Die E-Control, die Österreichische Energieagentur und die FPÖ nehmen Stellung zur Strompreisentwicklung:

Wann wird´s mal wieder richtig billig?

von Thomas Buchbauer
von Thomas Buchbauer Foto: © Adobe Stock/candy1812

Bereits im August 2022 machte sich Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer stark, den Strompreis vom Gaspreis zu entkoppeln. Nicht nur er kritisierte die Beibehaltung des Merit-Order-Prinzips. Danach wurde es still um diese Forderung. Mittlerweile wurde in Österreich eine Strompreisbremse und auf europäischer Ebene ein Gaspreisdeckel beschlossen, der unter anderem auch vom Ökonom Joel Tölgyes vom Momentum Institut und von Ex-Kanzler Kern als „viel zu hoch angesetzt“ bezeichnet wurde. Das i-Magazin hat Experten eine Reihe von Fragen gestellt – lesen Sie hier, warum das teuerste Kraftwerk den Strompreis bestimmt, ob am Merit-Order-Prinzip gerüttelt wird und wann sich die Maßnahmen auf den Strompreis auswirken könnten!

Wo bleiben die Antworten?

Es ist ein heißes Thema – extrem heiß. So heiß, dass sich manche scheinbar nicht die Finger verbrennen wollten. Weder die Energiesprecher der beiden Regierungsparteien noch jene von SPÖ und Neos gaben uns Feedback auf unseren Fragenkatalog, den wir noch vor Weihnachten ausgesendet hatten. Selbst das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), dessen Presseabteilung in der i-Magazin-Redaktion bekannt dafür ist, Aussendungen im »Tagesrhythmus« rauszuhauen, blieb mucksmäuschenstill – Frau Minister Gewessler hatte scheinbar Besseres zu tun. Während wir auch auf die Antworten der APG vergeblich warteten, ging Oesterreichs Energie (der Dachverband der Elektroversorgungsunternehmen) noch am gleichen Tag der Aussendung in die Offensive und reagierte telefonisch. Hier erfuhren wir erstmals von den rund 30 Modellvorschlägen für einen Strommarkteingriff auf gesamteuropäischer Ebene und dem Vorschlag des heimischen Verbands.

…und dann doch noch

Wirklich konstruktiv wurde es erst, als die Verantwortlichen der E-Control, der Österreichischen Energieagentur und der FPÖ auf unsere (möglicherweise unbequemen) Fragen antworteten. Lesen Sie, was Karina Knaus (Österreichische Energieagentur), Prof. DI Dr. Alfons Haber (Vorstand der E-Control) und NAbg. Hon.Prof. MMMag. Dr.iur. Axel Kassegger (Energiesprecher der FPÖ) auf unsere »Energie-Fragen« zu sagen hatten!

Unser Fazit: Wir betrachten es als extrem bedenklich und verantwortungslos, wie ignorant von manchen Stellen in unserem Land mit dem Ersuchen um schriftliche Antworten auf Fragen der Presse zu Sachthemen umgegangen wird. Gleichzeitig bedanken wir uns bei jenen, die – und dann auch gleich so ausführlich – ihrer Verantwortung der Bevölkerung gegenüber gerecht werden!

Wir fragen, sie antworten!

Welche Auswirkung wird die Einigung der EU-Energieminister vom Montag, dem 19.12.2022, über einen Gaspreisdeckel auf den Strompreis aus Ihrer Sicht haben?

Karina Knaus

Karina Knaus, PhD, ist Leiterin des Centers Volkswirtschaft, Konsument:innen & Preise bei Österreichische Energieagentur – sie teilte mit uns ihr umfangreiches Wissen über das komplexe Thema. Foto: Österreichische Energieagentur

Karina Knaus, PhD, Leiterin des Centers Volkswirtschaft, Konsument:innen & Preise bei Österreichische Energieagentur: Die genauen Auswirkungen, insbesondere für Österreich, können erst analysiert werden, wenn klar ist, wie die Regelungen für Gashubs abseits des niederländischen TTFs ausgestaltet werden. Für Gasverträge, die an den niederländischen TTF gekoppelt sind, kann der Mechanismus dafür sorgen, dass sich extreme Preisspitzen weniger stark durchschlagen. Für den Day-Ahead-Strompreis sind tendenziell die Gas-Spotpreise ausschlaggebend, diese wären von dem Mechanismus nicht umfasst.

