Österreich erlebt einen Photovoltaik-Boom, doch die Klimaziele für 2040 sind ohne weitere Maßnahmen in Gefahr. Eine neue Studie von Hubert Fechner in Auftrag von Oesterreichs Energie zeigt, dass die Potenziale auf Dächern fast ausgeschöpft sind. Ein massiver Ausbau auf Freiflächen und eine bessere Integration ins Energiesystem sind unerlässlich. Welche Schritte jetzt nötig sind, um Österreichs Energiesystem fit für die Zukunft zu machen, präsentiert der Studienautor vor dem i-Magazin-Mikro.
Österreich hat sich bekanntlich ambitionierte Klimaziele gesetzt: Bis 2030 soll der gesamte Strombedarf bilanziell zu 100 % aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden, und bis 2040 strebt das Land Klimaneutralität an. Photovoltaik (PV) spielt dabei eine zentrale Rolle. Um die nationalen Zielvorgaben zu erreichen, muss die Leistung aus Photovoltaikanlagen erheblich gesteigert werden. Die Ermittlung der PV-Potenziale in Österreich zeigt jedoch, dass allein die Nutzung der Dachflächen nicht ausreichen wird. Freiflächen, innovative Lösungen wie Agri-PV und intelligente Systeme zur Netzintegration werden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Doch wie können diese Potenziale effektiv genutzt werden, und welche Herausforderungen stehen einem flächendeckenden Ausbau noch im Weg?
Ein rasanter Anstieg der PV-Leistung
Der Zubau von Photovoltaikanlagen hat in Österreich in den letzten Jahren ein enormes Wachstum erfahren. Allein im Jahr 2023 wurden 2,6 GW an PV-Leistung installiert – eine beeindruckende Leistung, die pro Kopf den größten Ausbau darstellt, der je in einem europäischen Land innerhalb eines Jahres erreicht wurde. Barbara Schmidt von Österreichs Energie betont: „Der PV-Ausbau ist eine Erfolgsgeschichte. PV ist eine große Stütze der österreichischen Stromerzeugung, aber wir sehen, dass PV alleine natürlich nicht ausreichen wird. Für die Erreichung unserer Ziele müssen auch die Potenziale der Wasserkraft und des Windkraftausbaus genutzt werden.“ Diese dynamische Entwicklung zeigt, dass Photovoltaik inzwischen als eine zentrale Säule der zukünftigen Energieversorgung angesehen wird.
Dennoch bleibt die Herausforderung groß: Die mit Jahresbeginn 2024 erreichte Leistung aus Photovoltaikanlagen von 6,3 GW[ZC1] (Stand Juni sind es laut Oesterreichs Energie bereits über 7 GW) reicht bei weitem nicht aus, um die langfristigen Klimaziele zu erreichen. Bis 2040 sollen gemäß der Stromstrategie von Österreichs Energie 30 GWp und laut dem Netzinfrastrukturplan (ÖNIP) sogar 45-50 GW installiert sein, was einer jährlichen Energieproduktion von etwa 41 TWh entsprechen würde. Hubert Fechner, der Autor der neuen PV-Potenzialstudie, hebt hervor, dass das physikalisch-theoretische Potenzial auf Gebäuden bei 58 TWh pro Jahr liegt, wovon sich jedoch nur noch rund 10,7 TWh in der Praxis technisch und wirtschaftlich realisieren lassen.
Die Differenz zwischen Potenzial und Realität
Die Potenzialanalyse zeigt klar, dass physikalisch-theoretische Potenziale allein keine Garantie für den tatsächlichen Ausbau sind. Vielmehr sind sie ein Indikator für das maximale Nutzungspotenzial unter idealen Bedingungen. Fechner erklärt: „Das wirtschaftliche Potenzial bedeutet, dass die Gesamtkosten für die Energieumwandlung einer Energiequelle in der gleichen Bandbreite liegen wie die Kosten konkurrierender Systeme.“ Doch der Weg vom technischen zum wirtschaftlichen Potenzial wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst: von gesetzlichen Vorgaben, über die Verfügbarkeit von Flächen, bis hin zu sozialen und ökonomischen Hürden.
