Daten und Fakten zur Stromversorgungssicherheit:

Angstszenario Blackout: Was ist tatsächlich dran?

von Sandra Eisner
von Mag. Sandra Eisner Foto: © pixabay

Das bedrohliche Szenario eines Blackouts ist omnipräsent – vor allem in der breiten Öffentlichkeit. Doch wie gestaltet sich die Faktenlage aus technischer Sicht? Wird der tatsächliche Sachverhalt gar emotionalisiert und hochgekocht? Die Energie-Control als die für die Strom- und Gaswirtschaft zuständige Regulierungsbehörde in Österreich widmete sich anlässlich einer Fachtagung einer sachlichen und faktenfundierten Betrachtungsweise der Thematik – wir haben die Kernaussagen für Sie zusammengefasst.

von Mag. Sandra Eisner

Was ist wirklich dran am oft dystopisch dargestellten Szenario eines Blackouts? Schrammen wir bald wieder daran vorbei oder wird es tatsächlich ernst? Und welche Herausforderung stellt die Versorgungssicherheit im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien aus Netzsicht dar? Die Energie-Control veranstaltete Ende Jänner eine Fachtagung zum großen Themenblock »Dimensionen der Stromversorgungssicherheit«, anlässlich derer Experten der E-Control sowie aus der Praxis nicht nur unterschiedliche Blickwinkel ermöglichten, sondern sich auch einer technischen Erläuterung des Themenkomplexes widmeten. Lesen Sie nachfolgend die relevantesten Inhalte der Veranstaltung.

Alfons Haber, Vorstand E-Control

„Der 8. Jänner hat uns gezeigt, wie sicher unsere Systeme sind! Innerhalb von Sekunden haben die Schutzmechanismen reagiert!“, so Prof. DI Dr. Alfons Haber, MBA, Vorstand E-Control. (Bild: E-Control)

Prof. DI Dr. Alfons Haber, MBA, Vorstand E-Control, definierte in seinem Vortrag »Die Dimensionen der Strom-Versorgungssicherheit – Betrieb, System, Netzqualität« zunächst einmal den Begriff der Versorgungssicherheit. Aus welchen Dimensionen setzt sich dieser gewaltige Bereich zusammen? Die grundlegende Bedeutung sieht vor, dass Verbraucher Energie beziehen können – und zwar zum Zeitpunkt, zu dem sie diese benötigen, mit definierter Qualität und zu transparenten und kostenorientierten Preisen. Dies bedarf der sicheren Verfügbarkeit und des sicheren Betriebs von Infrastruktur (Netz und Erzeugung, Speicher) und muss die Umsetzung der nachhaltigen und klimafreundlichen Ziele berücksichtigen. [Definition basierend auf Definition CEER aus 2004 und Vorgaben aus ElWOG und GWG]. Die Versorgungssicherheit basiert laut Haber auf zwei Säulen: erstens der Versorgungsqualität, die die Versorgungszuverlässigkeit (wie oft kommt es zu Stromausfällen), die Spannungsqualität (Unterspannung, Überspannung, abweichende Frequenzen), die operative Versorgungssicherheit (Rahmenbedingungen für Betrieb von Energiesystemen, Störungsbeseitigung, z. B. Wettersituationen) und die kommerzielle Qualität einschließt. Die zweite Säule stellt die Versorgungssicherung dar – wie man also gewährleisten kann, dass genügend Infrastruktur in Zusammenhang mit Erzeugung, Netz und Speicherung verfügbar ist.

 „Der 8. Jänner 2021 hat uns gezeigt, wie verletzbar wir sind.“

Diese Aussage bekommt man oft zu hören, wenn vom technischen Ausfall großer Stromversorgungseinheiten in Kroatien und Serbien Anfang Januar 2021 gesprochen wird. Alfons Haber ist jedoch überzeugt: „Der 8. Jänner hat uns gezeigt, wie sicher unsere Systeme sind! Innerhalb von Sekunden haben die Schutzmechanismen reagiert! Innerhalb von Sekunden kam es zu einer Beeinflussung des Stromübertragungsnetzes in Europa, das Stromnetz hat auf die Erzeugungs- und Lastsituation reagiert und Netzelemente voneinander getrennt, um nicht die sogenannten Kaskadeneffekte auszulösen. Alls das hat ungefähr 30 Sekunden gedauert. Für viele, die sich nicht eingehend mit der Thematik beschäftigen, war dieses Szenario schlimm – aus technischer Sicht ist es allerdings wesentlich, dass die Schutzmechanismen funktioniert haben und Europa in zwei Teile getrennt wurde, innerhalb von einer Stunde aber wieder im europäischen Netz verbunden werden konnte.“

