Der Begriff »Disruption« bezeichnet eine einschneidende (meist zerstörerische) Veränderung. Wir alle sind über diesen Begriff und vor allem seine Bedeutung in den vergangenen Jahren – im wahrsten Sinne des Wortes – gestolpert. Wie kann man eine derart volatile Situation nicht nur meistern, sondern sie tatsächlich als Chance für einen notwendigen Neubeginn nutzen? Antworten auf diese Frage fanden wir bei Schneider Electric.
Interview: Thomas Buchauer
Text: Mag. Sandra Eisner
Karl Sagmeister, MBA, ist Country General Manager Austria und steht voll und ganz hinter der Expertise von Schneider Electric im Bereich Energiemanagement: „Wir sind bereits sehr lange erfolgreich im Markt tätig, wir wissen, was wir zu tun haben, und denken in vorausschauenden Szenarien.“ In Bezug auf die aktuell disruptive Situation ist er überzeugt, dass nun stärker als zuvor die Spreu vom Weizen getrennt wird: „Die nächsten drei bis fünf Jahre sind entscheidend in solch einer Disruption.“ Unternehmen, die heute vorausschauend denken und agieren, werden dann noch mehr prosperieren. Um zukunftsfit zu sein oder zu werden, bedarf es also vor allem einer ausbalancierten Mischung aus Denken und Handeln. Wie Schneider Electric diesen Spagat schafft, welche notwendigen Veränderungen im Bereich Energiemanagement in Zeiten der Klimakrise anstehen und worauf Unternehmen der Branche nun generell achten sollten, erfragten wir bei dem Experten für Energiemanagement im Rahmen der Veranstaltung »Power-Circle«.
Herr Sagmeister, wie kann es Ihrer Ansicht nach möglich werden, das Thema Smart Home in einem gesetzlichen Umfeld zu verankern? Eine Integration der Thematik im erwarteten Energieeffizienzgesetz wäre wünschenswert, Förderungen für ein Smart Home könnten so zur Steigerung der Energieeffizienz beitragen. Eine Gruppe von Stakeholdern aus der heimischen Elektrobranche hat dazu eine Studie in Auftrag gegeben – was können Sie uns darüber berichten?
Karl Sagmeister: Die Idee dahinter ist jene, das Smart Home in Funktionalitäten zu beschreiben und diese einem Einsparungseffekt zuzuordnen. Schließlich muss ja – wenn es in ein Gesetz oder in eine Förderrichtlinie transferiert werden soll – quantifiziert werden, was an CO2-Einsparung oder Energieeinsparung geleistet werden kann. Es ging also darum, einen quantifizierbaren Wert zu konkretisieren. Was bringt es genau, wenn ein Kunde zum Beispiel die Funktionalität eines Energiemanagementsystems oder eine Beleuchtungssteuerung in sein Haus integriert? Dazu gab es keine Zahlen.
Haben Sie bereits Ergebnisse der Studie erhalten?
Sagmeister: Wir haben einen ersten Endbericht gesehen. Vom Konstrukt haben wir uns sehr stark an bestehende Nomenklaturen (Iso-Norm 60152) angelehnt. Da gibt es bereits Energieeinsparungskoeffizienten, die mit konkreten Maßnahmen verbunden sind, und das wurde durch das Austrian Institute of Technology (AIT) auf den österreichischen Gebäudebestand umgelegt. Wir haben Werte für die unterschiedlichen Gebäudetypen (Einfamilien-/Mehrfamilienhaus/Großwohnbau) und man kann nachweisen, wie viele Tonnen CO2 mit Maßnahme A, B oder C eingespart werden können. Mit diesen Inhalten wird es jetzt möglich, sie vielleicht in eine OIB-Richtlinie zu integrieren und ein Förderregime zu implementieren: Bei einer Beleuchtungssteuerung mit dieser oder jener Funktionalität weiß man zum Beispiel, dass man typischerweise etwa 20 % des Energiebedarfs spart, was eine Förderung in der Höhe von X Euro bedeutet. So haben wir das Smart Home anhand von Funktionalitäten beschrieben, die eine zugeordnete CO2-Einsparung haben und die in weiterer Folge förderungswürdig sind.
