiten zu wollen.
Würde uns allen helfen.

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