Blackoutgefahr

Ja, es gab in den vergangenen Jahren einige Vorfälle, jedoch hat keiner die Versorgungsicherheit in Österreich laut Haber beeinträchtigt. Jeder Vorfall wird allerdings ernst und zum Anlass genommen, die bestehenden technischen und organisatorischen Maßnahmen zu analysieren und weiter zu verbessern. Selbst im Falle eines großflächigen Ausfalles kann die Versorgung innerhalb weniger Stunden (in Österreich) wieder aufgenommen werden. Haber bestätigt die Expertenmeinung, dass Ausfälle nie ganz verhindert werden können, dass lange/über mehrere Tage andauernde Ausfälle jedoch weder absehbar noch wahrscheinlich sind. ExpertInnen sehen keine Anzeichen für großflächige, länger andauernde Stromausfälle und auch die Daten der letzten Jahre zeigen eine gleichbleibend hohe Versorgungssicherheit in Österreich. Regelmäßige Übungen und Trainings werden durchgeführt und jeder relevante Vorfall wird analysiert. So konnten Vorfälle in der Vergangenheit rasch behoben werden und führten in Österreich zu keinen längeren Ausfällen. Für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit ist der Netzinfrastrukturausbau laut Alfons Haber ein wesentlicher Aspekt. Neue Entwicklungen (z. B. Erhöhung der Erzeugung durch steigende Anzahl volatiler Erzeugungsanlagen) werden im Monitoring der E-Control und bei der Erstellung von Reports berücksichtigt, um die bestehenden Maßnahmen und Regelwerke weiterzuentwickeln.

Tahir Kapetanovic, Leiter Power Grid Control/Hauptschaltleitung bei APG

„Die Störfalle aus der Vergangenheit hätten sich zu einem europaweiten Blackout entwickeln können, aber Systemrobustheit/Resilienz, erprobte Notfallkonzepte sowie die richtige Reaktion und Koordination der Diensthabenden konnten das verhindern“, weiß DI Dr. Tahir Kapetanovic, MBA, Leiter Power Grid Control/Hauptschaltleitung bei APG. (Bild: E-Control)

Gewährleistung des sicheren Netzbetriebes

DI Dr. Tahir Kapetanovic, MBA, Leiter Power Grid Control/Hauptschaltleitung bei APG (Austrian Power Grid AG), berichtete in seinem Vortrag »Aktuelle Herausforderungen für den Betrieb des Stromnetzes« über die Erfahrungen aus der Praxis – und zwar aus der Sichtweise eines Übertragungsnetzbetreibers. „Ein Ausfall darf zu keinen weiteren führen. Wenn das so ist, dann sind wir zufrieden. Wir haben letztes Jahr einiges gelernt aus den Störungen, um unsere Methoden und Ansätze zu verbessern“, legte er eingangs dar. Und wie gelingt ein sicherer Übertragungsnetzbetrieb in Österreich? Es bedarf vor allem drei Gruppen von Maßnahmen: Zunächst geht es um die Systembilanz. Vereinfacht gesagt, sollte sich der Verbrauch mit der Erzeugung von Energie decken. Grundsätzlich verbrauchen wir im Sommer weniger Energie als im Vergleich zu den Jahreszeiten Winter, Frühling und Herbst, nun ist jedoch die Erzeugung von Wind-, Solar- und Wasserkraft im Sommer am stärksten. Als Maßnahmen dazu werden gesetzt: Leistungs-/Frequenzregelung Kontinentaleuropas, Redispatch, Nutzung von Speicherkapazitäten, Verbrauchssteuerung und Durchmischung auf Erzeugerseite. Der zweite große Themenbereich beim sicheren Übertragungsnetzbetrieb ist die Reserve: Netzreserve/thermische Kraftwerke sind unverzichtbar für die Betriebs- und Versorgungssicherheit. Die dritte Gruppe an Maßnahmen bezieht sich auf die Prognose und Betriebsplanung für einen sicheren Übertragungsnetzbetrieb in Echtzeit. Tahir Kapetanovic dazu: „Information ist alles, sie bedeutet nicht nur Macht, sondern auch Sicherheit. Die Regulierungsbehörde (Energie-Control) gibt allen Akteuren einen Rahmen, eine Verpflichtung, allfällige notwendige Daten aus allen Zeitrahmen über alle Aspekte gegenseitig auszutauschen und uns zur Verfügung zu stellen, damit wir diese individuellen Netzmodelle und diese Prognose gut zusammenstellen können.“

