Der „Made-in-Europe-Bonus“, der mit dem zweiten Fördercall für PV-Anlagen ab dem 23. Juni 2025 in Kraft tritt, klingt auf den ersten Blick wie ein überfälliger Schritt in Richtung europäischer Souveränität: Wer auf Module, Wechselrichter oder Speicher mit nachgewiesener Wertschöpfung innerhalb des EWR oder der Schweiz setzt, kann mit einem Förderzuschlag von bis zu 20 % rechnen. Eine Belohnung für Nachhaltigkeit, kurze Lieferketten und Stärkung des europäischen Marktes – so weit, so gut.
Doch wie so oft bei politischen Maßnahmen steckt der Teufel im Detail. Denn was derzeit als „Bonus“ verkauft wird, entwickelt sich für Handwerksbetriebe, Planer und Hersteller zu einem organisatorischen Blindflug mit Ansage. Schon der erste Fördercall im Frühjahr hatte die Branche auf dem falschen Fuß erwischt: An einem Tag die Ankündigung, am nächsten Tag der Start. Viele Unternehmen waren schlicht überfordert. Das Klimaministerium verteidigte das Vorgehen mit Verweis auf Fehler der Vergangenheit: Eine zu frühe Ankündigung habe in früheren Jahren den Markt für Monate zum Stillstand gebracht und anschließend einen massiven Ansturm auf die Handwerksbetriebe ausgelöst.
Zickzackkurs mit System
Dass nun auch der zweite Fördercall – samt neuem Förderinstrument – wieder mit Unsicherheiten und offenen Fragen belastet ist, offenbart ein strukturelles Problem: Die fehlende Abstimmung zwischen politischem Willen und praktischer Umsetzbarkeit. Beispiel gefällig? Die Liste jener Hersteller, deren Produkte den Kriterien des Made-in-Europe-Bonus entsprechen, existiert Stand Anfang Mai noch nicht. Unsere Informanten aus der Branche berichten, dass es erst seit wenigen Tagen überhaupt Klarheit darüber gibt, wohin die notwendigen Nachweisdokumente geschickt werden müssen und welche formalen Kriterien bei der Zertifizierung einzuhalten sind. Die Unternehmen beginnen gerade erst, entsprechende Konformitätsprüfungen zu veranlassen. Erst danach können die eingereichten Zertifikate von der Förderstelle überprüft und in eine offizielle Liste aufgenommen werden.
Realistischer Zeithorizont für die Veröffentlichung dieser Liste? Laut unseren Informationen: voraussichtlich ein Monat – das heißt, mit etwas Glück also kurz vor dem Förderstart.
Was bedeutet das für Handwerksbetriebe? Wer Angebote erstellen will, weiß nicht, ob das geplante Produkt förderfähig ist. Wer Module oder Wechselrichter einkauft, tappt im Dunkeln. Wer eine Kundenberatung durchführt, kann bestenfalls vage Vermutungen äußern. All das in einem Marktumfeld, das ohnehin unter Materialschwankungen, steigenden Preisen und massivem Fachkräftemangel leidet. Die fehlende Herstellerliste wird damit zum Nadelöhr – mit potenziell fatalen Folgen, vor allem für kleinere Betriebe ohne eigene Rechts- und Förderabteilungen.
Ideologiefrei und praxisgerecht?
Geradezu ironisch wirkt in diesem Zusammenhang eine Aussage, die Bundesminister Wolfgang Hattmannsdorfer kürzlich bei einer Veranstaltung des ÖAMTC gemeinsam mit BMW machte: Dort lobte er die Regierung, der er selbst angehört, ausdrücklich dafür, dass diese Form der Förderung frei von Ideologie sei – und vor allem praxisgerecht. Genau diese Behauptung steht angesichts der tatsächlichen Umsetzung nun zur Diskussion. Denn die Praxis zeigt derzeit alles andere als Klarheit, Planbarkeit oder Fairness. Eine Förderung, deren grundlegende Informationen – etwa die Liste der qualifizierten Hersteller – erst kurz vor der Einreichfrist veröffentlicht werden, hat wenig mit „praxisgerecht“ zu tun, sondern erinnert eher an einen Glücksspielautomaten mit politischer Kulisse.
