Kolumne von Thomas Buchbauer, Chefredakteur:

Die Schlafwandler: Wie Europa in eine Energiekrise zog

von Sandra Eisner
von Thomas Buchbauer Foto: © pixabay

Die Zeichen stehen endgültig auf Veränderung (wie oft habe ich das schon behauptet?). Dass es trotz der erkennbaren Warnsignale so lange gedauert hat, bis sich zumindest Deutschland und Österreich dazu entscheiden wollen, endgültig die Reißleine zu ziehen und nun dazu übergehen, Schritt für Schritt aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen, ist allerdings keinem rein klimapolitischen Grund geschuldet. Es ist vielmehr ein Ausstieg, der unter weltpolitischem Zwang entstanden ist.

Erst wenn ein Diktator in ein europäisches Land einfällt und dem Rest der Welt mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, sind die Menschen bereit, von Gewohntem abzurücken. Anders verhält es sich, wenn Mutter Natur Zeichen sendet. Dann verschließt man nach wie vor die Augen, weil es uns ja (noch) nicht unmittelbar betrifft. Neben dem kürzlich kolportierten heißesten April in Indien seit Beginn der Aufzeichnungen und dem damit verbundenen Wassermangel samt einhergehenden Stromausfällen gibt es noch genügend andere Anzeichen dafür, dass die Klimaerwärmung Folgen nach sich ziehen wird, die noch gar nicht abschätzbar sind.

Machen wir in der Klima- die gleichen Fehler wie auch in der Weltpolitik? Der Historiker Christopher Clark beschreibt in seinem Buch »Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog« minutiös die Interessen und Motivationen der wichtigsten politischen Akteure in den europäischen Metropolen vor dem Ersten Weltkrieg und zeichnet das Bild einer komplexen Welt, in der gegenseitiges Misstrauen, Fehleinschätzungen, Überheblichkeit, Expansionspläne und nationalistische Bestrebungen zu einer Situation führten, in der ein Funke genügte, den Krieg auszulösen, dessen verheerende Folgen kaum jemand abzuschätzen vermochte (so der Auszug aus der Kurzzusammenfassung seines Buches). Kommt uns das bekannt vor? Politiker, Experten und Journalisten müssen sich heute die Frage gefallen lassen, warum man nicht zumindest spätestens ab dem Jahr 2014, als es zur Annexion der Krim durch Russland kam, erkannt hat, welche Ziele Putin verfolgt und weshalb man daraufhin nicht die Abhängigkeit von russischen Rohstoffen reduziert hat. Die Tatsache, dass man offenen Auges auf den drohenden Abgrund steuerte, ohne an der Richtung etwas zu verändern, führt nun dazu, dass der Ausstieg aus dem russischen Gas schmerzhafte Einschnitte für uns alle nach sich zieht. Laut Untersuchungen von unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstituten, die in der ARD-Sendung Monitor vom 21.4.2022 zitiert wurden, könnte Deutschlands BIP bei einem Embargo auf -0,6 bis -6 % sinken. Die Folgen wären damit stark aber handhabbar – die Warnungen der Industrie vor einer Wirtschaftskrise seien zu hoch gegriffen, so die Wirtschaftsforscher. Ähnlich verhält es sich in Österreich. Der frühere Energieregulator Walter Boltz sagte im Falter, ein Gasboykott wäre hart, aber möglich.

Müssen sich die hochbezahlten Experten also in ein paar Jahren – ähnlich wie aktuell in Sachen Putin – die Frage gefallen lassen müssen, warum die drohende Klimagefahr nicht früher erkannt und rechtzeitig Maßnahmen eingeleitet wurden?