Als Herausforderungen nannte Kapetanovic die unzureichende Infrastruktur, „nicht, weil wir sie nicht bauen wollen, sondern wir haben in Österreich und in fast allen westlichen Ländern eine unzureichende Infrastruktur mit 75 Jahre alten Leitungen. Das entspricht dem Bedarf von heute nicht mehr, aber die Genehmigungsdauern sind extrem lange. Diese Herausforderung ist in Österreich noch etwas verschärft durch die gesetzliche Verpflichtung, dass wir 70 % des Netzes für die Marktaktivitäten zur Verfügung stellen.“

Zum Thema der Lastdeckung führte Kapetanovic das Beispiel Deutschland an: „Die Kraftwerksschließungen kann kein Netz »ausgleichen«, sondern nur ein neues und adäquates Marktdesign und eine gute RES-Integration (RES – »Renewable Energy System«, also erneuerbare Energien). Die erneuerbaren Energieträger müssen dabei die gleichen Rechte und Pflichten erhalten wie andere Technologien. Es müssen Anreize gesetzt werden, RES-Unterstützungsschemen müssen transparent, orientiert auf die richtige Technologie, nichtdiskriminierend und selbstregulierend ausfallen.“ Bei der Netzbetriebssicherheit darf es keine Kompromisse geben, eine Erhaltung der Systembilanz bedarf einer Zusammenarbeit aller Akteure im Markt, aller Behörden bundes- und landesweit. Kapetanovic fasst zusammen: „Die Störfalle aus der Vergangenheit (08.01.2021, 24.07.2021 – Trennung Iberischer Halbinsel, 17.05.2021 – Erzeugungsausfall in Polen) hätten sich zu einem europaweiten Blackout entwickeln können, aber Systemrobustheit/Resilienz, erprobte Notfallkonzepte sowie die richtige Reaktion und Koordination der Diensthabenden konnten das verhindern. Die wichtigste Voraussetzung für den sicheren Netzbetrieb, heute und in Zukunft, ist eine adäquate Netzinfrastruktur.“

Christoph Schneiders, Leiter Netzführung und Systemsteuerung bei Amprion

„In Europa und auch weltweit werden die Übertragungsnetze nach dem (n-1)-Kriterium betrieben – doch reicht diese Betrachtungsweise angesichts der Entwicklung erneuerbarer Energien zukünftig noch aus?“, fragt Dr.-Ing. Christoph Schneiders, Leiter Netzführung und Systemsteuerung bei Amprion. (Bild: Screenshot)

»Künftige Herausforderungen für das Stromsystem«

Als weiterer Referent »aus der Praxis« berichtete Dr.-Ing. Christoph Schneiders, Leiter Netzführung und Systemsteuerung bei Amprion, einem von vier Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland. Er erklärte eingangs: „Wir haben in Europa die Netzfrequenz von 50 Hz, nämlich genau, wenn Last und Erzeugung im Gleichgewicht sind. Bei einem Überschuss an Erzeugung nimmt die Netzfrequenz zu, dann drehen die Kraftwerke schneller, und wenn es einen Überschuss an Last gibt, also mehr Last als Erzeugung, sinkt die Netzfrequenz ab. All das darf sich nur in einer gewissen Bandbreite bewegen, ansonsten würden die Schutzmechanismen greifen und Kraftwerke vom Netz trennen, um nicht beschädigt zu werden. Deswegen muss die Netzfrequenz immer in gewissen Bandbreiten gehalten werden. Bei einem Überschuss müssen wir als Übertragungsnetzbetreiber sehr schnell über Regelleistung ausgleichen. Eine Veränderung der Erzeugungs- und Laststruktur erschwert diese Aufgabe ungemein.“ Gemeint sind damit weniger rotierende Massen beim Wegfall von Kernenergie- und Kohlekraftwerken und die Koordination von vielen hunderttausend volatilen Kleinanlagen.