Eine intelligente Gebäudesteuerung ist wohl für alle Energieeffizienzmaßnahmen unumgänglich. Wie wollen Sie diese Botschaft nach außen tragen, nämlich über die Grenzen der Fachwelt hinweg?
Sagmeister: Der erste Ansatz ist die Awareness, das Schaffen eines Bewusstseins, sodass der Kunde zwischen dem Thema PV und Blitzschlag beispielsweise oder auch Energieeffizienz und Steuerung einen Konnex bildet. Das gleiche gilt für die derzeitigen Energiepreise, denn sehr viele Kunden sehen jetzt zum ersten Mal auf ihrer Stromrechnung, was Energie überhaupt kostet. Man weiß, in welcher Höhe ein Megabyte Daten beim Handytarif zu Buche schlägt, und hat plötzlich auch Klarheit darüber, was eine Kilowattstunde Strom kostet. Energie ist etwas wert und das schafft schon mal ein grundsätzliches Bewusstsein beim Kunden. Außerdem bedarf es Kompetenzen beim Point of Sale, also beim Elektroinstallateur. Er kann dem Kunden, der eine PV-Anlage möchte, z.B. den Mehrwert vermitteln, wenn er sie mit einer Steuerung mit der Ladestation verknüpft, oder wenn er eine Energiegemeinschaft eingeht und den Strom auch noch verkauft. Das ist die Reise, die wir vor uns haben, und das erarbeiten wir gemeinsam in der Wertschöpfungskette, um alle von Beginn weg mitzunehmen. Wir hatten die Komfortsituation einer sehr stabilen Branche mit wenig Veränderung – man hat das abgearbeitet, was gekommen ist – aber nun befinden wir uns in einer Disruption. In einer solchen Situation muss man zusammenrücken und das haben wir in der Wertschöpfungskette seit knapp zwei Jahren sehr gut praktiziert und arbeiten eng zusammen. Wir werden es schaffen, die Kompetenz dorthin zu verlagern, dass der Kunde gut beraten wird. Wir wissen, was wir tun müssen und haben einen guten Plan in der Wertschöpfungskette sowie in der Branche. Alleine wird es jedoch nicht zu schaffen sein.
Sie sind also guten Mutes, dass Elektrounternehmen, die es in der Vergangenheit schwer hatten, gewisse Themen wie Smart Home zu verkaufen, in Zukunft kompetent genug sein werden, um die Konsumenten fachgerecht zu informieren und mitzunehmen.
Sagmeister: Ja, ich bin überzeugt, dass wir es gemeinsam schaffen. Heute gibt es auch ganz neue Informationsformen – die Konsumenten nutzen das Internet, vor 20 Jahren war es noch nicht so einfach, Informationen einzuholen und diese auch untereinander in der Wertschöpfungskette teilen zu können. Es gibt heute viele Komponenten, die uns helfen, etwa Websites mit Kalkulatoren, Videos etc. Vielleicht bin ich sehr enthusiastisch – das ist meine Grundeinstellung – aber man spürt eine Aufbruchstimmung in der Branche.
Ein weiterer Treiber sind die Energiegemeinschaften – sehen Sie darin eine Chance?
Sagmeister: Absolut, sie sind einer der wesentlichsten Enabler der Energiewende, weil die Möglichkeit des Eigenverbrauchs wesentlich erhöht wird und weil sie auch ausgleichend wirken. Eine Energiegemeinschaft funktioniert zum Beispiel auch zwischen Vorarlberg und Wien, denn die Idee dahinter ist der bundesländerübergreifende Tausch von Energie. Es muss noch Netzenabelung gemacht werden, Digitalisierung ist ebenso elementar und geistige Barrieren gehören bei den Utilities beseitigt. Es ist noch viel zu tun, aber grundsätzlich wird der Eigenverbrauchsanteil in und durch Energiegemeinschaften massiv erhöht.