Verwaltungsaufwand mit Nebenwirkungen
Ein Aspekt, der bisher wenig öffentlich thematisiert wurde: Der enorme Verwaltungsaufwand, den der Made-in-Europe-Bonus mit sich bringt – sowohl auf Seiten der Hersteller als auch bei den Förderstellen. Die Beschaffung und Prüfung der Konformitätsnachweise, die Pflege der Produktliste, die Kontrolle bei der Endabrechnung und die ständige Aktualisierung der Daten erzeugen beträchtliche bürokratische Kosten. Die Frage liegt auf der Hand: Steht der Nutzen dieses Bonussystems in einem angemessenen Verhältnis zum administrativen Aufwand? Oder hätte man mit denselben Mitteln – und weniger Bürokratie – vielleicht sogar wirkungsvoller in europäische Produktion investieren können?
Für kleine Betriebe bedeutet der zusätzliche Prüfaufwand jedenfalls eine weitere Hürde. Sie benötigen Zeit, Know-how und oft auch externe Unterstützung, um sich sicher im Förderdschungel zu bewegen. Die Förderlandschaft, so scheint es, wird von Jahr zu Jahr komplexer – und das in einer Branche, die unter dem Druck der Energiewende eigentlich entlastet, nicht zusätzlich belastet werden sollte.
Transparenz? Fehlanzeige.
Besonders brisant: Die Kriterien für den Bonus sind zwar technisch präzise formuliert – etwa welche Fertigungsschritte innerhalb Europas erfolgt sein müssen –, doch ob ein konkretes Produkt diese erfüllt, lässt sich nur durch ein externes Konformitätszertifikat belegen. Die Verantwortung dafür liegt beim Hersteller. Und solange das nicht erfolgt und geprüft ist, bleibt unklar, ob ein vermeintlich „europäisches“ Modul tatsächlich Bonus-berechtigt ist oder nicht.
Ein weiterer Knackpunkt: Welche Unternehmen schaffen es letztlich überhaupt auf die Liste? Die Prüfung erfolgt durch akkreditierte europäische Konformitätsbewertungsstellen – ein grundsätzlich sinnvolles Instrument gegen Greenwashing. Doch es stellt sich auch hier die Frage nach Fairness und Transparenz: Was, wenn große Produzenten mit geschickter Produktionsverlagerung (z. B. Endprüfung in Osteuropa) plötzlich als „europäisch“ gelten? Und was, wenn tatsächlich europäische Hersteller aufgrund bürokratischer Verzögerungen leer ausgehen?
Fazit: Gut gemeint ist nicht gut gemacht
Der Made-in-Europe-Bonus ist politisch richtig – wirtschaftlich sinnvoll und technologisch notwendig. Doch die Art seiner Einführung wirft grundlegende Fragen auf. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit – und zwar vor dem Call, nicht erst parallel dazu. Die zuständige Förderstelle ist jetzt gefordert, die Liste der qualifizierten Komponenten zügig, transparent und nachvollziehbar zu veröffentlichen. Und das Ministerium muss sich an seiner eigenen Messlatte messen lassen: Wer von „praxisgerecht“ spricht, darf die Praxis nicht ignorieren.
Und nicht zuletzt: Fördermodelle dieser Größenordnung müssen sich auch der Frage stellen, ob ihre Verwaltungskosten in einem vernünftigen Verhältnis zum Fördereffekt stehen – insbesondere in einem Sektor, der schnelles Handeln und schlanke Prozesse dringend braucht.
Denn wenn Förderung zur Verunsicherung führt, wird aus einem politischen Bonus ein wirtschaftliches Risiko.
Übrigens: Hier sollte die Liste schließlich downloadbar sein – wenn sie dann auch zur Verfügung steht:
👉 https://www.eag-abwicklungsstelle.at/wissen/made-in-europe-bonus/