In Europa und auch weltweit werden die Übertragungsnetze nach dem (n-1)-Kriterium betrieben – doch reicht diese Betrachtungsweise angesichts der Entwicklung erneuerbarer Energien zukünftig noch aus? [(n-1)-Sicherheit bedeutet: Der Ausfall eines (1) Betriebsmittels führt zu keinen Folgeausfällen oder Versorgungsunterbrechungen.] Das Ausmaß der Transformation in den nächsten Jahren wird die Welt laut Christoph Schneiders komplett verändern. Der aktuelle Strommix in Deutschland (2021) belegt einen Erneuerbaren-Anteil von gut 40 %. Schneiders: „Es stellt sich die zentrale Frage nach der Speicherung dieser erneuerbaren Energien. Wir haben ausgerechnet: Um eine Woche in Deutschland in der Wintersituation zu versorgen, wenn aufgrund der Wetterlage keine PV-und Windkraft vorhanden ist, dann bräuchten wir an Speichervolumen, wenn man das mit Wasserkraft ersetzen wollte, den Bodensee angehoben um 800 Meter, um ihn herum installierte Kraftwerke, die ihn eine Woche lang leerlaufen lassen. Das entspricht ungefähr dem Energieäquivalent, das man bräuchte, um Deutschland eine Winterwoche lang mit Energie zu versorgen.“

Die Ziele der deutschen Bundesregierung sehen eine Mammutaufgabe vor: neben der Wind-Kapazität einen sehr starken PV-Ausbau (> 12 GW/a) – dafür müssten 40 % des Dachflächen-Potenzials mit PV versehen werden. Die Herausforderungen durch den Kohleausstieg und den ambitionierten Zubau erneuerbarer Energieträger sind laut Schneider allgegenwärtig: Es fehlen Anreize für Systemdienstleistungen, außerdem erfolgt der Ausbau der Erzeugungsanlagen nicht systemdienlich und steigert den Anpassungsbedarf im Netz, ohne zur Sicherheit beizutragen. Als Lösung hierzu führt Schneiders abschließend die Einführung eines Systemmarktes an, der Anreize setzt für ausreichend gesicherte Erzeugung und Systemdienstleistungen, die richtige Allokation von klimafreundlichen Gaskraftwerken für die Systemsicherheit sowie Allokationssignale für Speicher oder größere EE-Anlagen gibt und der einen Markt für Momentanreserve integriert.

Johannes Mayer, Leiter der Abteilung Volkswirtschaft der E-Control

Je nach Marktdurchdringung und Elektrifizierung der Industrie könnte Österreichs Strombedarf 2030 84,7 TWh erreichen. Das Ausbauziel ist auf 82 TWh kalibriert, der Verbrauch wird allerdings ein bisschen höher sein, legt Mag. Johannes Mayer, Leiter der Abteilung Volkswirtschaft der E-Control, dar. (Bild: E-Control)

Haben wir im Jahr 2030 ausreichend Strom?

»Monitoring der Versorgungssicherheit in Österreich – Ergebnisse« lautete der Titel des Vortrags von Mag. Johannes Mayer, Leiter der Abteilung Volkswirtschaft der E-Control, der sich der Beantwortung folgender Fragen widmete: Haben wir zu jedem Zeitpunkt Strom? Und haben wir in einer längeren Betrachtung (wochenweise) auch ausreichend Energie?