Besonders auffällig ist die Diskrepanz zwischen den hohen physikalisch-theoretischen Potenzialen und den tatsächlich realisierbaren Potenzialen. Für den Gebäudesektor wurde nach dem physikalisch/theoretischen Potenzial von 58 TWh/a und dem technisch Potenzial von 36 TWh/a, ein gesamtes wirtschaftliches Potenzial von etwa 27 TWh/a pro Jahr ermittelt. Schmidt unterstreicht die Notwendigkeit einer gleichzeitigen Erschließung aller Potenzialbereiche: „Wichtig ist, dass alle Potenziale gleichermaßen und gleichzeitig ausgebaut und genutzt werden, weil sonst wird das System massiv teurer.“ Die PV-Potenzialstudie zeigt, dass die verbleibenden, noch offenen Gebäudepotenziale bei etwa 9-12,4 TWh pro Jahr – im Mittel die bereits erwähnten 10,7 TWh – liegen. Um diese Potenziale zu erschließen, sind gezielte Maßnahmen erforderlich, die sowohl technische als auch soziale Barrieren abbauen.
Nord- und Südausrichtung: Jede Fläche zählt
Ein entscheidender Fortschritt in der Photovoltaiktechnologie ist die Möglichkeit, auch weniger optimal ausgerichtete Flächen wie Norddächer wirtschaftlich zu nutzen. Fechner berichtet: „Vor fünf, sechs Jahren hieß es noch, dass PV-Module südseitig orientiert sein müssen. Mittlerweile sehen wir, dass auch bei einer Nordausrichtung noch immer rund 70 % der maximal möglichen Energieerträge erreicht werden können.“ Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass bisher als „ungeeignet“ bewertete Flächen zunehmend in Betracht gezogen werden, was das nutzbare Potenzial erheblich erweitert.
Diese Flexibilität ist besonders wertvoll, da die Nutzung optimal ausgerichteter Dachflächen allein nicht ausreichen wird, um die Klimaziele zu erreichen. Die Studie zeigt, dass wir bei einem realisierbaren Potenzial von durchschnittlich 10,7 TWh auf Gebäuden dennoch erheblich auf Freiflächenanlagen angewiesen sind. „Wir sehen, dass die Hälfte der notwendigen Photovoltaik auf Gebäuden realisierbar ist und deutlich über 50 % auf Freiflächen erforderlich sein wird“, so Fechner. Für die vollständige Erreichung der Klimaziele ist eine parallele Entwicklung von Dach- und Freiflächenpotenzialen unerlässlich.