Prof. DI Dr. Alfons Haber, MBA, Vorstand der E-Control: Grundsätzlich ist der beschlossene »Marktkorrekturmechanismus« kein Instrument, das die Gas- oder Strompreise langfristig drücken kann – dafür wäre auch der angesetzte Preis von 180 EUR/MWh untauglich. Vielmehr soll er einzelne, besonders starke Preisspitzen verhindern, die bspw. durch Ereignisse, wie die Abschaltung der Gas-Pipeline Nord Stream 1, ausgelöst werden. Dadurch soll die Volatilität am Markt verringert werden. Ein Einfluss würde sich indirekt ergeben, da diese Preisspitzen somit nicht mehr entstehen und nicht in die Berechnung von Indices für Endkundenpreise miteinfließen würden.

Der Marktkorrekturmechanismus sollte deswegen nur unter ganz bestimmten Bedingungen ausgelöst werden. Unter anderem muss dafür der Gaspreis am niederländischen TTF über mehrere Tage über 180 EUR/MWh liegen. Derzeit steht der TTF bei unter 70 EUR/MWh, was immer noch mehr als das Doppelte des Niveaus vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs ausmacht. In der derzeitigen Situation hat dieser Mechanismus keinen Einfluss auf die Gas- oder Strompreise. Im Optimalfall wäre eine Aktivierung auch nicht nötig.

NAbg. Hon.Prof. MMMag. Dr.iur. Axel Kassegger, außenpolitischer Sprecher der FPÖ, Energiesprecher der FPÖ, Präsident des Freiheitlichen Bildungsinstituts (FBI): Der von der EU beschlossene Gaspreisdeckel von 180 Euro pro MWh ist ein weiterer massiver Markteingriff in einer langen Reihe permanenter Markteingriffe. Nach den jüngsten Entwicklungen (starkes Einbrechen des Gaspreises) ist zu hoffen, dass der Mechanismus nicht zur Anwendung kommt, falls doch sind vor allem physische Erdgasengpässe und Gasmangellagen in Europa zu befürchten.

Falls der Gaspreisdeckel Auswirkungen auf den Strompreis haben sollte – wie lange wird es dauern, bis er für Konsumenten spürbar wird?

Knaus: Ob sich die aktuelle Abwärtsbewegung beim Gaspreis fortsetzen wird, ist schwer prognostizierbar. Wir sind 2022 in eine komplett neue Phase am Gas- und Strommarkt eingetreten, in der kein Stein auf dem anderen bleibt. Die Energiemärkte sind im Umbruch und das langfristig. Wir gehen davon aus, dass uns das hohe Gaspreis-Niveau im Großhandel noch länger erhalten bleiben wird. Insgesamt zeigen die derzeitigen Prognosen, dass sich die Großhandelspreise auch im kommenden Jahr auf einem höheren Niveau einpendeln werden, als wir es in den letzten paar Jahren gesehen haben. Die Zeiten günstiger fossiler Energie sind vorbei. Es gibt aus derzeitiger Sicht keine generelle Trendumkehr – wie wohl im Moment extreme Preise, wie sie im Sommer 2022 zu beobachten waren – für 2023 sowohl für Gas als auch für Strom nicht erwartet werden.

Alfons Haber

Prof. DI Dr. Alfons Haber, MBA, war zwischen 2013 und 2021 Professor für Netz- und Systemintegration an der Hochschule Landshut sowie an der TU München – Campus Straubing, Prodekan der Fakultät Interdisziplinäre Studien – seit März 2021 ist er Vorstand der E-Control. In seiner Funktion stand er uns Rede und Antwort. Foto: E-Control/Wilke

Haber: Die Gaspreise am Großhandelsmarkt sinken unabhängig vom Marktkorrekturmechanismus seit einigen Wochen bzw. Monaten stetig. Am österreichischen Spotmarkt kostete die MWh Gas am 4.1.2023 72 EUR. Die Spitzen des Jahres 2022 lagen im August bei einem Preis von über 340 EUR/MWh. Diese Entwicklung hat auch die Strom-Großhandelspreise teils stark sinken lassen.

