Wem soll man noch glauben? Der Energiewirtschaft, die beteuert, an der aktuellen Inflationsrate von 9 % im Mai nur einen Anteil von 0,15 % zu haben, oder der Politik, die polternd vor die Fernsehkameras tritt und davon spricht, sich von eben dieser nicht mehr papierln lassen zu wollen? Selbst die E-Control und die Bundeswettbewerbsbehörde – gemeinsam als Taskforce auftretend – haben eine andere Meinung.
Sie können mir glauben! Ich hatte auch keinen Spaß, als mir kurz nach dem Sommer letzten Jahres die Kündigung meines Stromanbieters in Haus flatterte und ich genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die E-Control empfohlen hatte, den Lieferanten möglichst nicht zu wechseln – weil es sich damals um eine absolute Hochpreisphase handelte – genau das tun musste, um überhaupt noch mit Strom versorgt zu werden. Mit dem Ergebnis, dass ich seitdem rund 34 Cent/kWh bezahle. Seit Tagen korrespondiere ich mit (anonymen) Mitarbeitern von Wien Energie, um die Teilzahlungen, die mir für das Jahr 2023 vorgeschrieben werden, in ein vernünftiges Ausmaß überzuführen. Abgesehen davon, dass meine seit Mitte Mai 2023 in Betrieb genommene PV-Anlage mich in eine völlig andere (mittlerweile belegbare und komfortablere) Situation bringt und ich nicht bereit bin, dem Energielieferanten einen Vorschuss zu gewähren, finden natürlich auch die aktuellen Strompreissenkungen noch keine Berücksichtigung (beim Verbund sinken die Haushaltspreise unter 20 Cent/kWh). Man könnte nun behaupten, es handelt sich um ein Einzelschicksal und ich befinde mich dank meiner PV-Anlage ohnehin in einer privilegierten Situation. Das mag schon sein. Aber die Meldungen über die Energiearmut in Österreich reißen leider nicht ab: Bürger, die es sich nicht mehr leisten können, den Fernsehapparat einzuschalten, sind dabei sicher nur die Spitze des Eisbergs. Eine Situation, für die die Energiewirtschaft nicht verantwortlich sein will. Zumindest nicht in dem Ausmaß, das man ihr beimessen möchte. Michael Strugl – seines Zeichens Verbund-Chef und seit Kurzem wiedergewählter Präsident des Dachverbandes Oesterreichs Energie – und seine Generalsekretärin, Barbara Schmidt, verwehrten sich in meiner Anwesenheit gegen das Bild, das die Politiker der Bevölkerung in den letzten Monaten gerne vermittelten. „Die Unternehmen der Energiewirtschaft leben nicht in Saus und Braus“, heißt es da. Strugl beschwerte sich darüber, dass eine ganze Branche und ihre Mitarbeiter – aus seiner Sicht zu Unrecht – an den Pranger gestellt werden, plädierte für eine Versachlichung der Diskussion und lieferte Zahlen. Er gab zu bedenken, dass bei der Diskussion um die Energiepreise gerne alles in einen Topf geworfen würde: Energie ist nicht nur einfach Strom. Denn während sich die Fernwärme im harmonisierten Verbraucherpreisindex April 2023 im Vergleich zum Vorjahr mit +81 % und Gas mit +66,5 % niederschlägt, fällt die Teuerung beim Strom laut Statistik Austria mit +3,3 % vergleichsweise gering aus.
Und betrachtet man den Einfluss der Energiepreise auf die Inflation, so trugen sie 2022 noch mit 2,8 Prozentpunkten bei. Im Mai 2023 sind es laut Oesterreichs Energie nur noch 0,6 Prozentpunkte. Die Strompreise jedoch sollen laut Dachverband, wie anfangs erwähnt, nur noch zu 0,15 % zur Inflationsrate beitragen. Aus der Sicht der Energiewirtschaft, die sich in ihrer Stellungnahme auf die uns vorliegende Inflationsstatistik von IHS Preismonitor bezieht, ist es nicht mehr die eigene, sondern vor allem die Dienstleistungsbranche, gefolgt von den Industriegütern sowie von den Lebensmitteln, Tabak und Alkohol, die für den aktuellen Preisanstieg verantwortlich ist.