Agri-PV: Doppelnutzung der Flächen
Ein innovativer Ansatz, der zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist die Agri-Photovoltaik (Agri-PV), bei der Photovoltaikanlagen mit landwirtschaftlicher Nutzung kombiniert werden. Diese Technologie ermöglicht es, Flächen doppelt zu nutzen – für die Stromerzeugung und die landwirtschaftliche Produktion. Fechner hebt hervor: „Die Kombination mit der landwirtschaftlichen Nutzung bringt viele Synergien und kann die heimische Wertschöpfung deutlich steigern.“ Besonders in landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen bietet Agri-PV die Möglichkeit, Konflikte zwischen Nahrungsmittelproduktion und Energieerzeugung zu vermeiden. Beispielsweise können Obst- und Beerenplantagen durch die Teilbeschattung der PV-Module vor zu starker Sonneneinstrahlung geschützt werden, was die Qualität der Früchte verbessert und den Wasserverbrauch reduziert. Im Rahmen eines Projekts der steirischen Versuchsanstalt wird eine Apfelplantage mit einer PV-Anlage kombiniert und auch der Weinbau experimentiert mit Agri-PV: „Mittlerweile weiß man, dass die Überwachung aufgrund der klimatischen Veränderungen sogar Vorteile bringt. Sie haben vielleicht gelesen, dass der Wein auf Grund der klimatischen Veränderungen bzw. der erhöhten Sonneneinstrahlung in manchen Regionen bereits zu süß ist.“
Der Ausbau der Agri-PV wird jedoch durch technische und wirtschaftliche Herausforderungen gebremst. „Die landwirtschaftliche Bewirtschaftung unter PV-Anlagen stellt besondere Anforderungen an die Maschinen, beispielsweise hinsichtlich der Staubentwicklung und der Zugänglichkeit“, erklärt Fechner. Auch gesetzliche Rahmenbedingungen und die Akzeptanz der Landwirte spielen eine wesentliche Rolle bei der Umsetzung dieser Technologie. Daher sind verstärkte Forschungsanstrengungen und Pilotprojekte notwendig, um die Vorteile der Agri-PV weiter zu belegen und die Barrieren für die breite Anwendung abzubauen.
Lastverschiebung und intelligente Netzintegration
Mit dem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien, insbesondere der Photovoltaik, kommt es zunehmend zu Zeiten, in denen die Stromproduktion die Nachfrage übersteigt. Dies führt zu Herausforderungen bei der Netzintegration und dem Management von Überschussstrom. Barbara Schmidt betont: „Die Sonne schickt keine Rechnung, aber der Netzbetreiber schickt eine. Das System kostet Geld, der Umbau kostet Geld.“ Es ist daher entscheidend, die Netze so auszubauen, dass sie flexibel auf die stark schwankende Stromproduktion aus Photovoltaik reagieren können.
Eine wichtige Strategie zur Bewältigung dieser Herausforderungen ist die Lastverschiebung. Dies bedeutet, den Stromverbrauch zu Zeiten hoher PV-Erzeugung zu fördern, um Netzüberlastungen zu vermeiden und die Nutzung erneuerbarer Energien zu maximieren. Fechner erklärt: „Wir müssen sehr stark über Flexibilitäten nachdenken. Speicher sind ein Punkt, aber das ist bei weitem nicht alles. Auch der Einsatz von Wasserstoff und die Motivation der Verbraucher, den Strom dann zu nutzen, wenn er verfügbar ist, spielen eine wichtige Rolle.“ Flexible Stromtarife und Anreize für Prosumer – also private Stromerzeuger, die sowohl Strom konsumieren als auch ins Netz einspeisen – sind Schlüsselelemente, um die Energienutzung besser zu steuern.
Vom Modul zur Anlage: Die Kostenstruktur der PV
Während die Preise für PV-Module in den letzten Jahren erheblich gesunken sind, sind die Gesamtprojektkosten für PV-Anlagen weitgehend stabil geblieben. Fechner erläutert: „Die Modulpreise haben sich in den letzten zehn Jahren fast um den Faktor zehn reduziert. Dennoch sind die Projektkosten nicht in gleichem Maße gesunken, weil andere Kostenfaktoren wie Planung, Montage und Netzanbindung gestiegen sind.“ In Österreich liegen die Installationskosten für kleinere Anlagen typischerweise bei etwa 1.600 Euro pro kW. Dabei machen die Module nur noch etwa 25-30 % der Gesamtkosten aus. Diese Entwicklung zeigt, dass die Kostensenkungspotenziale bei den Modulen weitgehend ausgeschöpft sind und zukünftig vor allem bei den Nebenkosten Einsparungen erzielt werden müssen.
Eine der Herausforderungen im PV-Ausbau ist es daher, die Effizienz in den Bereichen Planung und Installation zu steigern. Zudem müssen bürokratische Hürden, die die Umsetzung von PV-Projekten verzögern oder verteuern, abgebaut werden. Eine Vereinfachung der Genehmigungsprozesse und die Einführung standardisierter Verfahren könnten dazu beitragen, die Nebenkosten zu senken und den Ausbau zu beschleunigen.