Die energetische Reichweite der Speicherkraftwerke ist für Mayer weiterhin DAS Kriterium der Versorgungssicherheit, auch in 2030. Zum aktuellen Stand der Versorgungssicherheit legte Johannes Mayer dar, dass wir über etwa 24 GW installierte Kraftwerksleistung in der Regelzone APG verfügen: „Wir haben in etwa 18,3 GW erneuerbare Energie, dies steigt vor allem durch Wind und PV. Leistungsmäßig sind damit PV, Wind und Biomasse heute so groß wie die sonstige Wärmekraftwerksleistung.“ Wie gestaltet sich der Verbrauch? Mayer dazu: „Seit Mitte der 2000er-Jahre sehen wir in Österreich eine Abflachung des Stromendverbrauchs. In den letzten Jahren liegt der EEV (energetischer Endverbrauch) bei etwa 60–65 TWh. Der Gesamtstrombedarf liegt etwa 10 TWh höher, da Positionen, die nicht Endenergieeinsatz darstellen, auch abgedeckt werden müssen: Netzverluste, Kraftwerkseigenbedarf und Pumpstrom.“

Zur leistungsmäßigen Deckung verweist Mayer auf die Saisonalität der Lastdeckung 2021: Österreich produziert im Winter zumeist weniger Strom, als es verbraucht. Eine relativ kleine Unterdeckung gibt es in den Hochpreisphasen, also zur Mittags- aber vor allem zur Abendspitze der Arbeitstage. Im Sommer gibt es vor allem in Hochpreisphasen einen Produktionsüberschuss.

Österreich verbraucht wöchentlich zwischen 1.100 und 1.600 GWh. Das Muster der österreichischen Versorgung zusammengefasst: Überschüsse im Frühjahr/Sommer und Unterdeckung im Winter.

Längerfristige Versorgungssicherheit

Österreich versorgt sich energetisch aus natürlichem Aufkommen und verfügbaren thermischen Kraftwerken. Typischerweise gibt es in den ersten beiden Monaten des Jahres eine energetische Versorgungslücke, die durch Speicherentleerung gefüllt werden muss. Die Speicherreichweite ist die zentrale Kenngröße der Versorgungssicherheit: Wie lange reichen die Speicher, die wir haben? In den letzten Jahren betrug die Speicherreichweite stets drei bis vier Wochen. Laut Johannes Mayer ist es sehr unwahrscheinlich, dass es eine Dunkelflaute gibt, die länger als drei bis vier Wochen dauert.

Und was passiert, wenn der Ausbau erneuerbarer Energien bis 2030 so erfolgt, wie es im Gesetz vorgesehen ist? Die installierte Leistung sollte um 17,2 GW steigen. Die Photovoltaik wird zur stärksten Erzeugungstechnologie und ist mit knapp 13 GW oder knapp einem Drittel die führende Technologie im System. Laufwasser, Speicher, Wärme und Wind sind ähnlich groß. Durchgerechnet wurden auch die unterdeckten Stunden eintausend simulierter Jahre: Mit dem Ergebnis, dass Unterdeckungen von Mitte Oktober bis Ende März möglich sind. In 10 % der simulierten Jahre gibt es kurze Unterdeckungen, so Mayer, also Importbedarf. Die längste Dauer betraf 4 Stunden mit 630 MW. Bei 41,2 GW bzw. etwa 27 GW installierter Leistung an wetterabhängiger Erzeugung ergab sich ein simulierter Überschuss von bis zu 17,5 GW. Mayer: „Das heißt, wir haben Zeiten, in denen Österreich viel mehr produziert, als es eigentlich selbst braucht. Diese extremen Überschüsse können theoretisch auch gefährlich sein für das System. Ist also die Überdeckung das größere Problem? Wir brauchen Mechanismen, wie man damit umgeht, dass zu viel Energie im System da ist.“

Vor allem die Nachtstunden könnten künftig zu Importen führen, da es zu dieser Zeit keine PV-Erzeugung gibt, und bei Windstille bleiben noch etwa 20 GW an Kraftwerksleistung. Das alles kommt laut Mayer aber nur beim Zusammentreffen von mehreren Umständen zum Tragen, wie: viele Kraftwerksausfälle, Laufkraft bei kaltem Wetter bei etwa 40 % Leistung, extrem hoher Bedarf.

