Kolumne von Rudolfine Zachbauer-Zick:

Willkommen in 2024 – Alles beim Alten, oder wie?

von Oliver Kube
Foto: © Pixabay/Henning Westerkamp

Jedes Jahr überrascht mich der Februar, der Vorbote des Frühlings aufs Neue, ob der neu erwachten Licht- und Lebenskraft, die ab dem Lichtmesstag (2. Februar) spürbar ist. Bei uns am Land gab’s an diesem Tag (egal, welcher Wochentag) immer einen Kirtag, den »Taubenmarkt«. Dazu kamen Kleintierzüchter mit ihren Ausstellungstieren in die oberen Veranstaltungsräume eines unserer drei Wirtshäuser im Ortskern. Heute in dieser Form (Hygienevorschriften) wohl nicht mehr vorstellbar. An der Hauptstraße im Ort gab es die Standln der Marktfahrer, nur wenige waren tatsächlich Marktfahrerinnen. Es gab Wäsche, Kleidung, allerlei Haushaltswaren, Kinderspielzeug und Süßigkeiten. Eine liebevolle Erinnerung bleibt – mein Opa hat für die Omama immer ein Kopftuch gekauft. Eines durfte ich mit aussuchen. Es war ein rotes, mit kleinen weißen Tupfen. Die Freude war riesengroß.

Politische Aschermittwochsreden gab es damals noch nicht. Daher halte ich hier virtuell eine solche als »Bürgermeisterin« der fiktiven Gemeinde St. Zukunftsdorf am Grünen Tann – im Sinne von was eine Landgemeinde mit knapp 4.000 EinwohnerInnen (148 EW/km²), 27 km² Gesamtfläche, 25 % Waldfläche, 62 % landwirtschaftliche Nutzung, Rest KMU-/Industrie- und Wohngebiet im Jahre 2024 so braucht. Oder brauchen »tatat«. Weil, so schaut’s derzeit aus:

Kindergarten und Volksschule

haben beide keine Nachmittagsbetreuung und keine warmen Mahlzeiten im Angebot. Im Kindergarten gibt es die Mittagspause zwischen 12:00 und 14:00 Uhr. Ab Herbst soll das besser werden. Anbau für Krabbelgruppe und Essensausgabe dzt. in Bau. Zwischen 16:00 und 16:30 Uhr müssen die Kindergartenkinder wieder abgeholt werden. Längste Unterrichtszeit in der Volksschule ist in der 4. KL 1x bis 14:00 Uhr wegen Turnunterricht. Der Kindergarten nimmt Kinder ab 3 Jahren, bzw. spätestens sobald sie »rein« sind, auf. Ferien sind im ganzen August und zwischen Weihnachten und Hl.-3-Könige.  In der Volksschule gibt es aufgrund von LehrerInnenmangel (w), weil männliche Lehrer gibt es im Primärbereich am Land leider nicht, keinerlei außerschulische Kurse oder Interessensgruppen (wie z. B. Gartenarbeit, eine Theatergruppe, eine Mal- oder Musikgruppe, eine technische Werkgruppe, ausgenommen die Musikschule im Nachbarort).

Sekundarstufe 10- bis 14-Jährige

Natürlich trennt sich bereits für die Viertklässler der Volksschule die Welt in 2 Klassen im realen und im übertragenen Sinn. Freundschaften zerfleddern auf diverse Schultypen und Schulorte. Gab es früher praktisch die Wahl zwischen 2 Hauptschulen im 7,5 km entfernten und eine (mit etwas weniger Ambition) im 4 km entfernten Nachbarort, so ist dies bis heute gleich geblieben. Nur heißen sie jetzt nicht mehr Hauptschule, auch nicht mehr NMS – Neue Mittelschule – sondern nur mehr Mittelschule. Gefahren wurde mit den öffentlichen Bussen zu deren fixen Fahrzeiten. Siehe eigenen Abschnitt.

Sehr, sehr wenige dürften ins Gymnasium in die Bezirksstadt umsteigen und fahren mit 10 schon alleine mit dem Zug (damals noch richtige Dieselloks mit den uralten Abteilen und den drei sehr hohen Stufen zum Raufklettern – da war nichts rollstuhltauglich ausgelegt). Mit 14 gab und gibt es einige Auswahlmöglichkeiten für die einen der Polytechnische Lehrgang (9. Schulstufe, letztes Pflichtjahr), die Landwirtschaftliche Fachschule (2- und 4-jährig), Oberstufen am Gymnasium bzw. Realgymnasium, die HTL und für die Mädchen (neben der 2-jährigen Landwirtschaftsschule) auch noch die HBLAfTWB »Knödelhak«, oder die richtige HAK/HAS (Handelsakademie/Handelsschule) allesamt Bundesschulen, allesamt in der 20 km entfernten Bezirksstadt. Es war so einfach. Damals. Heute dürfen auch Burschen in die HBLAfTWB und Mädchen in die HTL gehen.