Die Energielieferanten kaufen ihre Volumina üblicherweise in mehreren Tranchen über das Jahr am Großhandelsmarkt ein, jeweils im Vorhinein für die nächsten ein bis zwei Jahre. Das heißt, im Herbst haben sich die Unternehmen zu hohen Preisen eindecken müssen. Die Preissenkungen können deshalb, sollte sich der fallende Trend auf den Großhandelsmärkten fortsetzen, vom Großhandel nur zeitverzögert an die Endkund:innen weitergegeben werden.

Floater-Verträge profitieren natürlich unmittelbar von den kurzfristigen Preisen. Bei den anderen Neukundenangeboten sehen wir bereits auch Effekte. Diese werden wieder etwas günstiger. Sie befinden sich aber trotzdem noch auf hohem Niveau. Bestandskundenverträge sind im Durchschnitt preislich immer noch günstiger als Neukundenangebote. Bei Bestandskund:innen heißt es damit vorerst, dass zukünftige Preiserhöhungen zumindest nicht mehr derart stark ausfallen dürften bzw. je nach weiterer Preisentwicklung die Preise sogar stagnieren könnten.

Kassegger: Das wird vermutlich wieder so ablaufen wie bisher. Preissteigerungen werden von den Energieversorgern sehr schnell an die Konsumenten weitergegeben, Preissenkungen zu langsam. Das verbessert das Ergebnis der Energieversorger zu Lasten der Geldbörsen der Endverbraucher.

Viele Bürger Österreichs betrachten die aktuellen Zuschüsse der Regierung als Almosen, die sie durch ihre Steuerabgaben ohnehin selbst finanzieren. Warum setzt Österreichs Politik auf die Strompreisbremse, ändert aber nichts am Grundproblem?

Knaus: Im vergangenen Jahr galt es, kurzfristige Maßnahmen gegen die explodierenden Preise zu setzen. Jetzt gilt es, die Erfahrungen aus 2022 ins neue Jahr mitzunehmen und einen langfristig sinnvollen Weg einzuschlagen: Die Abhängigkeit von importiertem Erdgas weiter zu reduzieren, indem wir Energie viel effizienter einsetzen – also auch in absoluten Zahlen weniger Gas verbrauchen – und heimische Erneuerbare wie Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft und Geothermie sowie Speicher und Stromnetze ausbauen. Denn auch die Klimakrise schläft nicht, sie kommt uns mit voller Wucht entgegen, und in einem klimaneutralen Energiesystem haben Verschwendung und fossile Energien wie Erdgas keinen Platz mehr.

Haber: Instrumente wie die Stromkostenbremse ermöglichen eine Unterstützung der Endkund:innen, ohne direkt in den Großhandelsmarkt einzugreifen. Die drastischen Preisausschläge, ausgelöst durch eine Verknappung am Gasmarkt über das letzte Jahr hinweg, rechtfertigen durchaus bestimmte Maßnahmen, um die Belastung etwas abzufedern.

Axel Kassegger

NAbg. Hon.Prof. MMMag. Dr.iur. Axel Kassegger, außenpolitischer Sprecher der FPÖ, Energiesprecher der FPÖ, Präsident des Freiheitlichen Bildungsinstituts (FBI), scheute sich als einziger Energiesprecher der politischen Parteien nicht, die Fragen des i-Magazins zu beantworten.
Foto: Parlamentsdirektion/Photo Simonis

Kassegger: Die sogenannte Strompreisbremse (bis 2.900 KWh wird der Preis über 10 Cent/KWh bis zu einem Deckel von 40 Cent/KWh von der öffentlichen Hand bezahlt) zahlen sich in Wahrheit die Steuerzahler selbst (Volumen ca. 4 Mrd. Euro). Sie ist in Wahrheit eine Förderung/Subvention für die Stromanbieter, diese befinden sich in Österreich mit Masse im Besitz der öffentlichen Hand (Bund, Länder), die dadurch ceteris paribus dort entstehenden Gewinne verursachen Einnahmen des Staates/der Länder (KÖST, KEST, Gewinnanteile). Warum wird das gemacht? – Möglicherweise um Budgetlöcher zu stopfen; dass man dafür das Geld im Kreis schickt und am Ende es wieder die Endverbraucher/Steuerzahler zu zahlen haben, mag ein Spiegelbild der Qualität der Regierungsarbeit sein.

