Ein Kommentar zum Thema CO2-Kompensation von Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von atmosfair.
Bisher haben wir uns bei atmosfair mit Kommentaren in der Debatte zurückgehalten, weil wir als Kompensationsanbieter naturgemäß nicht als neutral wahrgenommen werden. Angesichts der vielen neuen Berichte über offensichtliche Missstände ändern wir das nun und setzen darauf, dass unsere Beobachtungen aus der Praxis objektiv genug sind, um für Sie hilfreich zu sein.
Die Vorwürfe: Von Greenwashing und wertlosen Waldprojekten
Schon Anfang des Jahres gab es mehrere große Zeitungsberichte über Missstände bei der CO₂-Kompensation: Angefangen mit Berichten in Die Zeit und Guardian über große Waldschutz- und Aufforstungsprojekte weltweit, deren CO₂-Zertifikate zu 90% wertlos sind, über Kompensationsanbieter und Firmenkunden, die mit CO₂-Zertifikaten billig Greenwashing betreiben (Die „Blumengeschwister“), bis hin zu einem Frontal Fernsehbericht im Dezember 2023, „Greenwashing bei Shell, Mercedes und Co.“
Wir teilen diese Kritik und sind froh, dass endlich auch Medien und Verbraucherschützer auf diese Missstände aufmerksam machen. Bei atmosfair haben wir schon vor 15 Jahren beschlossen, keine Waldprojekte zu machen, kein Autofahren, Heizöl, Schnittblumen oder ähnlich fragwürdige Produkte zu kompensieren, und nie „Klimaneutralität“ zu verkaufen. Unsere Projekte werden von den Regierungen des Projektlandes inkl. Anhörungen vor Ort zugelassen, wir lassen sie von haftenden UN-akkreditierten Prüfern wie dem TÜV kontrollieren, und deren Prüfberichte sind direkt auf der Website des Klimasekretariats der Vereinten Nationen einsehbar (UNFCCC), ganz ohne uns. Deswegen kommt atmosfair auch in der aktuellen Kritik nicht vor, im Gegenteil: in Tests von verschiedenen Universitäten und der Stiftung Warentest werden wir seit unserer Gründung immer als vorbildlich bewertet, Medien nennen uns gerne als positives Gegenbeispiel. Nichts destotrotz spüren wir in diesem Jahr zum ersten Mal einen Rückgang bei den Einnahmen und haben das Gefühl, mit anderen Anbietern und fragwürdigen Praktiken mitgefangen und mitgehangen zu werden.
Das ist deswegen besonders enttäuschend, weil gerade jetzt die neuen Regelungen des Paris-Übereinkommens es zulassen, die CO₂-Kompensation von einem reinen Nullsummenspiel zu einem vollwertigen Klimaschutzinstrument aufzuwerten, die wir für das 1,5°C Ziel von Paris brauchen. Von der alten CO₂-Kompensation als zweitbestem Klimaschutzinstrument hin zu CO₂-Minderungen, die zusätzlich sind zu dem, was die Staatengemeinschaft selbst erbringen muss. So könnte sich eigentlich die Kompensation zu einem vollwertigen Klimaschutzinstrument für die Erreichung der Klimaschutzziele von Paris entwickeln.
Quo vadis, CO₂-Kompensation?
Von unseren eigenen Kunden hören wir aber zunehmend, dass diese sich ganz von der CO₂-Kompensation abwenden wollen, weil das Vertrauen in das Instrument der Kompensation durch das zunehmend aufgedeckte Greenwashing zu sehr erschüttert ist. Die Lösung: Unternehmen spenden einfach einen Teil ihrer Einnahmen für Klimaschutzprojekte, die unstrittig dem Klimaschutz dienen, z.B. durch technische Innovationsprojekte.
Aber das ist so zu kurz gedacht. Umweltschützer kämpfen weltweit und seit vielen Jahrzehnten dafür, dass Verursacher endlich für die von ihnen verursachten Schäden aufkommen, nicht die Allgemeinheit. In der EU ist dieses Verursacherprinzip sogar als Grundsatz im EU-Vertrag enthalten.
