Wir brauchen eine Exit-Strategie! Die Abhängigkeit von Öl und Gas muss ein Ende haben!
Wenn Sie diese Worte erreichen, steht die Welt vielleicht schon wieder anders Kopf als zur Stunde. Die Situation in der Ukraine kann sich von einem Tag, ja von einer Stunde auf die andere ändern. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle zusammenfassen, was zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe Stand der Dinge ist und auf die Möglichkeiten, die wir haben, hinweisen. Es ist erschreckend, zu sehen, wie die Entscheidungen eines Menschen die gesamte Welt in eine weitere Krise stürzen konnten. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich in meinem Vorwort angemerkt hatte, wie sehr uns Banken-, Klima- und danach auch noch die Gesundheits- und die Lieferkettenkrise innerhalb von nur ein paar Jahren im Würgegriff hatten. Dass wir derartig schnell in die nächste Katastrophe taumeln würden, hätte wohl keiner gedacht – auch wenn die Konflikte in der Ukraine bereits seit dem Jahr 2014 andauern. Doch die Weltpolitik hat weggesehen – nicht zuletzt auch deswegen, weil sich große Teile des Westens von den russischen Rohstoffen abhängig gemacht hatten – ja, mit Nord Stream 2 sogar in partnerschaftliche Verhältnisse eingetreten waren. Gas, das im Überfluss und billig – Experten sagen, um rund 25 % günstiger als Flüssiggas – von Russland über Pipelines in den Westen geflossen ist, wird nun plötzlich zum Druckmittel und vielleicht bald schon zur Mangelware.
Erst jetzt suchen wir händeringend nach Auswegen, aus der »putinschen Geiselhaft«. Doch statt wie das Kaninchen vor der Schlange zu stehen und paralysiert auf die schrecklichen Geschehnisse in der Ukraine zu blicken, muss Europa jetzt handeln, um zuallererst Mittel und Wege zu haben, die Heizperiode, die spätestens im Oktober wieder startet, halbwegs in den Griff zu bekommen. Was wir allerdings überhaupt nicht brauchen, sind halbherzige Lösungen, die wir spätestens in ein paar Jahren wieder bereuen. Was wir dringendst vermeiden müssen, sind Panikreaktionen am Energiesektor in den nächsten Monaten und Jahren, die dazu führen, dass wir in das nächste große Problem schlittern – nämlich unausweichlich auf eine drastische Erderwärmung zuzusteuern, die zu katastrophalen Klimaveränderungen und einem deutlichen Anstieg der Meeresspiegel führen wird.
Die Rekord-Trockenheit im gerade vergangenen März ist nur ein Zeichen von vielen – eines, das uns vor Augen führt, was passiert, wenn sich das Klima verändert. Die viel zu geringen Niederschläge haben sowohl Auswirkungen auf die Landwirtschaft als auch auf die Energiewirtschaft – durch den niedrigen Wasserstand der Flüsse ging die Stromgewinnung aus Wasserkraft signifikant zurück. Mit dem Ergebnis, dass Österreich Strom aus dem Ausland – darunter auch jener aus Kohle- und Atomkraft zukaufen musste. Auch wenn mir dafür keine wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen, habe ich den Eindruck, dass wir uns in einer Abwärtsspirale befinden. Wir verheizen billiges Gas und Öl, erwärmen damit das Klima, entziehen uns auf Grund dessen unserer wichtigsten Energiegrundlage, der Wasserkraft, und begeben uns gleichzeitig immer mehr in Abhängigkeit von totalitären Regimen und ihren fossilen Rohstoffen – und damit beginnt sich die Spirale erneut zu drehen. Für die Politik scheint der einzige Weg aus der Krise zu sein, immense Beträge in den Ausbau von Hafen-Terminals zu investieren, um das Flüssiggas der Amerikaner und der arabischen Länder zu den Abnehmern in Europa zu bringen. Die Umsetzung derartiger Pläne führt nicht nur zu einer weiteren Abhängigkeit, die wir spätestens in ein paar Jahren wieder bereuen werden, sondern feuert noch dazu den Klimawandel an. Was wir brauchen, ist ein gesamtheitliches Konzept – eines, das von erneuerbarer Energie getragen wird und deren Quellen aus Österreich oder Europa stammen. Wir müssen die Lösung des Problems zur Chefsache erklären und die Bundesländer in die Pflicht nehmen. Es darf keine Ausreden mehr geben, weshalb wir die Windenergie, die Photovoltaik und die Netze nicht sofort ausbauen können. Wenn Deutschland es schafft, 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr aus dem Ärmel zu schütteln, dann sollte es doch ein leichtes sein, ähnliche Summen aufzubringen, um in unser aller Zukunft zu investieren.
Dazu brauchen wir die klügsten Köpfe dieses Landes und Europas – sie müssen jetzt die Zügel in die Hand nehmen, sich zusammentun und ein gesamtheitliches Konzept entwickeln, das auf wissenschaftlichen Grundlagen basiert, die Vernetzung von Forschungsergebnissen aller für den Energiesektor relevanten Bereiche miteinbezieht und gleichzeitig praktikabel und umsetzbar ist – und vor allem auch eines, das von der Politik und von den Interessenverbänden unbeeinflusst bleibt. Wir brauchen – um den Beginn meines Vorworts noch einmal in Erinnerung zu rufen – eine kluge Exit-Strategie, um endlich und nachhaltig aus der Umklammerung der rohstoffproduzierenden Länder zu gelangen. Und zwar jetzt!
Thomas Buchbauer ist
Chefredakteur und Herausgeber von
i-Magazin und ecarandbike.com