Je nach Marktdurchdringung und Elektrifizierung der Industrie könnte Österreichs Strombedarf 2030 84,7 TWh erreichen. Das Ausbauziel ist auf 82 TWh kalibriert, sprich 82 TWh sollen produziert werden. Der Verbrauch wird allerdings ein bisschen höher sein, nicht zuletzt durch den Ausbau der Elektromobilität, so Johannes Mayer: „Inkludiert sind etwa 6,4 TWh auf Elektromobilität (+4,7 TWh) und Elektrifizierung (+1,7 TWh) der Industrie. Etwa 2,1 TWh Residualbedarf im Jänner, das entspricht 2,8 GW Leistung. Energetisch ergeben sich weiterhin kleine Importnotwendigkeiten (1,5 TWh = Nettoimportbedarf).“ Österreich kann also in sehr ungünstigen Erzeugungs- und Nachfragesituationen importieren müssen, wenn auch sehr wenig.

Herwig Renner, TU Graz

„Für einen großflächigen Ausfall im Hochspannungsnetz reicht im Allgemeinen nicht ein Ereignis, aber wenn mehrere Faktoren zusammenkommen, dann kann ein Ereignis der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt“, so Univ.-Prof. DI Dr. Herwig Renner, TU Graz. (Bild: Screenshot)

Stromausfall ist nicht gleich Stromausfall

In seinem Fachvortrag »Technische Aspekte zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit« wies Univ.-Prof. DI Dr. Herwig Renner, TU Graz, auf die dimensionalen Unterschiede von Stromausfällen hin. Es handelt sich um ein breites Feld von einigen wenigen lokalen Ausfällen bis hin zum möglichen europaweiten Blackout. Entscheidend ist jedenfalls, welches Netz betroffen ist – das Hochspannungsnetz/Übertragungsnetz oder das Verteilnetz (Niederspannung, Mittelspannung). Beide Seiten unterzog Herwig Renner einer technischen Betrachtungsweise.

Ausfall im Verteilnetz oder Übertragungsnetz

Bei einem Versorgungsausfall im Verteilnetz ist die Ursache meist sehr einfach: Ein Kurzschluss bewirkt eine automatische Schalthandlung (Schutzauslösung). Gründe dafür können sein: Blitzschlag, Baumfall, Baggerarbeiten etc., sehr selten kann auch der Ausfall des Übertragungsnetzes als Ursache dienen. Die Auswirkung ist üblicherweise eine lokale mit einer begrenzten Anzahl betroffener Kunden und es gibt kein Stabilitätsproblem im Sinne der Netzstabilität. Zur Verbesserung der Situation kann die Leitungstechnologie im Verteilnetz beitragen: (Erd-)Kabel statt Freileitungen haben einen signifikanten Einfluss auf das Fehlergeschehen. Wenn es im Zuge der Netzplanung möglich ist, so ist also ein Kabel einer Freileitung vorzuziehen, weil es die Ausfallsicherheit im Verteilnetz erhöht.

Auch der Versuch, ein Verteilnetz, das im Normalfall als Strahlennetz betrieben wird, so weit wie möglich zu vermaschen, bringt laut Renner sehr viel In Bezug auf die Netzstruktur, die Netztopologie. Eine im Fehlerfall manuell oder ferngesteuerte Umschaltmöglichkeit führt zu einer Reduktion der Fehlerdauer, was eindeutig eine Verbesserung der Versorgungssituation darstellt. Als weiteren Schritt nannte Herwig Renner die Möglichkeit der Netzsegmentierung: „Leistungsschalter haben die Aufgabe, Kurzschlussströme abzuschalten und dienen dem Personen- und Anlagenschutz sowie der Fehlereingrenzung. Bei einer Segmentierung des Netzes durch zusätzliche Leistungsschalter würde ein Fehler nur zur Abschaltung eines kleinen Teiles des Netzes führen. Das Netz kann also durch zusätzliche Leistungsschalter feiner unterteilt werden und Bereiche, die abgeschaltet werden im Fehlerfall, können so reduziert werden.“ So viel zu den Möglichkeiten, die Versorgungssicherheit für das Verteilnetz zu erhöhen.