Der Wandel der Einspeisezusicherung
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Umdenken bei der Einspeisezusicherung. Traditionell galt die Zusicherung eines festen Einspeisetarifs als entscheidender Anreiz für die Installation von PV-Anlagen. Angesichts der stark gesunkenen Stromgestehungskosten aus Photovoltaik und der zunehmenden Volatilität der Strompreise sind aus der Sicht von Fechner jedoch neue Geschäftsmodelle gefragt: „Es wird immer wichtiger, auch selbst zu verbrauchen, um wirtschaftlich zu sein. Die Eigenversorgung, also die Nutzung des eigenen Stroms für Haushalt, Mobilität und Wärme, wird zur neuen Normalität.“
Dieser Trend wird durch die zunehmende Verbreitung von Heimspeichern und E-Ladestationen verstärkt, die den Eigenverbrauch optimieren und gleichzeitig die Netze entlasten können. „Die Kombination von PV mit Speichern, intelligentem Energiemanagement und flexiblen Verbraucherstrukturen ist der Schlüssel, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten“, so Fechner. Zudem bieten Energiegemeinschaften und die direkte Vermarktung von Überschussstrom neue Möglichkeiten für Prosumer, ihre Erträge zu maximieren.
Zusammenfassung
Der Ausbau der Photovoltaik in Österreich schreitet zügig voran und ist ein zentraler Baustein der nationalen Klimastrategie. Die Potenzialanalyse zeigt jedoch, dass allein die Nutzung der Dachflächen nicht ausreicht, um die Ziele von 41 TWh PV-Strom bis 2040 zu erreichen. Eine Kombination aus Dachanlagen, Freiflächen-PV, Agri-PV und intelligenten Systemen zur Netzintegration ist unerlässlich. Dabei gilt es, bestehende technische, ökonomische und soziale Barrieren abzubauen, um die Photovoltaik-Potenziale voll auszuschöpfen. Die Flexibilisierung des Stromverbrauchs, die Integration von Speichern und die Schaffung attraktiver Rahmenbedingungen für Prosumer sind entscheidende Faktoren, um die Energiewende in Österreich erfolgreich zu gestalten.
2 Kommentare
Es gibt auch genug Parkflächen !!!
..das habe ich (Thomas Buchbauer) mir auch gedacht, als ich bei der Pressekonferenz saß. Die Antwort von Hubert Fechner aus der Studie lautete allerdings: „Grundsätzlich existiert keine einheitliche Definition was als (oberirdischer) Parkplatz definiert ist. Entsprechend Grundstückskataster, Flugbildern und anderem werden Daten ausgewiesen, die für Österreich zwischen 46,6 km² (Regionalinformation BEV 2023) und 64 km² (Open Street Map 2022) variieren.
Technisches Potential: Unter Beachtung, dass viele Parkräume aufgrund Verschattung durch naheliegende Gebäude, Bepflanzung mit Bäumen, freizuhaltenden Zu- und Abfahrtswegen, mittelfristig geplanten anderen Nutzungskonzepten oder eine generell fehlende Bereitschaft zur Überdachung, etc… nicht genutzt werden können scheint eine Größenordnung von 40-50 % der theoretisch verfügbaren Fläche als PV überdachte Parkplätze – bei Stellplatzüberdachung – realisierbar. Die für PV-Nutzung verfügbare Parkraumfläche ergibt sich daher für Österreich zu 19-32 km² für größere Parkplätze inklusive geeigneter privater Stellplätze, d.h. Einzel- und Doppelcarports;
Das technische Photovoltaik-Parkraumüberdachungspotential liegt daher zwischen 2 GW und 3,2 GWp für Österreich.„