Das Merit-Order-Prinzip scheint in Stein gemeißelt zu sein. Was spricht gegen ein Aussetzen dieses Prinzips und welche Kräfte bestehen auf die Beibehaltung dessen? 

Knaus: Die Merit-Order beschreibt die Einsatzreihenfolge der Kraftwerke, sortiert nach den Grenzkosten der Stromerzeugung. Sie ergibt sich als Ergebnis der Anwendung eines Einheitspreisverfahrens (»Pay-as-cleared«), d.h. der Festlegung, dass es zu einem Lieferzeitpunkt an einem Ort (z.B. in einem Marktgebiet) genau einen Strompreis gibt (und keinen »Strom zweiter Klasse« o. Ä., der nur einen geringeren Preis erzielt).

Der Grundgedanke, dass dieser Strompreis für alle Marktteilnehmer den Kosten der teuersten, noch benötigten Erzeugungseinheit entspricht, ist aus ökonomischer Sicht aus zwei Gründen naheliegend und war daher vor dieser Krise auch nicht umstritten.

  1. Diese teuerste Erzeugungseinheit wird benötigt, um die Nachfrage zu decken und würde nicht produzieren, wenn der erhaltene Strompreis günstiger wäre. Bei einem niedrigeren Preis müssten also Verbraucher abgeschaltet werden.
  2. Der gelieferte Strom eines Augenblicks ist ein homogenes Gut in einem gemeinsamen Stromnetz – aus welcher Quelle die Energie eines Elektrons stammt, ist bei der Abnahme des Stroms nicht mehr von Bedeutung bzw. nachvollziehbar. Das heißt nicht, dass man nicht gezielt Ökostrom einkaufen kann – z.B. kann ein Unternehmen direkt bei einem Windkraftbetreiber ein Power Purchase Agreement (PPA) zu einem definierten Preis abschließen – dieser Strom wird dann aber nicht über die Börse gehandelt, sondern bilanziell direkt geliefert.

Das Einheitspreisverfahren hatte bislang den Vorteil, dass es für Stromproduzenten keine Vorteile bringt, einen höheren Strompreis als die eigenen Erzeugungskosten zu bieten, was bei anderen Optionen (z.B. das Gebotspreisverfahren, engl. »pay-as-bid«) nicht gegeben ist.

Es wird außerdem sichergestellt, dass die günstigen Energietechnologien (also insbesondere erneuerbare Energien) einen Gewinn (je günstiger die Technologie, desto höher) erzielen, was langfristig Investitionen in diese Technologien begünstigt.

Bevor die aktuelle Krise über uns hereingebrochen ist, war die Diskussion über ein neues Marktdesign daher ziemlich im Hintergrund.

Mit Blick auf die Änderungen, die in unserem Stromsystem in der nächsten Dekade notwendig sind, ist es äußerst wichtig, die Diskussion über mittelfristige, strukturelle Änderungen des Marktdesigns unbedingt sofort zu beginnen. Die Vorteile des bisherigen Systems sollten auch in einem alternativen System erhalten bleiben, um die Verschwendung teurer Ressourcen zu vermeiden. Realistischerweise werden wir in den nächsten Monaten noch keine konkreten Vorschläge auf EU-Ebene zu hören bekommen. Dafür ist die Vorlaufzeit zu kurz, dazu sind die Themen, um die es geht, viel zu komplex. Aber eben, weil alles sehr komplex ist, müssen wir die Diskussion sofort starten.

Haber: Es gibt auf europäischer Ebene vielfältige Diskussionen über Änderungen des Marktdesigns. Der europaweit gekoppelte Strommarkt stellt ein extrem komplexes System dar, in dem Eingriffe sehr genau abgewogen werden müssen. Prinzipiell hat sich das Konzept der Merit Order gemeinsam mit dem Einheitspreis – als ökonomisches Modell, um die Wohlfahrt zu maximieren und verlässlich die gleiche Menge Einspeisung und Verbrauch im Netz zu garantieren – historisch im Zuge der Liberalisierung, ausgehend von den ersten skandinavischen Strombörsen, durchgesetzt. Eine solche Preisfindung, die sich natürlich aus dem Zusammenspiel aus Angebot und Nachfrage ergibt, findet man in ähnlicher Weise auf vielen Rohstoffmärkten, z.B. Öl, Kupfer usw.