Ein bisschen anders gestaltet sich die Situation im Übertragungsnetz: Es ist kein Strahlennetz sondern eng vermascht und zumindest (n-1)-sicher. Von einem Blackout – also einem plötzlichen großflächigen und überregionalen Ausfall des Übertragungsnetzes – zu unterscheiden sind frequenzabhängige Abschaltungen von Verbrauchern als Maßnahme gegen ein Blackout (z. B. Nov. 2006, Jänner 2021). Ursachen für Ausfälle im Übertragungsnetz sind: Fehler im Netz, Ausfall von Kraftwerken, Ausfall von Leitungen (System-Split), was zu Problemen bei Frequenz- und Spannungsstabilität führt. Entscheidend ist in so einem Fall laut Renner vor allem das Verhalten der Kraftwerke (inkl. PV und Wind). Wie lange können sie am Netz bleiben?

Was tun bei einem Blackout?

Für einen großflächigen Ausfall im Hochspannungsnetz reicht im Allgemeinen nicht ein Ereignis (n-1-sicheres Netz), aber wenn mehrere Faktoren zusammenkommen (starke Netzbelastung durch hohen Stromtransport, wichtige Leitungen und/oder wichtige Kraftwerke nicht verfügbar wegen Revision …), dann kann ein Ereignis der Tropfen sein, so Renner, der das Fass zum Überlaufen bringt. Hier hilft nur ein adäquater Netzausbau, um starke Netzbelastung bzw. Überlastung zu vermeiden.

Kraftwerke müssen so lange wie möglich einspeisen!

Die »Fault Ride Through Capability ( FRT)« beschreibt die Eigenschaft von Kraftwerken, bei Netzfehlern aktiv im Netz zu bleiben. Klassische Erzeugungsanlagen mit Synchronmaschinen erfüllen diese Eigenschaften aufgrund der physikalischen (elektromechanischen) Eigenschaften sehr gut. Umrichterbasierte Erzeugungsanlagen (Photovoltaik, Windkraft) früherer Generationen haben sich aus Sicherheitsgründen bei Netzkurzschlüssen abgeschaltet. Dies war kein Problem, aber mit steigender Durchdringung dieser Anlagen wird eine Abschaltung in größerem Ausmaß kritisch. „Während des Fehlers sollten sich umrichterbasierte Erzeugungsanlagen »ähnlich« wie klassische Synchronmaschinen verhalten und spannungsstützend und frequenzstützend wirken. Die Basisanforderungen sind durch ENTSO-E im Code »Requirement for Generation« festgelegt und gelten für alle, auch für die neuen Erzeugungstechnologien“, erklärte Herwig Renner.

Was bedeutet das für die Regelung dieser Umrichter? Bisher hat die Anlage versucht, unabhängig von der aktuellen Spannung und Frequenz den vorgegebenen Arbeitspunkt (Wirkleistung, Blindleistung) konstant zu halten = »Grid Following«. Bei der neuen Strategie »Grid Forming« reagiert die Anlage auf die aktuelle Spannung und Frequenz unterstützend. Im Prinzip kann die Charakteristik »nahezu beliebig« implementiert werden, angestrebt wird ein ähnliches Verhalten wie der klassischen Synchronmaschine. Dazu gehören vor allem Spannungsstützung durch Blindstromeinspeisung (Problem: Strombegrenzung des Umrichters, keine Überlastfähigkeit, auch nicht kurzfristig) und Frequenzstützung durch virtuelle Schwungmasse (Problem: In einer realen Synchronmaschine ist Energie in Form von rotierenden Massen vorhanden, im Umrichter aber nicht). Es lassen sich auch vorteilhafte Eigenschaften, die in der Synchronmaschine nicht vorhanden sind, implementieren. Wichtig ist laut Renner die Vorbereitung auf den Fall, dass umrichterbasierte Erzeugung (Wind, PV) im Netz dominiert. Dann sollte nämlich das Verhalten dieser Anlagen bekannt sein.