Teilzeitarbeit

Das Angebot ist nur eingeschränkt vorhanden. Zu viele Frauen hätten Interesse. Zu wenige Stellen sind verfügbar. Auspendeln in Nachbarorte bedingt eigene Mobilität und verursacht weitere Kosten. Statt zusätzlichem Einkommen wird aufgrund Kinderbetreuung und Fahrtkosten stark am »gerade noch Nutzen«-Limit gekratzt.

Nahversorgung

Ein mittlerer Supermarkt am Ortsrand mit Bankomat und Postkasten (welcher 1x täglich entleert wird) ist alles was übrig blieb von ursprünglich 2 Bäckern, 2 Metzgern, 3 großen Wirtshäusern und 2 Lebensmittelhändlern, 1 Hutmacher, 1 Schuster, 3 Schneiderinnen für Damen, 1 Weberei, 1 Herrenschneiderei, 1 Fachgeschäft für Stoffe, Näh- und Handarbeitszubehör. 2 Konditoreien mit Cafés. Eines der drei Wirtshäuser (mit Privatbrauerei) hat überlebt und der Friedhofswirt. Aus Gründen. Der zweite Supermarkt am entgegengesetzten Ortsende hat nicht überlebt. Er schloss letzten Dezember für immer seine Schiebetüren. Die Post bringt wohl noch allen was. Aber das Postamt hat sie leider vor kurzem aufgelassen.

Ärztliche Versorgung

Ein Hausarzt mit knapp 70 Jahren, der schon von der Pension träumt. Nachfolge nicht in Sicht. Kein Zahnarzt, dafür muss man mobil sein und in den nächsten Ort pendeln. Das Bezirksspital ist rd. 20 km entfernt und modern ausgestattet. Ärztezentren für den gesamten Bezirk ebenso. Frauenarzttermine gibt’s nur bei WahlärztInnen. Kinderärzte arbeiten bei Bedarf bis 22:00 Uhr abends. Wie lange noch?

Öffentliche Verkehrsmittel

Neben der Hauptstraße mit Schwerverkehr durch den Ort gäbe es eine nahezu Ortsumfahrung, es müssten lediglich einige wenige Kilometer Straße verbreitert und begradigt werden, dann könnte der Ortskern vom reinen Durchzugsverkehr freigehalten werden. Busanbindung 2x pro Tag jeweils in 2 Richtungen (morgens und abends) und 1x zu High Noon. 1,5 km vom Ortskern entfernt fährt ein Schienenbus (ähnlich einer S-Bahn) ebenso 3x am Tag je Richtung den Ort an. 20 Minuten Fußmarsch pro Richtung oder 10 Minuten mit dem Fahrrad oder 5 Minuten mit dem Auto für die An- und Abreise zum/vom Zug. Ich kann den Fußmarsch nur empfehlen. Er tut dem Körper und auch der Seele gut.

Digitale Erschließung

Derzeit läuft die Internetanbindung äußerst schleppend. Der Breitbandausbau kommt mit 1 GB Anbindung in Glasfaser. Demnächst. Immerhin. Die Gemeinde sorgt für die allgemeine Zuleitung in den Ort. Die Hausanschlüsse müssen die Nutzer selber finanzieren und durchführen (siehe auch meine Kolumne hier aus 04/2023 Glasfaser 2025). Bauernhöfe links und rechts vom Ortskern im Tal müssen hierauf wohl noch länger warten, Ortskern und Industriegebiet sind hier wohl vorrangig bei der ersten Ausbautranche.

Ortskernbelebung

Das Überleben der ländlichen Gebiete, Orte und Dörfer ist jedoch auch gebunden an die erfolgreiche Wiederbelebung der Ortskerne. Die Aktivierung neuer Handwerks- und Versorgungsbetriebe. Ein Neues Denken alter Strukturen. Eine Migration von Lebenswelten in analog hin zu digital. Ansonsten finden wir uns rasch in Geisterdörfern à la Wildwest-Filme von anno dazumal wieder. Mittags um zwölf, wenn der heiße Wind über den Hauptplatz weht und der ÖBB- oder Postbus 5 Minuten Verspätung hatte und bei der rasanten Abfahrt eine Staubwolke hinterlässt.

Was sich mit Digitalisierung im Dorfleben alles anstellen lässt … beim nächsten Mal! Bis dahin:

Es ist eine Freude am Land! Obacht nur beim Hochamt in der Kirche – da sitzen oftmals die Frauen links, die Männer rechts. Bitte an die ortsüblichen Gegebenheiten halten, um nicht sofort als »Zuagroasta/e« enttarnt zu werden.

Herzlich, Ihre

Foto: Rudolfine Zachbauer-Zick

Rudolfine Zachbauer-Zick
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