Möchte man direkt in die Art und Weise, wie Strom gehandelt wird, eingreifen, muss sichergestellt werden, dass die Netzstabilität und Versorgungssicherheit in gewohnt hoher Qualität erhalten bleiben und gleichzeitig Anreize für Investitionen in erneuerbare Energien gefördert werden. Hier erscheint es sinnvoller, kurzfristig und schnell mit Instrumenten wie der Stromkostenbremse zu helfen und bei Fragen des Marktdesigns keine Schnellschüsse, sondern langfristig tragfähige Lösungen zu erarbeiten. Dies bedeutet nicht, dass das derzeitige Marktdesign alternativlos ist – die Europäische Kommission wird zum Marktdesign im Strommarkt in den nächsten Monaten auch eine öffentliche Konsultation abhalten.

Kassegger: Es ist nicht in Stein gemeißelt, sondern von Menschen beschlossen und kann jederzeit geändert werden, wenn der politische Wille dafür da ist. Das Prinzip ist an sich in Ordnung für ruhige Marktsituationen und fördert an sich den Anreiz, Strom möglichst günstig zu produzieren und anzubieten. Wenn man allerdings gleichzeitig Technologien, die Strom günstig herstellen können (Atomkraft, Kohlekraftwerke) in großem Ausmaß einstellt, der Ausbau der Erneuerbaren bei Weitem nicht ausreicht, diese Produktionsabgänge zu kompensieren, und man Kohle durch Gas substituiert und dann gleichzeitig einen Wirtschaftskrieg mit dem mit Abstand größten Gaslieferanten betreibt, kommt es genau zu der Situation, die wir vorfinden. Es liegt demnach ein energiepolitisches Komplettversagen auf mehreren Ebenen vor.

Wenn das Aussetzen des Merit-Order-Prinzips unmöglich erscheint – warum sind die europäischen Staaten nicht in der Lage, speziell jenes Gas, das in den Gaskraftwerken der Erzeugungsketten zum Einsatz kommt, zu fördern und damit die Kosten der teuersten Kraftwerke auf ein vertretbares Niveau zu senken?

Knaus: So eine Förderung entspräche dem sogenannten iberischen Modell. In unserer Analyse zu kurzfristigen Maßnahmen im Stromgroßhandelsmarkt kann so eine Intervention Wirkung zeigen, aber nur dann, wenn sie möglichst EU-weit umgesetzt wird. Zudem müsste gleichzeitig sichergestellt werden, dass es weder zu einer Verschiebung in der Merit Order kommt, noch nennenswerte Nachfragesteigerungen auftreten, um den Strom- bzw. Gasverbrauch nicht zu erhöhen. Auch in einem solchen Modell ist die Förderung zu bezahlen – im iberischen Modell zahlen die Stromkunden selbst dafür. Da nur die fossilen Kraftwerke gefördert werden müssen, ergibt sich trotz der zu zahlenden Förderung in Summe eine Senkung des Endkundenpreises.

Ein Problem in der EU-weiten Umsetzung liegt daran, dass ein solches Modell nicht für jeden teilnehmenden Staat gleich attraktiv ist. Staaten mit höheren fossilen Anteilen in der Stromerzeugung können durch ein solches Modell nur geringe Preissenkungen erzielen, die den entstehenden Aufwand nicht kompensieren. Andere Länder lehnen die Maßnahmen wegen möglicher Mehrverbräuche von Gas ab und bevorzugen andere Maßnahmen.

Haber: Dieser Ansatz ist als sog. »iberisches Modell« bekannt und wurde in Spanien bzw. Portugal umgesetzt und führte in diesen Ländern zu Strompreissenkungen von etwa 10–20 %. Dort ist dies auch einfacher möglich, da aufgrund der geographischen Lage der iberischen Halbinsel wenig Import/Export-Beziehung mit Nachbarländern besteht.