Welche Vorteile bietet eine Energiegemeinschaft konkret?
Sagmeister: Die Möglichkeit, den Strompreis zu handeln und auch gemeinsame Speicherkapazitäten zu nutzen. Es kann ja durchaus sein, dass ein Kunde sein Elektroauto gerade lädt, weil er in der Nachtschicht arbeitet und die PV-Anlage vom Nachbarn produziert Überstrom. Alle Anlagen sind optimiert, er nutzt seine Waschmaschine, hat eine Swimmingpool-Pumpe, aber es gibt übrige Kapazität – diese wird eingespeist und der Nutzer holt sich die Energie dann zurück, wenn er sie braucht. Es geht immer wieder um die Erhöhung des Eigennutzungsgrades, um die Reduktion der Verschwendung. Netzglättung ist ein Thema, das da gut reinspielt, die EVUs haben ja bereits geäußert, dass sie bei Energiegemeinschaften eine Steuermöglichkeit haben wollen, um in die Regelung eingreifen zu können. Das finde ich per se nicht schlecht, weil es eine Stabilisierung der Netze schafft.
Wo sehen Sie die Position von Schneider Electric in diesem Zusammenhang – an der Schnittstelle diverser Gewerke?
Sagmeister: Wir sind die Brücke zwischen den unterschiedlichen Gewerken. Wir sehen die Tendenz im Markt, dass viele Hersteller von Geräten beginnen, die Herrschaft im Haushalt anzustreben, denn wer bzw. was ist denn das Gehirn des Smart Homes? Sitzt es im Wechselrichter, im Geschirrspüler oder im Herd oder Verteiler? Es gibt viele Möglichkeiten und jeder, der ein Gerät für die Energiewende produziert, möchte das Gehirn sein. Wir können unabhängig von den Geräten eine Lösung anbieten. Uns ist egal, welcher Wechselrichter eingebaut ist oder welches Haushaltsgerät und welcher Batteriespeicher, wir bedienen das Geschäft Energiemanagement schließlich schon seit 100 Jahren. Wir bieten offene Kommunikationsprotokolle an. Mit Blick auf unsere Jahrzehnte lange Agenda und unsere Fortschritte in puncto Nachhaltigkeit und Energiemanagement wird deutlich, dass das auch noch die nächsten 50 Jahre funktioniert. Wir bieten Sicherheit, hohe Kompetenz, sehr tiefgreifendes Know-how und eine Integration in wesentlich mehr als nur das Hausenergiesystem. Wenn man die Chance dieser Energiewende wirklich nutzen möchte – wobei die Möglichkeiten von morgen noch in den Sternen stehen – dann sollte man auf offene Protokolle setzen, auf Hersteller, die eine lange Historie mit umfangreichem Fachwissen haben – so wie Schneider Electric.
In den vergangen beiden Jahren gab es keine größeren (Präsenz-)Messen oder Ausstellungen. Was ist in dieser Zeit technologisch passiert? Wie würden Sie die letzten zwei Jahre rekapitulieren, wo war man damals und wo befindet man sich heute?
