Die EU-Kommission gibt dem Druck der Autoindustrie nach und weicht das Verbrenner-Aus ab 2035 auf. Doch ausgerechnet der Verband der Automobilindustrie (VDA) reagiert ungewöhnlich scharf. Seine Kritik legt offen, wo das neue „Automobilpaket“ der Kommission nicht nur klimapolitisch, sondern auch industriepolitisch ins Leere läuft.
Es sollte ein Befreiungsschlag werden – für die Industrie, für den Standort Europa, für den stockenden Hochlauf der Elektromobilität. Was die EU-Kommission Mitte Dezember 2025 präsentiert hat, ist jedoch vor allem eines: ein politischer Kompromiss mit eingebautem Konfliktpotenzial – weder Fisch noch Fleisch. Das offiziell weiterbestehende Ziel der Klimaneutralität bis 2050 wird rhetorisch abgesichert, während der Weg dorthin immer diffuser wird.
Die EU-Kommission verabschiedet sich vom strikten Null-Emissions-Ziel ab 2035 und ersetzt es durch ein 90-Prozent-Reduktionsziel. Die verbleibenden zehn Prozent dürfen künftig kompensiert werden – etwa über grünen Stahl, E-Fuels oder Biokraftstoffe. Damit öffnet Brüssel den regulatorischen Raum für Plug-in-Hybride, Fahrzeuge mit Range Extender sowie Wasserstoffmodelle auch über 2035 hinaus.
Batterieelektrische Fahrzeuge sollen diesen Kurswechsel durch sogenannte Superkredite abfedern, insbesondere für kleine, leistbare Modelle aus europäischer Produktion – finanziert aus öffentlichen Mitteln. Was als pragmatische Flexibilisierung kommuniziert wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als politischer Zickzackkurs, der sowohl Konsumentinnen und Konsumenten als auch der Automobilindustrie Planungssicherheit entzieht und langfristig zu einem industriepolitischen Eigentor werden kann.
Auf den ersten Blick wirkt das Abrücken vom 100%-Ziel wie ein Zugeständnis. Auf den zweiten Blick offenbart sich jedoch ein Grundproblem für die europäische Autoindustrie: Die neue Flexibilität ist an Bedingungen geknüpft, die sie selbst kaum beeinflussen kann.
VDA: Technologieoffenheit nur auf dem Papier
Genau hier setzt die bemerkenswert deutliche Kritik des VDA an. In seiner Kommentierung spricht der Verband von einer Enttäuschung und bezeichnet das Gesamtpaket aus Brüssel als „fatal“ für Wirtschaft, Wachstum und Beschäftigung in Europa. Die Kommission habe versprochen, Realitäten zu analysieren und darauf aufbauend Anpassungen vorzunehmen – dieses Versprechen sei nicht eingelöst worden.
Hürden absichtlich eingebaut?
Besonders scharf fällt der Vorwurf aus, dass die viel beschworene Technologieoffenheit in der Praxis zu einem Lippenbekenntnis verkomme. Was formal nach Öffnung aussehe, sei mit so vielen Hürden versehen, dass es faktisch wirkungslos bleiben könnte. Damit formuliert der VDA eine Kritik, die über reine Interessenvertretung hinausgeht: Europa reguliert ambitioniert, ohne die Voraussetzungen abzusichern.
Grüne Vorleistungen, fehlende Planungssicherheit
Kernpunkt der VDA-Kritik ist die neue Logik der Kompensation. Brüssel knüpft die Aufweichung des 2035-Ziels an den Einsatz von grünem Stahl und erneuerbaren Kraftstoffen. Das Problem: Weder Menge noch Preis noch zeitliche Verfügbarkeit dieser Ressourcen liegen im Einflussbereich der Automobilhersteller. Ob es 2035 ausreichend grünen Stahl aus europäischer Produktion zu wettbewerbsfähigen Preisen geben wird, kann heute niemand seriös garantieren.
Damit wiederholt sich ein Muster, das die Branche bereits vom Ausbau der Ladeinfrastruktur kennt, sagt der VDA. Die Industrie wird an ambitionierten Zielen gemessen – und riskiert Sanktionen, wenn andere Akteure ihre Hausaufgaben nicht machen. Der VDA bringt es aus seiner Sicht auf den Punkt: Das sei das Gegenteil von Planungssicherheit.
Mehr Berichtspflichten statt echter Kurskorrektur
Hinzu kommt ein strukturelles Problem des neuen Pakets. Statt einer klaren, faktenbasierten Anpassung der CO₂-Flottenregulierung führt die Kommission vor allem neue Nachweis- und Berichtspflichten ein. Aus Sicht des VDA werden damit administrative Lasten erhöht, ohne die eigentlichen Ursachen der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa überhaupt zu adressieren.
Auch bei Plug-in-Hybriden bleibt Brüssel Antworten schuldig. Die Rolle dieser Fahrzeuge im Klimaschutz wird nicht klar definiert, notwendige Anpassungen – etwa beim Utility Factor oder bei einer Perspektive über 2035 hinaus – bleiben aus. Das ist bemerkenswert, weil Plug-in-Hybride politisch nun wieder gebraucht werden, regulatorisch aber weiterhin zwischen allen Stühlen sitzen.
Lichtblicke – aber keine Strategie
Der VDA erkennt durchaus einzelne positive Ansätze an: Erleichterungen für leichte Nutzfahrzeuge, ein früherer Blick auf schwere Nutzfahrzeuge und deren CO₂-Regulierung. Doch auch hier gilt: Impulse ersetzen keine Strategie. Ohne massiven Ausbau der Lade- und H₂-Infrastruktur, ohne wettbewerbsfähige Energiepreise und ohne verlässliche industrielle Rahmenbedingungen bleibt der Hochlauf der Elektromobilität Stückwerk.
Besonders deutlich wird das bei der Diskussion um zusätzliche Initiativen wie die Corporate Fleets Initiative. Der VDA lehnt diese als realitätsfremd ab und warnt vor weiterer Überregulierung, die den ohnehin schwierigen Transformationsprozess zusätzlich belastet.
Fazit: Politische Beruhigung statt industriepolitischer Klarheit
Das neue Automobilpaket der EU-Kommission ist kein klarer Bruch mit dem Verbrenner, aber auch kein überzeugender Neustart für die Elektromobilität. Es ist ein politischer Mittelweg, der kurzfristig Druck aus dem Kessel nimmt, langfristig aber neue Unsicherheiten schafft. Ironischerweise kommt die schärfste Kritik nicht von Klimaschützern, sondern aus der Industrie selbst.
Europa steht damit erneut vor einer bekannten Situation: hohe Ziele, komplexe Regulierung, unzureichend abgesicherte Rahmenbedingungen. Wer Klimaneutralität ernst meint, muss mehr liefern als Flexibilisierungsklauseln. Und wer Industriepolitik betreiben will, muss Planungssicherheit schaffen – nicht neue Abhängigkeiten.
Meine Einschätzung: Für Chinas Autobauer ist Europas Orientierungslosigkeit ein Geschenk.