Noch vor wenigen Jahren galt der Ausbau erneuerbarer Energien als rein strategisches Zukunftsprojekt. Heute jedoch hat sich das Blatt gewendet – und zwar spürbar: Immer mehr Kundinnen und Kunden der Energieanbieter versorgen sich dank eigener Photovoltaikanlagen selbst mit Strom. Was für Haushalte ein Gewinn ist, sorgt in der Energiewirtschaft für bis dato ungewohnte Herausforderungen. Die EVN bekommt dies im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2024/25 zu spüren: Der Stromabsatz geht zurück, während Investitionen und Kosten steigen. Können Windkraft, Biomasse und Elektromobilität das Blatt wenden?
Eigenversorgung als Umsatzkiller
Ein Blick auf die Zahlen offenbart das Problem: Die EVN verzeichnete einen Umsatzrückgang von 1,3 % auf 804,1 Mio. Euro – vor allem auch wegen sinkender Erlöse aus der Vermarktung der eigenen erneuerbaren Stromerzeugung. Laut EVN liegt dies daran, dass sich immer mehr Kundinnen und Kunden mit Strom aus eigenen Photovoltaikanlagen versorgen und dadurch weniger aus dem Netz beziehen. „Der anhaltend starke Wettbewerb und die kontinuierlich steigende Versorgung der Kundinnen und Kunden aus eigenen Photovoltaikanlagen wirkt sich negativ auf den Stromabsatz aus“, schreibt das Unternehmen selbst in einer kürzlich erschienen Pressemitteilung.
Doch nicht nur die Photovoltaik der Selbstversorger macht dem Konzern zu schaffen. Höhere Abschreibungen und steigende Finanzierungskosten im Netzbereich belasten das Ergebnis zusätzlich. Auch die milden Temperaturen in Nordmazedonien führten zu einem geringeren Energieverbrauch, was den Absatz weiter drückte.
Windkraft und Biomasse auf Expansionskurs
Trotz der herausfordernden Marktlage bleibt die EVN auf Expansionskurs – insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien. Ein Hoffnungsträger: Windkraft. Mit der Inbetriebnahme des Windparks Paasdorf (22,2 MW) setzt das Unternehmen ein klares Zeichen für den weiteren Ausbau. Langfristig will die EVN ihre Windkraftkapazität von derzeit 500 MW auf 770 MW bis 2030 steigern. Parallel dazu laufen Projekte zur Modernisierung bestehender Windparks – etwa in Prellenkirchen, wo die Leistung von 14,4 MW auf 47,6 MW mehr als verdreifacht wird. Im Bereich der Photovoltaik stehen Projekte in Peisching (10 MWp) und Markgrafneusiedl (5 MWp) sowie in Bulgarien (2,5 MWp) kurz vor der Inbetriebnahme.
Auch bei der Biomasse gibt es Fortschritte: Der Bau der neuen Kraft-Wärme-Kopplungsanlage in St. Pölten verläuft planmäßig. Sie soll künftig einen wichtigen Beitrag zur klimafreundlichen Strom- und Wärmeerzeugung leisten.
E-Ladeinfrastruktur wächst – bringt sie die Wende?
Während der Stromabsatz im klassischen Netzbereich zurückgeht, investiert die EVN laut eigenen Angaben massiv in die Ladeinfrastruktur für Elektroautos – ein Bereich mit Wachstumspotenzial. Nach der bereits laufenden Kooperation mit der Supermarktkette Hofer sollen nun auch mit der XXXLutz Unternehmensgruppe bis 2028 österreichweit 600 zusätzliche Ladepunkte entstehen. Die ersten 12 Standorte sollen bereits bis Ende 2025 ausgestattet sein. Wie die EVN bekannt gibt, sei sie mit über 3.200 Ladepunkten bereits der größte Betreiber von Ladestationen in Österreich.
Das Fazit der Redaktion lautet daher
Die EVN steht somit vor einer doppelten Herausforderung: Der Ausbau erneuerbarer Energien steigert langfristig die Nachhaltigkeit, doch gleichzeitig bedroht die Eigenversorgung der Kundinnen und Kunden das klassische Geschäftsmodell. Windkraft, Biomasse und Elektromobilität könnten die neuen Wachstumsmotoren sein – wenn der Konzern es schafft, diese Segmente rechtzeitig stark genug auszubauen. Ob das gelingt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
Gleichzeitig ist es aus Sicht der EVN nachvollziehbar, dass sie verstärkt darauf drängt, die Einspeisung von Photovoltaikstrom besser zu regulieren – sei es durch Netzmanagement, intelligente Steuerung oder gezielte Eingriffe in die PV-Anlagen der Kundinnen und Kunden. Schließlich steht nicht weniger als das traditionelle Geschäftsmodell der Stromversorger auf dem Spiel. Dass traditionelle Geschäftsmodelle in einer sich wandelnden Welt aber auch zu einem ausgewachsenen Problem werden können, ist spätestens seit den wirtschaftlichen Turbulenzen von KTM augenscheinlich.
Der Umkehrschluss: Ein zeitgemäß agierendes Management muss in immer kürzeren Zeitintervallen die Unternehmensziele hinterfragen, bestehende Strategien anpassen und neue Wege entwickeln, um auf dynamische Marktbedingungen und technologische Veränderungen agil reagieren zu können.
Weitere Informationen auf: www.evn.at