Sagmeister: Das Thema Nachhaltigkeit ist massiv eingekehrt, weil man Kunststoffe entwickelt und überlegt hat, wie sich Recycelmaterial mehr in den Werkstoffkreislauf integrieren lässt. Wir haben mit DSM eine Kooperation (Kunststoff aus im Meer verbliebenen Hochseenetzen). Diese Geisternetze werden zerschnitten, gereinigt, extrudiert sowie auf ihre Qualität geprüft und dann zu einem hochwertigen technischen Kunststoff verarbeitet. Dieses Material ist für die Fertigung elektrischer Geräte geeignet und kommt in unserer Merten Ocean Plastic-Reihe zum Einsatz. Weiterhin haben wir eine ganze Reihe an Produkten, die mit dem Green Premium-Umweltzeichen gelabelt sind. Es bietet Transparenz in Form von vollständigen Umweltschutzinformationen inklusive des CO2-Fußadrucks. Nachhaltigkeit in Bezug auf Renovierung erkennt man im KNX-Bereich anhand der Hybrid-Lösung, bei der nicht mehr für jede KNX-Installation alles komplett neu verkabelt werden muss, sondern auch Nachrüst-Lösungen angeboten werden. Das entspricht im Überblick der Thematik, wie Nachhaltigkeit in Produkten und in Lösungen realisiert wurde.
Wie gestaltet sich aktuell die Lieferfähigkeit bei Schneider Electric?
Sagmeister: Sehr unterschiedlich – je nach Produktportfolio und wir haben ein sehr großes Portfolio. Wir sehen Marktsegmente, die sich komplett an die neue Situation angepasst haben mit länger kalkulierten Projektlaufzeiten und bereits als Standard integrierten Preisgleitklauseln. Viele wollen es vermeiden, mit einem Fixpreisanbieter in die Situation zu kommen, zum Beispiel zwei Tage vor der Lieferung über eine 20%ige Preissteigerung informiert zu werden. Ich spreche dabei auch von Investitionsgütern – Schaltanlagen, die für Kunden gefertigt werden. Wir merken einen partnerschaftlichen Umgang, die Branche wandelt sich. Wir lernen als Branche oder Hersteller, mit vielen der neuen Phänomene umzugehen. Wir justieren uns neu und setzen neue Prozesse auf, aber manche Probleme lassen sich nicht beherrschen. Deshalb werden sich so manche Lieferprobleme auch in 2023 fortsetzen.
Welchen Tipp würden Sie einem Elektrounternehmen in Zeiten wie diesen geben? Aus Ihrer Sicht eines Herstellers – in welche Richtung wird es technologisch gehen? Worauf soll man sich momentan konzentrieren? Angesichts der vielen Teilbereiche der Elektrotechnik ist es schlicht unmöglich, überall Spezialist zu sein …
Sagmeister: Mein Ratschlag ist die Spezialisierung, denn jedes Unternehmen hat heute gewisse Stärken. Meiner Ansicht nach wäre es derzeit ein schlechter Zeitpunkt für eine komplette Neuorientierung. In einer kritischen Situation – so disruptiv und volatil wie aktuell – ist es wichtig, das Kerngeschäft gut zu beschützen und damit die Marge. Man sollte sich jetzt über die eigenen Stärken im Klaren sein, die Frage wobei oder womit Geld verdient wird. Der Fokus muss auf die Entwicklung von Szenarien gerichtet sein, wo es in diesem Bereich hingehen kann und sich dafür gut aufzustellen. Also: Kerngeschäft schützen, antizipieren, Szenarien überlegen (was kann passieren) und Überlegungen anstellen über die Lieferanten – habe ich qualitativ gute, leistungsfähige Lieferanten, die mir in den überlegten Szenarien auch als Partner zur Seite stehen werden, oder bricht da eventuell etwas weg? So würde ich nun vorgehen. Ganz wichtig ist natürlich auch, auf Qualität zu setzen. Die Versuchung ist aktuell sehr groß, Komponenten, die man nicht von qualifizierten Lieferanten bekommt, schnell woanders zu beschaffen und sie einzubauen, um keine Geschäftsverluste zu erleiden. Ich bin nicht sicher, ob alle Hersteller die Qualifizierungsverfahren umfänglich und gewissenhaft betreiben. Jetzt auf Qualität zu schauen und darauf zu achten, wird sich in drei bis fünf Jahren massiv auszahlen.
Herr Sagmeister, vielen Dank für das Gespräch!
Weitere Informationen auf: www.se.com/at