Möglich, dass die dafür notwendigen Gesetze und Verordnungen nun doch Fahrt aufnehmen könnten. Wie die Kronen Zeitung Mitte April online erstmals berichtet, soll ein geleakter Entwurf zum Erneuerbare-Wärmegesetz (EWG) vorliegen, in dem unter anderem zu lesen ist, dass Gasheizungen im Neubau bereits ab 2023 – statt wie geplant ab 2025 – verboten werden. Bis spätestens 2040 sollen dann alle Gasheizungen durch klimafreundlichere Alternativen ersetzt werden müssen. 2023 scheint das Jahr der großen Veränderung zu sein – dann nämlich dürfen laut geleaktem Entwurf auch keine defekten Öl- und Kohleheizungen durch ebensolche ersetzt werden. Laut Österreichischer Energieagentur beträgt der heimische Bruttoinlandsverbrauch von Gas satte 89 Terawattstunden (TWh) – 63 TWh davon bezieht Österreich bisher aus Russland, 16 werden aus Norwegen und anderen europäischen Ländern importiert. Rund 30 Terawattstunden Gas will man bis zum Jahr 2030 einsparen. Laut Energieagentur könnte der Gasverbrauch bei einem Ausstieg im Bereich Raumwärme und Warmwasser um rund 9 Terawattstunden sinken. 1,2 Millionen Gasheizungen müssten bis dahin durch Wärmepumpen, Fernwärme und Biomasseheizungen ersetzt werden. Dass die Infrarotheizung oder das Heranziehen von selbst erzeugtem PV-Strom für die Warmwasseraufbereitung einmal mehr unerwähnt bleibt, ist nichts Neues. Die Ignoranz und Sturheit mancher Protagonisten dahingehend ist nach wie vor vielen ein Rätsel. Bisher ungeklärt bleiben aktuell allerdings vor allem zwei Fragen: Wie will es Österreich (trotz der regen Aktivitäten der Bundesinnung dahingehend) schaffen, derart viele junge Menschen für die betreffenden Handwerksberufe zu begeistern, um die Aufgaben in diesem kurzen Zeitraum bewältigen zu können? Und woher will man ausreichend technisches Equipment in Anbetracht der derzeitigen Lieferproblematik und der einhergehenden Preisentwicklung nehmen, um die Ziele zu erreichen? Manchmal hat man den Eindruck, Politiker leben in einem Elfenbeinturm – sie scheinen von den wirtschaftlichen Entwicklungen und deren realen Auswirkungen auf den Markt völlig abgekoppelt zu sein. Während die Politik also einmal mehr zu glauben scheint, dass man mit leeren Worthülsen das Klima retten kann, obliegt es zum überwiegenden Teil dem Elektrohandwerk der -industrie und dem -großhandel, die Umsetzung der Energiewende zu realisieren. Ein Beispiel dafür, wie man in Zeiten wie diesen Verantwortung übernimmt und praxisgerechte Konzepte anbietet, zeigt die Gründung des Sonepar-Kompetenzzentrums »Energie- und Mobilitätswende« (kurz EE), mit dessen Expertise und Produktportfolio das Großhandelsunternehmen die Elektriker dabei unterstützt, gesamtheitliche Lösungen anzubieten, die gangbare Alternativen zu Öl und Gas aufmachen.

Die österreichische Bevölkerung scheint die Zeichen der Zeit jedenfalls auch erkannt zu haben: So besagt das nun vorliegende Ergebnis des »Stimmungsbarometer Energieforschung« vom Klima- und Energiefonds von Anfang Mai, dass für drei Viertel der Bürger:innen und 9 von 10 Unternehmen der Kauf von innovativen Energietechnologien »made in Austria« vorstellbar ist – man wäre auch bereit, einen höheren Preis zu bezahlen, zum Beispiel für eine Photovoltaik-Anlage. Elektrikers

Mal sehen, ob die angebliche Bereitschaft der Bevölkerung, für Produkte aus Österreich (wenn sie dann auch verfügbar sind) mehr bezahlen zu wollen, auch in der Praxis erkennbar sein wird.

Thomas Buchbauer

Thomas Buchbauer ist
Chefredakteur und Herausgeber
von i-Magazin und ecarandbike.com.
(Bild: www.i-magazin.com)

 

Ähnliche Artikel

Hinterlassen Sie einen Kommentar

* Zur Speicherung Ihres Namens und Ihrer E-Mailadresse klicken Sie bitte oben. Durch Absenden Ihres Kommentars stimmen Sie der möglichen Veröffentlichung zu.

Unseren Newsletter abonnieren - jetzt!

Neueste Nachrichten aus der Licht- und Elektrotechnik bestellen.