Moderne Energieversorgung sieht anders aus:

Wie der Strom benachteiligt wird

von Moritz Hell

Die Elektrobranche ist über den Entwurf zur neuen Richtlinie 6 des Österreichischen Institutes für Bautechnik (OIB) fassungslos. Die Mission 2030, also das Vorhaben, bis dann 100.000 Dächer mit Photovoltaikanlagen auszustatten, wird durch den Entwurf ad absurdum geführt. Das ist bei weitem nicht der einzige Punkt, den die Innung der Elektrotechniker und der Fachverband der Ingenieurbüros vor dem i-Magazin-Mikro kritisieren.

von Moritz Hell

Neun Seiten umfasste die Stellungnahme, die die e-Marke Austria im Juli an das OIB gesandt hatte. In „diesem sehr einseitigen Entwurf“ des OIB ortete Gottfried Rotter, Geschäftsführer der e-Marke, eine „augenscheinliche Ungleichbehandlung der Interessenvertreter“. Eine andere Interessenvertretung, die Vereinigung österreichischer Kessellieferanten (VÖK), hatte in ihrer Stellungnahme zum ersten Entwurf noch beklagt, die Pläne des OIB betreffend Strombedarf wären zu ambitioniert. Obwohl diese Stellungnahme zwei geringfügig mit Argumenten unterlegte Seiten kurz war, scheint lediglich sie Eingang in die Abänderung des Entwurfs gefunden zu haben.

Strom wird schlechtgeredet

Die Kritik der e-Marke am aktuellen Entwurf fällt vernichtend aus. Das OIB verhindere energieeffizientere Systeme, meint Rotter. So wird man etwa für den Einsatz von Photovoltaikanlagen noch bestraft, indem nur ein geringer Betrag der Energie für den Energieausweis gegengerechnet werden darf, die man selbst verbraucht. Von der Raumheizenergie beispielsweise dürfen maximal 25 Prozent der durchschnittlichen Jahresleistung gutgeschrieben werden. Das zerstöre die Mission 2030, in deren Rahmen die Installation von Photovoltaikanlagen gefördert werden sollen. „Das OIB tut so, als gäbe es keine modernen Speichertechnologien“, sagt Rotter, „es macht für den Eigenbedarf produzierte Energie bewusst schlecht. Dabei fördern wir das Speichern von Energie seit fünf Jahren.“ Die Konsequenz? „Wir fordern die 1:1-Gegenrechnung für Strom aus erneuerbaren Quellen und für eigenproduzierten Strom. Dieser soll mit null Gramm CO2 pro Kilowattstunde gerechnet werden!“

Gottfried Rotter kritisiert auch die undurchsichtigen Berechnungsmethoden im Entwurf der Richtlinie 6. Das bestärke den Verdacht, der Elektrobranche sollte geschadet werden.

Der Konversionsfaktor von Strom

Der Eindruck, die VÖK würde vom neuen Entwurf profitieren, verdichtet sich, wenn man einen Blick auf den Konversionsfaktor des Stroms wirft, jenen Faktor, der die kalkulatorische Treibhauswirkung beziffert. Das OIB plant, diesen Wert auf 248 g CO2/kWh zu setzen. Absurderweise ist der Konversionsfaktor von Gas um genau ein Gramm niedriger angesetzt. Zum Vergleich: Die E-Control beziffert den Konversionsfaktor von Strom mit 61 g/kWh. „Es liegt auf der Hand, dass die Bewertungen des OIB falsch sind“, sagt auch Roman Weigl vom Fachverband der Ingenieurbüros. Er vermutet zwar, dass hinter den unterschiedlichen Werten andere angenommene Parameter stecken, die dann eben für die Differenz sorgen. „Wenn man sich aber die Vergleichswerte ansieht, dann kommt man zu dem Schluss, dass der Strom sabotiert wird“, folgert er. Und er fügt hinzu: „Ich bin nicht derjenige, der die Elektroheizung für alle Objekte forciert. Ich stehe dem neutral gegenüber. Aber die Maßnahmen des OIB deuten darauf hin, dass man entweder nicht nachgedacht hat oder den Strom bewusst nicht haben wollte.“

Weigls Worte sind in Anbetracht der folgenden Zahlen nicht zu hart gewählt. Die Anschaffung einer Pelletsheizung für ein 145 Quadratmeter großes Haus kostet rund 44.000 Euro. Ein Haus der gleichen Größe mit Elektroheizung auszustatten, macht hingegen nur circa 15.000 Euro aus. „Mit der konventionellen Heizung verbrennen wir im wahrsten Sinne des Wortes Geld“, hält Rotter fest.