Dass die österreichischen Haushalte im Vergleich zum Euroraum beim Strom nach wie vor günstig davonkommen, zeigt eine Statistik von Eurostat, die uns Oesterreichs Energie bei dieser Gelegenheit auch vorlegte: Während die Gesamtpreise für Haushaltsstrom (inkl. Netzgebühren, Steuern und Abgaben) im zweiten Halbjahr 2022 in Österreich zwischen 22,28 und 26,14 Cent/kWh lagen, musste man im Euroraum zwischen 27,25 und 31,68 bezahlen. In Deutschland waren es sogar zwischen 30,42 und 37,38 Cent je nach Bezugsmengen, die man für die kWh berappen muss.
Strugl unterstreicht auch, dass die heimische Energiewirtschaft die hohen Großhandels- und Spotpreise in der Energiekrise im Sinne der Kunden absorbiert habe und stellt eine anhaltende Kausalität zwischen Strompreis und Inflation in Abrede – schließlich ist die Inflationsrate in Deutschland trotz höherer Strompreise deutlich niedriger.
Anders sieht es die Taskforce aus E-Control und Wettbewerbsbehörde: „Sinkende Preise am Großhandelsmarkt sind nicht in vollem Umfang und nur zeitverzögert an die Endkunden weitergegeben worden. 2022 kam es preislich zu extremen Spreizungen zwischen Neukunden einerseits und (langjährigen) Bestandskunden andererseits“, erläuterte der Vorstand der E-Control, Wolfgang Urbantschitsch beinahe zeitgleich mit Michael Strugl. „Analysen im Rahmen der Taskforce haben gezeigt, dass die Preise für Bestandskunden bei Strom und Gas weitgehend im Rahmen der Großhandelspreisänderungen angehoben wurden“, hieß es von Seiten der E-Control weiter. „Auffallend und ärgerlich ist allerdings, dass im Vergleich dazu die Strompreise für Neukunden vielfach überproportional angehoben wurden. Außerdem bleiben die Preise für Neukunden bei den untersuchten angestammten Unternehmen weiterhin auf einem stark erhöhten und nicht den Großhandelspreisen entsprechenden Niveau. Diese Unternehmen treten offenbar noch nicht oder zumindest kaum unmittelbar in einen Preiswettbewerb, denn gleichzeitig sinken die Preise für verfügbare Neukundenangebote im Gesamtmarkt bereits laufend“, analysierte Urbantschitsch. Mein Partner Thomas Graf-Backhausen meinte dazu lakonisch: „Wir (der Handel) sind es nicht – es ist der Energiepreis. Wir (die Energiewirtschaft) sind es auch nicht – es sind die Dienstleistung und der Handel. Zumindest eine dieser Gruppe sagt nicht die Wahrheit, oder »schüttet uns mit Tee an« (Wiener Mundart).“
Ich würde Ihnen ja gerne empfehlen, sich ein eigenes Bild zu machen – wenn es nicht so kompliziert wäre. Fest steht, dass die Strompreise weiter volatil bleiben werden. Spätestens bei der nächsten Gasmangellage wird der Strompreis wieder anziehen – davon ist auch Michael Strugl überzeugt.
Mindestens genauso spannend wird sein, wie sich die Preise bei den PV-Modulen und bei den Wechselrichtern entwickeln werden. Denn aktuell sind die Modulpreise in den Keller gerasselt. Händler und Handwerker, die bisher Probleme hatten, den Markt zu bedienen, haben es nun mit Preisen zu tun, die einem Tageskurs unterworfen sind und Konsumenten verlangen nach einer Neukalkulation ihrer Angebote. Auch nicht einfach.
Ich wünsche Ihnen trotzdem einen schönen Sommer!
Thomas Buchbauer, Chefredakteur, i-Magazin