Das iberische Modell wird auf EU-Ebene diskutiert, ist aber natürlich auch mit gewissen Herausforderungen verbunden. Einerseits stellt sich die Frage, wie mit Exporten von günstigem Strom in EU-Nachbarländern umgegangen wird. Andererseits ist auch die Finanzierung eine Kernfrage.

Kassegger: Das Problem bei dieser Vorgehensweise ist, dass das eigentliche Problem nicht gelöst wird und wieder nur extrem teure Symptombekämpfung betrieben wird. Eine Förderung mit öffentlichen Geldern, das ist ja wiederum Geld, das am Ende die Steuerzahler bezahlen müssten, des fossilen Brennstoffes Gas ist auch nicht wirklich mit der Klimapolitik vereinbar.

Wer – außer die Hersteller von erneuerbarer Energie – profitiert von dem aktuell hohen Strompreis?

Knaus: Im Großhandelsmarkt erzielen alle Kraftwerke einen Gewinn, die günstiger sind als das letzte Kraftwerk. Das sind also, wenn Gaskraftwerke den Preis setzen neben den Erneuerbaren z.B. Kernkraft- und Kohlekraftwerke. Auf diese »inframarginalen« Stromerzeuger zielt die von der EU beschlossene und auch durch Österreich umgesetzte Erlösabschöpfung von Übergewinnen ab.

Bei den Stromanbietern im Endkundenmarkt sind pauschale Aussagen schwerer zu treffen, da alle Unternehmen zu höheren Preisen am Großhandelsmarkt Strom zukaufen müssen. Manche haben das teilweise schon vor der Krise zu niedrigeren Preisen getan, andere nicht. Gleichzeitig konnte die explosionsartige Strompreiserhöhung in den meisten Fällen nicht direkt an die Endkunden weitergegeben werden, wodurch ein großer Zwischenfinanzierungsbedarf entstanden ist. Das hat vor allem bei kleinen Stromanbietern ohne eigene Erzeugung und mit einer kurzfristigen Beschaffungsstrategie zu großen Problemen geführt.

Haber: Besonders profitieren natürlich Technologien, die keine fossilen Brennstoffe zur Stromerzeugung verwenden. Dies sind Wasser-, Windkraft und PV bzw. im europäischen Kontext auch Atomkraft. Darauf stellt auch die im Herbst auf EU-Ebene beschlossene Erlösobergrenze für sog. »inframarginale« Technologien ab. Die Mitgliedstaaten sollen hier die Möglichkeit haben, einen Teil dieser Erlöse temporär beschränkt abschöpfen zu können.

Kassegger: Hersteller von erneuerbarer Energie profitieren, wenn Sie zu niedrigeren Herstellkosten produzieren können als der durch das Merit-Order-System ermittelte Preis, dies war in den letzten Monaten mit Sicherheit auch für Windkraft und PV massiv der Fall, insbesondere gilt dies für bereits abgeschriebene Wasserkraftwerke. Darüber hinaus profitieren alle Hersteller, die günstiger erzeugen können (Atomkraft, Kohlekraftwerke). Daraus ergeben sich Milliardengewinne für Verbund und die meisten Landesenergieversorger, am schlechtesten aufgestellt ist vermutlich die Wien Energie mit hohen Gasanteilen an der Produktion, am besten Unternehmen mit hohen Wasserkraftanteilen.

Herr Dr. Kassegger, welche Möglichkeiten hat Ihre Partei einzugreifen, damit es wieder zu Marktverhältnissen kommt, die für die Bevölkerung und die Wirtschaft vertretbar sind?

Kassegger: Die Möglichkeiten einer Partei, die vom Wähler bei der letzten Wahl 16 % erhalten hat. Die Praxis der letzten drei Jahre hat leider gezeigt, dass es für die Regierungsparteien nicht notwendig ist, selbst bei 2/3 Materien, mit uns ernsthaft zu reden, das hat man als Demokrat zu akzeptieren.

Frau Knaus, die Österreichische Energieagentur hat laut unseren Informationen eine Studie im Auftrag des Ministeriums erstellt, die unterschiedliche Markteingriff-Konzepte am Energie-/Stromsektor und ihre Auswirkungen untersucht hat. Können Sie für uns das Ergebnis zusammenfassen!