Regelreserve für die Frequenzregelung

Als weiteren Aspekt im Zusammenhang mit einem Blackout bringt Herwig Renner die Regelreserve zur Sprache: „Die Primärregelung ist eine verteilte Regelreserve im Netz zur Stabilisierung von Frequenzänderungen. Die Primärregelung (»Frequency Containment Reserve«) ist aktuell auf ein maximales Ungleichgewicht von 3.000 MW ausgelegt. Bei System-Splits können jedoch deutlich größere Abweichungen auftreten.“ Regelkraftwerke müssen laut Renner in der Lage sein, die Leistung nach oben und unten ändern zu können. Doch ist diese Möglichkeit bei PV- und Windkraftwerken normalerweise gegeben? Nein, eine Änderung nach oben ist nicht möglich, weil sie ohnehin mit ihrer maximalen Leistung betrieben werden. Herwig Renner: „Die Primärregelung sollte auch in Zukunft verteilt aufgebracht werden, eine reine marktwirtschaftliche Aufbringung könnte im schlimmsten Fall dazu führen, dass ein Teilnetz nach einem System-Split nicht ausreichend Regelreserve hat. Österreich ist mit Speicherkraftwerken hinsichtlich Regelreserve prinzipiell sehr gut aufgestellt.“

Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand E-Control

„Versorgungssicherheit ist kein Thema für das Wecken von Emotionen oder Ängsten“, meint Dr. Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand E-Control. (Bild: E-Control)

Fakten versus Emotionen

Abschließende Worte richtete Dr. Wolfgang Urbantschitsch, Vorstand E-Control, an das Publikum der Fachveranstaltung. Wichtig war es ihm, darauf hinzuweisen, dass „der Ausbau der Erneuerbaren und die Gewährleistung der Versorgungssicherheit einander nicht ausschließen – im Gegenteil, sie ergänzen sich. Die Erneuerbaren sind wichtig, gerade in Zeiten wie diesen, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, die vielfach aus dem Ausland kommen, zu reduzieren, das Energiesystem nachhaltig aufzustellen und damit auch die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Was wir benötigen, sind Investitionen in die Infrastruktur, in die Stromnetze, in die Erzeugungsstrukturen, vor allem aber auch in die Flexibilität. Ich denke, mit dem EAG ist hier eine maßgebliche Weichenstellung erfolgt.“ Die öffentliche Diskussion rund um das Thema Blackout und Versorgungssicherheit sieht er gespalten: „Unser gesetzlicher Auftrag ist es, die Versorgungssicherheit zu monitoren, Informationen an die Bevölkerung zu liefern und sich damit auseinanderzusetzen. Versorgungssicherheit ist kein Thema für das Wecken von Emotionen oder Ängsten. Es geht darum, ein faktenbasiertes Bild herzustellen. Es gibt manchmal Rufe einzelner, auch aus der Energiewirtschaft, die die Gefährdung hochstilisieren. Ich meine, dass diese Rufe die ausgezeichnete Arbeit in Österreich schmälern und der Leistung derer nicht gerecht werden, die tagtäglich für die Versorgungssicherheit wirken.“

Natürlich ist Krisenvorsorge wichtig. Man sollte sich Gedanken darüber machen, was passiert, wenn es zu einem Krisenszenario kommt – nicht nur hinsichtlich der Energieversorgung. „Es gibt Berater, die unterstützen und ein Geschäftsfeld entwickelt haben, aber ich meine, vielfach beginnt die Kundenakquise mancher Berater mit finsteren Prognosen von Blackout und allen möglichen Ausfällen – je düsterer, je dystopischer, desto besser. Ich denke, damit wird Angst erzeugt und wir sollten alle daran arbeiten, nicht mit Ängsten und einem Schwarz-Weiß-Denken, sondern ganz nüchtern an die Sache heranzugehen“, so Wolfgang Urbantschitsch abschließend. Nur ein versachlichter, fundierter und faktenbasierter Austausch rund um die Situation der Versorgungssicherheit gewährleistet einen ausgewogenen Überblick – und oftmals – wenn nicht zumeist – weist eine nüchterne und sachliche Betrachtungsweise vielen (geschürten) Ängsten die Tür …

Weitere Informationen auf: www.e-control.at

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