Ich war ratlos. Wie gelingt es mir als Konsument, europäische Hersteller durch meine Kaufentscheidung zu ihren Gunsten zu unterstützen, wenn es in manchen Bereichen gar keine Produkte »made in Europe« zu geben scheint? Falsch gedacht.
Um es kurz zu machen: Ich brauchte ein neues Smartphone und wähnte mich im Glauben, dass es ohnehin nur Geräte gibt, die im asiatischen Raum hergestellt werden. Bis ich auf Gigaset stieß. Das Unternehmen hat seinen Sitz nicht nur in Deutschland, sondern produziert seine Smartphones laut eigenen Aussagen auch in Deutschland. Kaum, dass ich Gigaset – das ich bisher nur von Schnurlostelefonen kannte – im Web entdeckt hatte, schneite auch schon eine Pressemeldung von eben diesem Unternehmen bei mir herein. So ein Zufall. Das Unternehmen präsentierte dieser Tage das neue GX6. Ein Outdoor-Smartphone, das sich durch sein elegantes und robustes Design, ultraschnelles 5G, einen starken Wechsel-Akku, kabelloses Schnellladen, 120 Hz-Display, Wi-Fi 6 sowie ein Dual-Kamera-System mit optischem Bildstabilisator (OIS) auszeichnet und gleichzeitig staub- und wasserdicht und widerstandsfähig nach Militärstandard ist – so lauten jedenfalls die Herstellerangaben. Ich neige nicht dazu, Werbung für ein Unternehmen an dieser Stelle zu machen, aber ich will in diesem speziellen Fall eine Ausnahme machen. Erstens zählt die Berichterstattung über Smartphones nicht zu unserem angestammten redaktionellen Spektrum, wodurch ich kein anderes Unternehmen mit der Erwähnung benachteilige, und zweitens nutze ich die Info über das GX6 »made in Germany«, um Sie, liebe Leser, darauf hinzuweisen, dass wir der europäischen Fertigungstiefe in der Elektroindustrie derzeit auf den Grund gehen. Denn, was hilft es, vollmundig zu verkünden, die Produktionen wieder nach Europa zurückholen zu wollen, wenn es dann doch bei einem Lippenbekenntnis bleibt? Denn die Frage, die wir uns stellen, lautet: Haben die Hersteller aus den aktuellen Krisen ihre Lehren gezogen, oder gewinnt dann doch wieder der Druck, die Aktionäre zufriedenzustellen und die Fertigungen in Asien zu belassen, die Oberhand? Sind Produktionen europäischer Unternehmen in Asien noch zeitgemäß? Sind sie ethisch und ökologisch vertretbar? Sind sie nachhaltig? Oder besinnt sich die europäische Industrie wieder Ihrer Stärken? Denn wenn es ein Unternehmen wie Gigaset schafft, ein Smartphone wie das GX6 mitten in Europa herzustellen und es um einen UVP von 579 Euro anzubieten, warum können das nicht auch andere? Wir wollen Sie dabei unterstützen, Ihre Kaufentscheidung auch auf Grund der genannten Kriterien treffen zu können und fragen aktuell bei allen Herstellern der Elektrotechnikbranche nach, wie es um deren europäische Fertigungstiefe steht. Denn eines wollen wir vermeiden: dass es Ihnen geht wie mir. Wir lassen Sie nicht ratlos zurück.
Dass die Situation aus der Sicht der Konsumenten auch in anderen Bereichen alles andere als rosig ist, erlebe ich aktuell im Rahmen der Errichtung einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach meines Eigenheims. Natürlich ist mir klar, dass die Materialbeschaffung derzeit wirklich brutal ist. Aber wenn Regularien den Ausbau der Erneuerbaren verhindern, dann verstehe ich die Welt nicht mehr. Die Sache ist nämlich die, dass ich das gesamte Material zur Verfügung hätte. Einzig an der Zulassung des Wechselrichters für den österreichischen Markt, der mir angeboten wurde, mangelt es noch. Und das, obwohl er für den deutschen Markt über eine Zulassung verfügt. Laut meinem deutschen Lieferanten fehlt ein Software-Skript für das österreichische Netz, das nur der Hersteller bereitstellen kann. Aber der sitzt in China und fragt sich wahrscheinlich gerade – so wie ich auch – warum für das österreichische Netz andere Regeln herrschen als für das deutsche. Die Aussage „Wir wollen unser Netz sauber halten“ habe ich jetzt schon mehrmals gehört. Aber warum die Physik in Österreich anderen Grundlagen als in Deutschland unterworfen sein soll, hat mir jedoch noch niemand erklären können. Die skurrile Situation, die sich daraus ergibt: Ich möchte, darf aber nicht. Ich hätte ja auch kein Problem, einen Wechselrichter aus heimischer Produktion einbauen zu lassen, wenn der Wechselrichter und der dazu passende Stromspeicher dann auch lieferbar wären – was jedoch nicht der Fall ist. Wie man es dreht und wendet: Sowohl die Handwerksunternehmen, die derzeit eine PV-Anlage nach der anderen verbauen könnten, als auch die Konsumenten, die eine hohe Bereitschaft zeigen, die Energiewende voranzutreiben, scheitern am herrschenden Materialmangel. Es ist zum Verzweifeln.
Ein klares Zeichen dafür, dass die Energiewende trotz Lieferproblemen große Schritte macht, sind die Zahlen. Laut unseren Informationen haben die Verkaufszahlen für regenerative Energieerzeugung in Deutschland seit Anfang dieses Jahres um rund 140 Prozent zugelegt. Ähnlich verhält es sich im Bereich elektrische Wärmetechnik – gut informierte Kreise melden, dass die Branche durch Initiativen wie »Raus aus Öl und Gas!« alleine im August Zuwächse über 160 Prozent erzielt hat. Niemand kann versprechen, dass sich die Liefersituation in den nächsten Monaten entspannt. Trotzdem hat die Elektrobranche die besten Voraussetzungen, um aus den derzeit herrschenden multiplen Krisen schadlos herauszukommen. Lasst uns das Beste daraus machen!
Thomas Buchbauer ist
Chefredakteur und Herausgeber von
i-Magazin und ecarandbike.com