Es bedeutet, dass die Verursacher von Umweltschäden die zugehörigen Kosten tragen, einschließlich für Maßnahmen zur Vermeidung, Verminderung und Beseitigung sowie die damit verbundenen gesellschaftlichen Kosten. So erhalten die Verursacher einen Anreiz, Umweltschäden zu vermeiden und werden für die von ihnen verursachte Verschmutzung zur Verantwortung gezogen.
Die Anlastung der Umweltkosten ist mit der CO₂-Kompensation ideal umgesetzt, auch wenn sie nur freiwillig ist: Verursacher zahlen für CO₂-Emissionen, nur dass das Geld ungleich einer Steuer denen zugutekommt, die unter den Klimaschäden am meisten leiden: Menschen in Entwicklungsländern, die damit nun Zugang zu grüner Energie erhalten. Dies ist auch Teil einer Nord- Süd Klimagerechtigkeit. Und es gilt dabei nach dem Verursacherprinzip: Wer mehr CO₂ verursacht, muss auch mehr zahlen.
Dies aufzugeben für eine Art CO₂-Spende mit selbstbestimmter Höhe für Unternehmen bringt eine Beliebigkeit zurück, die wir eigentlich schon überwunden hatten. Unternehmen müssen ihre CO₂-Emissionen inzwischen recht genau erfassen, überprüfen lassen und transparent berichten. Dafür sorgt die neuere EU-Gesetzgebung. Mit den vorhandenen guten Standards und Prüfmethoden bei den Kompensationsprojekten ließen sich schlechte Projekte eindämmen, wenn sie denn rechtlich verbindlich vorgegeben wären oder auf andere Art und Weise zum Quasi-Standard erhoben würden. Auch der wichtige Grundsatz „Erst vermeiden und reduzieren, dann den Rest kompensieren“ ließe sich als Standard etablieren. Hier gäbe es viele Möglichkeiten auch für die deutsche Regierung, die im oben erwähnten Frontal Bericht einerseits als Befürworter der CO₂-Kompensation gezeigt wurde, aber anderseits als wenig bereit, bei der freiwilligen Kompensation Einflussmöglichkeiten zu nutzen.
250 Milliarden jährlich: Klimafinanzierung durch CO₂-Kompensation kann erheblich sein
Es fehlen jährlich dreistellige Milliardenbeträge weltweit bei der Klimafinanzierung, trotz aller UN-Fonds, Weltbank und anderer Finanzierungsprogrammen. Die freiwillige Kompensation bietet die Möglichkeit, die Finanzierungslücken über den Privatsektor zu schließen und die Energiewende in Entwicklungsländern zu finanzieren, wo diese noch kein Marktmodell ist, wie bei der ländlichen Elektrifizierung mit erneuerbaren Energien. Hier fehlt viel Geld, um Energiesysteme für Haushalte und kleine Unternehmen grün aufzubauen, bevor die großen Kohlekraftwerke kommen.
Viele Menschen und Unternehmen sind zunehmend bereit, selbst Verantwortung zu übernehmen und die Transformation der Energiesysteme in ärmeren Ländern zu unterstützen. Und wenn sie für CO2-Kompensation bezahlen, dann fehlt das Geld nicht bei den Steuereinnahmen und konkurriert dann nicht mit anderen Staatsaufgaben wie Bildung oder dem Sozialsystem.
Studien schätzen den möglichen Beitrag der freiwilligen CO₂-Kompensatioon zur Klimafinanzierung auf bis zu 250 Milliarden Dollar jährlich im Jahr 2030 ein.
Dies wäre ein erheblicher Beitrag zur weltweiten Klimafinanzierung. Schwer vorstellbar, dass diese Menge an Geld zustande kommt, wenn die Verbindlichkeit und Messbarkeit fehlen, die die CO₂-Kompensation bieten kann.
Mehr Informationen unter: www.atmosfair.de
Quelle: Atmosfair