Der hohe Konversionsfaktor von Strom wird folgendermaßen begründet. Alle Energieformen mit Ausnahme des Stromes werden nach dem Konsumentenmix beurteilt. Der richtet sich nach der CO2-Produktion bei der Verwendung. „Strom wird jedoch nach dem Erzeugermix beurteilt, also nach der Herkunft. Man kann sich vorstellen, welchen Wert Gas hätte, würde es nach dem Erzeugermix eingeordnet.“ Rotter wünscht sich aber keine Erhöhung des Gaswertes, sondern eine Senkung des Stromwertes entsprechend der E-Control – also 61 g/kWh.

Roman Weigl lobt die dezentrale Warmwasserversorgung. „Es ist die effizienteste Maßnahme, die man zur Warmwasserbereitung vornehmen kann.“

Die Energieaufwandszahl – und was Krankenhäuser damit zu tun haben

Nicht alles, was man an Energie zum Wärmen aufwendet, kann tatsächlich dafür genutzt werden. Dieser Verlust wird in der Energieaufwandszahl ausgedrückt. Bei wassergeführten Systemen beträgt dieser Wert zwischen 1,14 und 1,17. Das heißt, vom Aufwand gehen effektiv bis zu 17 Prozent verloren. Dem Strom ordnet das OIB denselben Wert zu, sogar dann, wenn direkt geheizt wird. Paradox, findet Gerald Prinz, Innungsmeister der Elektrotechniker: „Strom hat im Gegensatz zu Wasser keine undichten Leitungen. Daher ist die Energieaufwandszahl für Strom viel zu hoch angesetzt.“ Als Alternative fordert die Innung eine Energieaufwandszahl von 1,005, wie es die ÖNORM vorsieht. Das wäre auch völlig logisch, wie Weigl anschaulich ergänzt: „Würde man beim Strom wirklich mit einem Energieaufwand von 1,17 rechnen, hätte man in der Steckdose nicht mehr eine Spannung von 230 Volt, sondern nur mehr 200. Viele elektrische Geräte würden dann überhaupt nicht mehr funktionieren.“

Generell wäre es, unabhängig vom System, angebracht, die Warmwasserversorgung von der Heizung zu trennen. Zum einen arbeiten kleinere Wasserkessel energieeffizienter, weil sie leichter an den individuellen Bedarf angepasst werden können. Zum anderen wirkt sich eine Dezentralisierung der Warmwasserversorgung positiv auf die Hygiene aus. Von dieser Technik profitieren Krankenhäuser, die mittlerweile mit dezentralen Warmwasserbereitungseinheiten ausgestattet werden. „Und die sind selbstverständlich elektrisch“, merkt Weigl an.

Gerald Prinz wünscht sich vom Gesetzgeber die Möglichkeit, Strom aus eigener Produktion zu beziehen. Das würde helfen, die Mission 2030 zu erfüllen.

Konsumenten zahlen drauf

Im Übrigen könnte man selbst den von der E-Control angenommenen Konversionsfaktor von 61 g/kWh niedriger ansetzen; zum Beispiel, wenn man sich den Faktor der Fernwärme vergegenwärtigt. Obwohl Fernwärme nicht einmal zur Hälfte aus erneuerbaren Energien erzeugt wird, erhielt sie einen Wert von 57 g/kWh. Strom wird dagegen zu 86 Prozent aus erneuerbaren Energien gewonnen.

Und was würde das Beibehalten des Konversionsfaktors von 248 g/kWh für die Konsumenten bedeuten? „Dass sie keine Stromheizungen kaufen“, führt Rotter vor Augen. Stromheizungen würden sich im Falle der Beibehaltung nämlich äußerst negativ im Energieausweis niederschlagen. In der Folge könnten Konsumenten davon absehen, ihr Haus mit Strom zu heizen, und durch die höheren Heizkosten mehr zahlen. Es bleibt zu hoffen, dass das OIB einlenkt – zugunsten der Konsumenten und der Umwelt.

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