Ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, ich hätte eine Lösung:

Aber es muss eine her – und zwar rasch

von Siawasch Aeenechi
Foto: © pixabay

Wir brauchen eine Exit-Strategie! Die Abhängigkeit von Öl und Gas muss ein Ende haben!

Wenn Sie diese Worte erreichen, steht die Welt vielleicht schon wieder anders Kopf als zur Stunde. Die Situation in der Ukra­ine kann sich von einem Tag, ja von einer Stunde auf die andere ändern. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle zusammenfas­sen, was zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe Stand der Dinge ist und auf die Möglichkeiten, die wir haben, hinweisen. Es ist erschreckend, zu sehen, wie die Ent­scheidungen eines Menschen die gesamte Welt in eine weitere Krise stürzen konnten. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich in meinem Vorwort angemerkt hatte, wie sehr uns Banken-, Klima- und danach auch noch die Gesundheits- und die Liefer­kettenkrise innerhalb von nur ein paar Jah­ren im Würgegriff hatten. Dass wir derartig schnell in die nächste Katastrophe tau­meln würden, hätte wohl keiner gedacht – auch wenn die Konflikte in der Ukraine bereits seit dem Jahr 2014 andauern. Doch die Weltpolitik hat weggesehen – nicht zuletzt auch deswegen, weil sich große Teile des Westens von den russischen Rohstoffen abhängig gemacht hatten – ja, mit Nord Stream 2 sogar in partnerschaft­liche Verhältnisse eingetreten waren. Gas, das im Überfluss und billig – Experten sagen, um rund 25 % günstiger als Flüs­siggas – von Russland über Pipelines in den Westen geflossen ist, wird nun plötz­lich zum Druckmittel und vielleicht bald schon zur Mangelware.

Erst jetzt suchen wir händeringend nach Auswegen, aus der »putinschen Geiselhaft«. Doch statt wie das Kaninchen vor der Schlange zu stehen und paralysiert auf die schrecklichen Ge­schehnisse in der Ukraine zu blicken, muss Europa jetzt handeln, um zuallererst Mit­tel und Wege zu haben, die Heizperiode, die spätestens im Oktober wieder startet, halbwegs in den Griff zu bekommen. Was wir allerdings überhaupt nicht brauchen, sind halbherzige Lösungen, die wir spä­testens in ein paar Jahren wieder bereuen. Was wir dringendst vermeiden müssen, sind Panikreaktionen am Energiesektor in den nächsten Monaten und Jahren, die dazu führen, dass wir in das nächste große Problem schlittern – nämlich unausweich­lich auf eine drastische Erderwärmung zuzusteuern, die zu katastrophalen Kli­maveränderungen und einem deutlichen Anstieg der Meeresspiegel führen wird.

Die Rekord-Trockenheit im gerade vergan­genen März ist nur ein Zeichen von vielen – eines, das uns vor Augen führt, was pas­siert, wenn sich das Klima verändert. Die viel zu geringen Niederschläge haben so­wohl Auswirkungen auf die Landwirtschaft als auch auf die Energiewirtschaft – durch den niedrigen Wasserstand der Flüsse ging die Stromgewinnung aus Wasserkraft si­gnifikant zurück. Mit dem Ergebnis, dass Österreich Strom aus dem Ausland – dar­unter auch jener aus Kohle- und Atomkraft zukaufen musste. Auch wenn mir dafür keine wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen, habe ich den Eindruck, dass wir uns in einer Abwärtsspirale befinden. Wir verheizen billiges Gas und Öl, erwärmen damit das Klima, entziehen uns auf Grund dessen unserer wichtigsten Energiegrund­lage, der Wasserkraft, und begeben uns gleichzeitig immer mehr in Abhängigkeit von totalitären Regimen und ihren fossilen Rohstoffen – und damit beginnt sich die Spirale erneut zu drehen. Für die Politik scheint der einzige Weg aus der Krise zu sein, immense Beträge in den Ausbau von Hafen-Terminals zu investieren, um das Flüssiggas der Amerikaner und der ara­bischen Länder zu den Abnehmern in Eu­ropa zu bringen. Die Umsetzung derartiger Pläne führt nicht nur zu einer weiteren Ab­hängigkeit, die wir spätestens in ein paar Jahren wieder bereuen werden, sondern feuert noch dazu den Klimawandel an. Was wir brauchen, ist ein gesamtheitliches Konzept – eines, das von erneuerbarer Energie getragen wird und deren Quellen aus Österreich oder Europa stammen. Wir müssen die Lösung des Problems zur Chef­sache erklären und die Bundesländer in die Pflicht nehmen. Es darf keine Ausreden mehr geben, weshalb wir die Windenergie, die Photovoltaik und die Netze nicht sofort ausbauen können. Wenn Deutschland es schafft, 100 Milliarden Euro für die Aufrüs­tung der Bundeswehr aus dem Ärmel zu schütteln, dann sollte es doch ein leichtes sein, ähnliche Summen aufzubringen, um in unser aller Zukunft zu investieren.

Dazu brauchen wir die klügsten Köpfe dieses Landes und Europas – sie müssen jetzt die Zügel in die Hand nehmen, sich zusammentun und ein gesamtheitliches Konzept entwickeln, das auf wissenschaft­lichen Grundlagen basiert, die Vernetzung von Forschungsergebnissen aller für den Energiesektor relevanten Bereiche mitein­bezieht und gleichzeitig praktikabel und umsetzbar ist – und vor allem auch eines, das von der Politik und von den Interessen­verbänden unbeeinflusst bleibt. Wir brau­chen – um den Beginn meines Vorworts noch einmal in Erinnerung zu rufen – eine kluge Exit-Strategie, um endlich und nach­haltig aus der Umklammerung der rohstoff­produzierenden Länder zu gelangen. Und zwar jetzt!

Thomas Buchbauer ist Chefredakteur und Herausgeber von i-Magazin und ecarandbike.com

(Bild: i-magazin)

Thomas Buchbauer ist
Chefredakteur und Herausgeber von
i-Magazin und ecarandbike.com

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