Knaus: Aus unserer Analyse geht hervor, dass die Umsetzung von einigen Maßnahmen nicht sinnvoll erscheint, die in einzelnen (oder mehreren) Aspekten sehr schlecht abschneiden. Nicht ratsam ist zum Beispiel die Einführung von »Pay-as-Bid«, da sowohl die Effektivität als auch die Schnelligkeit der Umsetzung und somit auch die Effizienz der Maßnahme nicht gegeben ist. Auch die Abschottung der Grenzkapazität – die obendrein gegen das geltende EU-Recht verstoßen würde – würde in mehreren Aspekten schlechte Ergebnisse erzielen und somit mehr Nachteile als Vorteile bringen.

Andere Vorschläge wie die EUPHEMIA-Anpassung und die Einführung des zukünftigen griechischen Modells scheinen noch nicht ausgereift und/oder würden zu lange Prozesse zu einer marktregelkonformen und sicheren Umsetzung benötigen, um in der aktuellen Preiskrise rechtzeitig eine Entlastung zu schaffen (»too late to matter«).

Bezüglich der diskutierten EU-weiten Maßnahmen erscheint vor allem das iberische Modell eine gute Kombination aus schneller Umsetzbarkeit, Effektivität und breitem Support von EU-Staaten aufzuweisen. Tatsächlich ist die Wirksamkeit dieses Mechanismus jedoch besonders abhängig von der Teilnahme möglichst aller Staaten, die am europäischen Stromhandel teilnehmen. Wichtig ist hierbei, dass nicht nur die Kosten von Erdgaskraftwerken, sondern auch von anderen fossilen Erzeugern wie Kohle subventioniert werden müssen, um eine Änderung der Einsatzreihenfolge und einen daraus resultierenden Mehrverbrauch von Gas zu vermeiden.

Herr Dr. Haber, was unternimmt die E-Control als Regulierungsbehörde, um ihrer Wettbewerbsaufsicht über alle Marktteilnehmer (und dazu zählen sicher auch die Konsumenten) und Netzbetreiber, insbesondere hinsichtlich der Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer, speziell in der aktuellen Situation nachzukommen?

Haber: Die E-Control überwacht einerseits die Großhandelsmärkte in Österreich im Rahmen der Verordnung (EU) 1227/2011 über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarktes (REMIT). Dabei geht es vor allem darum, Marktmissbrauch (Marktmanipulation oder Insiderhandel) zu verhindern.

Andererseits hat die E-Control die Wettbewerbsaufsicht auf dem Energiemarkt und die Aufsicht über die Entflechtungsvorschriften der Netzbetreiber inne. Dies umfasst die Einhaltung der allgemeinen kartellrechtlichen Regelungen und insbesondere auch das Verbot der unsachlichen Diskriminierung.

Im Rahmen dieser Aufgaben findet in der E-Control regelmäßiges Monitoring der Energiemärkte und speziell eingerichtete Markt- und Handelsüberwachung gemeinsam mit den europäischen Regulierungsbehörden statt.

Laut unseren Informationen gibt es rund 30 Modell-Vorschläge für einen Strommarkteingriff, die derzeit in Brüssel geprüft werden. Ein Vorschlag ist jener von Oesterreichs Energie:

https://oesterreichsenergie.at/standpunkte/vorschlag-fuer-temporaeren-eu-markteingriff

Was hält die E-Control von diesem Modell und warum soll die Umsetzung nach einem (hoffentlich bald vorliegenden) Beschluss ein weiteres Jahr dauern?

Haber: Grundsätzlich sollte möglichst wenig in den Markt eingegriffen werden. Der Vorschlag von Oestereichs Energie ist einer von vielen, der derzeit diskutiert wird. Wichtig ist eine gemeinsame Entscheidung der EU, da durch die enge Verknüpfung des Stromsystems (v.a. im Kernbereich rund um Österreich) Alleingänge nicht sinnvoll sind. Das Regelwerk für das EU-Stromsystem ist recht umfassend und es müssten etliche Regelungen im Detail angepasst werden und auch IT-Systeme umgestaltet werden, die Abstimmungsprozesse dazu und die dann folgende Umsetzung würde einige Zeit in Anspruch nehmen.

Vielen Dank für die Antworten!

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